Seit November 2023 steht im Eingangsbereich des Departements Architektur eine neue Ausstellungsvitrine. Sie besticht durch ihr Retrodesign der 1970er Jahre und ihre leuchtend orange Farbe. Aus dem Begleittext geht hervor, dass es sich um ein Originalobjekt handelt, das fünfzig Jahre zuvor – fast zeitgleich wie das beherbergende HIL-Gebäude – für eine andere Schule entworfen wurde. Periscope gta Archiv ist eine Zusammenarbeit des gta Archivs mit gta Ausstellungen und zeigt wechselnde Inhalte aus dem grössten Architekturarchiv der Schweiz.
Als das Gewerbeschulhaus für die Abteilung Verkaufspersonal 1973 dem Betrieb übergeben wurde, galt es als bis dato «schnellster Schulhausbau in Zürichs Baugeschichte». Der Entwurf des Architektenpaars Rudolf und Esther Guyer ging 1967 aus einem öffentlichen Wettbewerb mit 128 Projekten hervor. Aufgrund vollständiger Vorfabrikation mit einer beschränkten Anzahl Elementtypen gelang es, nach den einjährigen Abbruch-, Aushub- und Fundationsarbeiten innerhalb von fünf Monaten ein Schulhaus für 25 Klassen mit differenziertem Raumprogramm fertigzustellen. Damals hatte ein starker Ausbau der noch städtischen Gewerbeschulen zu einem steigenden Bedarf an Schulhäusern geführt.
Die heutige Berufsschule für Detailhandel und Pharmazie wurde am bestehenden Standort in Zürich Unterstrass geplant. Die städtebauliche Situation zwischen dem bereits projektierten Portal des Milchbucktunnels und der verkehrsreichen Stampfenbachstrasse erschwerte die Ausgangslage. Rudolf und Esther Guyer reagierten auf diese Einschränkungen mit drei unterschiedlichen Gebäudetrakten, die sich um einen Pausenhof gruppieren: einem sechsgeschossigen Gebäude mit Schulzimmern, zwei übereinander liegenden Turn- und Mehrzweckhallen und einem zweigeschossigen gemischten Trakt mit Eingangshalle, Cafeteria und Spezialräumen. Aufgrund enger Platzverhältnisse wurden die Pausenplätze auf verschiedene Aussenräume verlegt, so auch auf die Dachterrassen, wo Vordächer aus Polyesterschalen vor der Witterung schützen. Diese Dachbogen und die Fensterrahmen sind in einem «intensiven Orangeton» gehalten, der einen farbigen Kontrast zum eingefärbten und sandgestrahlten Beton bietet. Anlässlich des 30-jährigen Jubiläums der Schuleröffnung kommentierte Rudolf Guyer: «Das Berufsschulhaus ist in seiner Gesamtheit ein Kind dieser Zeit.»
Zur Innenausstattung des Gewerbeschulhauses gehörten auch mehrere Wandstelen aus orange lackiertem Fiberglas mit eingelassenen Vitrinen. Im Eingangsbereich und in den Korridoren dienten sie sowohl der schulinternen Information als auch den Schaufensterdemonstrationen des angehenden Verkaufspersonals. Sie bildeten eine gestalterische Einheit mit anderen in orangem Polyester ausgeführten Elementen wie Lüftungsrohren, Kandelabern, Treppenhandläufen, Abfalleimern oder Blumentöpfen. Im Zusammenspiel mit der Signaletik des Grafikers Hansruedi Scheller funktionierten sie zudem als Orientierungspunkte im Schulgebäude.
Eine dieser originalen Ausstellungsvitrinen konnte 2023 vom gta Archiv als Schenkung übernommen werden. Sie war zuvor als Leihgabe in der Ausstellung Sprengkraft Raum: Architektur um 1970 an der ZHAW Winterthur und im Architekturzentrum Zürich zu sehen. Die Vitrine steht inzwischen im HIL-Gebäude der ETH Hönggerberg zwischen Alumni Lounge und gta Ausstellungsraum an frequentierter Stelle. In Analogie zum optischen Instrument eines Unterseeboots, das den Blick an die Oberfläche ermöglicht, trägt sie den Namen Periscope gta Archiv. Als Aussenposten des gta Archivs präsentiert sie wechselnde Archivdokumente, die normalerweise unterirdisch aufbewahrt werden. Wer hier an Yellow Submarine denkt, der liegt auch zeitlich ganz richtig.
Als «Unterseebot, wo es unheimlich wird, sobald das leise Geräusch der Apparate aussetzt» beschrieb auch Entwurfsprofessor Bernhard Hoesli das HIL-Gebäude der ETH Hönggerberg 1977 in der Zeitschrift werk-archithese. Auf dem Hönggerberg plante die ETH in den 1960er Jahren einen zweiten Standort, der Ausbau wurde 1968 vom Schweizerischen Schulrat beschlossen. Gegen den Widerstand des Lehrkörpers entschied die Schulleitung auch die Übersiedelung der Architekturabteilung. Gemeinsam mit den Entwurfsklassen zog das 1967 gegründete Institut für Geschichte und Theorie der Architektur (gta) und mit ihm das gta Archiv in den Neubau von Max Ziegler ein. Der Gebäudekomplex mit starrem Konstruktionsraster und einer Aluminiumfassade mit kupfrig schimmernder Verglasung spricht eine andere architektonische Sprache als das drei Jahre zuvor fertiggestellte Gewerbeschulhaus von Rudolf und Esther Guyer.
Periscope gta Archiv wurde als gemeinsames Projekt von gta Archiv und gta Ausstellungen initiiert, die grafische Gestaltung ist dem gta Verlag zu verdanken. Zweimal im Semester zeigt es thematische Archivalien in unterschiedlicher Präsentationsform: mal dicht ausgefüllt, mal klassisch gehängt, mal unkonventionell überraschend. Aber nie langweilig. Nach ersten Ausflügen in den architektonischen Buchdruck, durch studentische Skizzenbücher und zu künstlerischer Druckgrafik, soll gelegentlich auch ein plastisches Modell zu sehen sein. Wenngleich die Vitrine selbst ein Modell darstellt und als Pars pro Toto bereits Architektur ausstellt. Periscope gta Archiv ist Ausstellungsträger und Ausstellungsobjekt in einem. Während es als Museum in Miniatur ein Schaufenster für Exponate bietet, ist es gleichzeitig ein Stück Architekturgeschichte der 1970er Jahre und eine Reminiszenz an die Popkultur. Die Ausstellungsvitrine hat sich als glückliche Fügung erwiesen. Mehr noch, als Serendipität: Als zufällige, unerwartete Entdeckung, die gefunden wurde ohne zu suchen; die Neugier weckt, dem Unerwarteten nachzugehen und dabei interessante Zusammenhänge bereithält.
Weitere Hinweise
Der Vorlass des von 1959 bis 1999 tätigen Architekturbüros von Rudolf und Esther Guyer wurde 2023 vom gta Archiv übernommen, er wird aktuell archiviert und inventarisiert. Im gleichen Jahr wurde die Ausstellungsvitrine als Schenkung der Berufsschule für Detailhandel und Pharmazie Zürich dem gta Archiv überlassen.
Periscope gta Archiv ist eine Zusammenarbeit des gta Archivs mit gta Ausstellungen und kann während der Gebäudeöffnungszeiten im gta Foyer im HIL-Gebäude der ETH Hönggerberg besichtigt werden.