Wie man ganz «einfach» zu einem ETH-Diplom kommt

Vor sechs Jahren erschien auf ETHeritage ein Artikel, der zeigte, dass die Matrikel der Studierenden eine Fundgrube für interessante Beilagen sein können. Heute wollen wir einen Blick in eine weitere neue Matrikel werfen, deren Beilagen sich mit einem Verbrechen beschäftigen.

Wer an der ETH Zürich studiert und die Diplomprüfung bestanden hat, war seit der Gründung der Hochschule berechtigt, den Titel «Dipl. ETH» zu führen. Dabei konnte man sich auf die Diplomprüfungsordnung berufen, die für die gesamte ETH Zürich galt. Auch auf Departementsstufe war klar geregelt, welche Bedingungen für das Erlangen eines Diploms erfüllt sein mussten. Unter anderem mussten die erste und zweite Vordiplomprüfung bestanden sein, um zur Schlussdiplomprüfung zugelassen zu werden. Wer die Diplomprüfungen (zwei Vordiplomprüfungen und eine Schlussdiplomprüfung) nicht bestand, aber die Regelstudienzeit absolviert hatte, verliess die Hochschule mit einem Abgangszeugnis und der Berechtigung, den Titel des Studiengangs mit dem Zusatz «ETH» zu führen.

Im Folgenden soll der Fall Jacques Lehner betrachtet werden, der von 1918 bis 1922 an der ETH in der Abteilung III, Maschinenbauingenieurschule, studierte. Er bestand seine zweite Vordiplomprüfung zweimal nicht und wurde deshalb nicht zur Schlussdiplomprüfung zugelassen. Trotzdem wäre er berechtigt gewesen, den Titel «Maschinenbauingenieur ETH» zu führen.

Die «Angelegenheit Lehner» wie sie auf drei Notizzetteln des Rektorats, die als Beilage in Lehners Studentenmatrikel zu finden sind, zeigt jedoch, dass dies für ihn scheinbar nicht ausgereicht hat. Am 13. Oktober 1925 wurde anonym Anzeige beim Rektorat der ETH Zürich erstattet, dass Jacques Lehner sich ein Diplom der ETH hat fälschen lassen. Dazu habe Lehner das Diplom eines Kommilitonen Konrad Gisler zum Lithografen Hans Doelker gebracht, der für ihn eine Fälschung angefertigt habe.

Beilage Studentenmatrikel Jacques Lehner, S. 1
(ETH-Bibliothek, Hochschularchiv, EZ-REK1/1/16855)

Den kompletten Ablauf des Straffalles, bei welchem definitiv nicht immer alles rund lief, lässt sich anhand der Notizen in der Matrikel herleiten:

  • 13.10.1925: Das Rektorat erhält telefonisch eine anonyme Anzeige wegen der Fälschung des Diploms von Jacques Lehner.
  • 14.10.1925: Das Rektorat meldet diese Anschuldigung der Stadtpolizei, zuständig ist Detektiv Wyler.
  • 17.11.1925: Das Rektorat erhält einen anonymen Brief.
  • 21.11.1925: Der Brief wird Detektiv Wyler übergeben. Dieser berichtet, dass er Lehner noch nicht zum Sachverhalt befragen konnte. Wyler hat bereits mit den Gislers gesprochen und traut ihnen so etwas nicht zu.
  • 21.11.1925: Eine Frau Lincke kommt mit ihrem Anwalt an die ETH, um Angaben zum Fall zu machen. Detektiv Wyler ist nicht erreichbar.
  • 23.11.1925: Wyler erhält die Kontaktdaten von Frau Lincke.
  • 29.11.1926: Das Rektorat erkundigt sich nach dem Stand der Ermittlungen. Es wird mitgeteilt, dass der Fall polizeilich erledigt sei, da er inzwischen der Bezirksanwaltschaft übergeben worden sei.
  • 30.11.1926: Detektiv Wyler teilt dem Rektorat mit, dass er die Sache vergessen habe, aber die Ermittlungen wieder aufnehme.
  • 09.02.1927: Die ETH erkundigt sich telefonisch beim Polizeiinspektorat, ob der Fall an die Bezirksanwaltschaft weitergeleitet worden sei. Am gleichen Tag meldet sich Detektiv Wyler beim Rektoratssekretär mit der Bitte, keine Anzeige gegen ihn zu erstatten.
  • 19.03.1928: Die ETH erkundigt sich erneut bei der Polizei nach dem Stand der Ermittlungen. Die Polizei wird dies abklären.
  • 20.03.1928: Detektiv Wyler meldet sich bei der ETH: Er habe die Sache wieder vergessen. Die ETH stellt ihm ein Ultimatum von 3 Wochen.
  • 28.04.1928: Die ETH erkundigt sich erneut, diesmal schriftlich, bei der Polizei nach dem Stand der Dinge.
  • 29.05.1928: Der Brief vom 28.04.1928 wird an die Polizei weitergeleitet.

Ende Mai 1928 enden die Notizen, dafür findet sich in den Akten des Schweizerischen Schulrats ein Brief vom 6. Juni 1928 an den Präsident Rohn. Darin wird mitgeteilt, dass die Akten «i.S. gegen Jacques Lehner & Konsorten betr. Urkundenfälschung» der Bezirksanwaltschaft übergeben wurden. Weiters wurde gegen Detektiv Whiler [sic!] ein Disziplinarverfahren wegen der «unverantwortlichen Vernachlässigung und Verschleppung des Falles» eingeleitet.

Brief an den Präsidenten des Schweizerischen Schulrats Arthur Rohn vom 6. Juni 1928
(ETH-Bibliothek, Hochschularchiv, SR3:1928, Nr. 945)

Am 6. Juli fand schliesslich die Gerichtsverhandlung in Sache «E.T.H. Zürich gegen Lehner Jakob betr. Urkundenfälschung» statt. Arthur Rohn, der damalige Schulratspräsident, wurde als Zeuge geladen. Leider endet hier die Dokumentation, die sich in der Studentenmatrikel findet.
Um Informationen über den Ausgang des Gerichtsverfahrens zu erhalten, müssen die Akten im Staatsarchiv Zürich konsultiert werden. Dort findet sich im Strafbuch in Strafsachen, 3. Abteilung (Signatur StAZH Z 878.13.2) das Urteil des Prozesses. Sowohl Jakob Lehner als auch Konrad Gisler wurden angeklagt: Gisler wegen Urkundenfälschung, Lehner wegen Anstiftung dazu. Der Lithograph Doelker war inzwischen verstorben und konnte nicht mehr angeklagt werden.


Die beiden Herren argumentierten vor Gericht unter anderem damit, dass es sich bei der Fälschung nicht um eine böswillige Fälschung gehandelt habe, sondern vielmehr um ein Mittel zum Zweck, um vor dem Vater von Lehner «fein raus» zu sein. Die Tragweite ihres Handelns schien den beiden jedenfalls nicht bewusst gewesen zu sein, was auch vom Gericht anerkannt wurde. Deshalb, und weil beide nicht vorbestraft waren, wurden sie schliesslich in einer Sitzung vom 25. September 1929 nur zu drei Tagen Gefängnis und einer Busse von 50 Franken verurteilt. Die Gerichtskosten von 40 Franken wurden zu gleichen Teilen den beiden Angeklagten auferlegt.

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