Es geht unter die Haut!

Original-Artikel von Katrin Gygax; Übersetzung von Alexandra Cron

Wie bringt man der Öffentlichkeit wissenschaftliche Innovationen näher und unterstützt gleichzeitig Künstlerinnen und Künstler? Die Antwort liegt bei Organisationen wie dem Schering-Institut, die sowohl Life Sciences als auch die Gegenwartskunst fördern – wie das Projekt “The flux under your skin”, das derzeit in focusTerra an der ETH Zürich zu sehen ist.

Blick von oben auf die Black Box
Die Ausstellung in der Haupthalle von focusTerra (ETH Zürich / Andreas Eggenberger)

Die Installation, die aus der langjährigen Zusammenarbeit zwischen der Biowissenschaftlerin Simone Schürle und der Künstlerin Susanne M. Winterling entstanden ist, wurde in einer Black Box mit Gaming-Stuhl und Controller untergebracht. Auf den ersten Blick wirkt das Ganze wie ein äusserst hochwertiger 3D-Platformer: Man bewegt ein U-Boot-ähnliches Objekt zwischen verflochtenen, roten Gewebefasern, sammelt dabei leuchtende grüne Objekte ein und transportiert sie zu den Ablagestellen. Doch schnell wird klar, dass es mehr ist als ein Spiel. Es ist eine immersive Reise durch ein mikroskopisch kleines Reich. Man transportiert Bakterien zu Krebszellen – und je mehr man abliefert, desto mehr Tumore werden zerstört.

Drei Personen in der Black Box
Drei Spieler spielen das Spiel (ETH Zürich / Andreas Eggenberger)

Doch eigentlich beginnt die Geschichte dieser Installation vor über 130 Jahren mit dem Knochenchirurgen William B. Coley. Als Pionier der Krebsbehandlung hatte er mit seinem innovativen Ansatz in der Immuntherapie einen tiefgreifenden Einfluss. Er verabreichte einem Patienten Bakterien, um eine Infektion hervorzurufen und so einen bösartigen Tumor zum Schrumpfen zu bringen. Sein Experiment funktionierte und gilt heute als eines der ersten Beispiele einer Immuntherapie. Coley setzte die Erforschung und Anwendung dieser bahnbrechenden Methode fort, doch die medizinische Welt war skeptisch. Das sogenannte Coley-Toxin fiel ausser Gebrauch. Die moderne Immunologie hat Coleys Prinzipien natürlich inzwischen bestätigt. Doch auch heutige Methoden kommen Normalsterblichen wie mir mitunter magisch vor, genauso wie Coleys Zeitgenossen am Ende des 19. Jahrhunderts.

Susanne M. Winterling und Simone Schürle
Künstlerin Susanne M. Winterling und Wissenschaftlerin Simone Schürle (von links nach rechts) (ETH Zürich / Andreas Eggenberger)

Die ETH-Forscherin Simone Schürle nimmt mit ihrem Ansatz zur Behandlung von bakteriellen Tumoren im Nanobereich eine Vorreiterrolle ein. Eine wunderbare Geek-Wissenschaft: In ihrer Postdoc-Phase am MIT widmete sich Schürle der Frage, wie man Krankheitserreger erforschen kann und Medikamente über das Blut in die Zellen bringt, wo sie gebraucht werden. Im Nanobereich ist es schwierig, ein Objekt durch das Blut zu transportieren. Der Strömungswiderstand ist zu stark. Anstatt also symmetrisch mit zwei Armen oder Flossen wie wir grösseren Wesen zu schwimmen, schlängeln sich Bakterien mittels einer Art Geissel, dem Flagellum, voran. Für ihre Zwecke baut Schürle im Grunde Roboterbakterien samt Flagellen und überträgt die Eigenschaften lebender Wesen auf Roboter.

Schürles Team vom Responsive Biomedical Systems Lab der ETH Zürich arbeitet derzeit an einem magnetischen Kontrollsystem, das spezifische Bakterien direkt an die Tumorstellen im Körper steuert. Bei ihrer Lösung bekommen die Bakterien einen “Rucksack” mit therapeutischen Medikamenten auf ihre Membran gepackt, den sie geschickt über ein Magnetfeld manövrieren und dadurch präzise an das gewünschte Ziel bringen: den Krebstumor. Vor allem die Magnetfelder, die bei dieser innovativen Technik zum Einsatz kommen, sind völlig unbedenklich und reichen bei Bedarf bis tief ins Innere des Körpers. Dies verspricht eine gezielte und effizientere Behandlungsstrategie für Tumore und könnte die Krebstherapie revolutionieren.

Besuchende in der Ausstellung
An der Vernissage der Ausstellung (ETH Zürich / Andreas Eggenberger)

Das bringt uns zurück zu Susanne M. Winterlings Installation, die diesen Prozess anhand von computergenerierten Projektionen wiedergibt. Dunkles Blutrot und fluoreszierendes Grün zeigen an, was sich auf der Nanoebene in unserem Körper abspielt. Das Klima im Inneren der Black Box wird sorgfältig gesteuert, um die Temperatur auf 37 °C zu halten, was die wesentlichen Bedingungen für das menschliche Leben simuliert. Während das Publikum dicht an dicht auf eine Wendung im Spiel wartet, wird die Installation langsam zu einer physischen, räumlichen – und warmen – Erfahrung des Miteinanders – so, als würden sich alle denselben Körper teilen.

Im Dunklen inneren der Black Box
Das Innere des “Raums” (ETH Zürich / Andreas Eggenberger)

Indem die Installation die Welt der therapeutischen Bakterien in den Blickpunkt rückt, hebt sie zugleich deren lebensrettendes Potenzial hervor. Sie spiegelt die Komplexität eines hochmodernen, biomedizinischen Prozesses wider und lädt uns ein, diese winzigen Krieger auf eine aufregende Reise durch den menschlichen Körper zu schleusen. Sie verbindet Kunst mit Wissenschaft und verwischt die Grenzen zwischen Realismus und Abstraktion in einer immersiven Erfahrung, die das Publikum auffordert, seine Wahrnehmung der mikroskopischen Welt in unserem Körper neu zu bewerten.


“The flux under your skin” ist noch bis 29. November 2023 in focusTerra, dem Earth & Science Discovery Center der ETH Zürich, zu sehen.

Weitere Informationen zur Ausstellung

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