Wer heute von der Deutschschweiz ins Tessin will, kann bequem mit dem Auto oder dem Zug durch einen Tunnel fahren. Vor der Eröffnung des Gotthardtunnels im Jahr 1882 musste der mühsame Weg durch enge Schluchten und über reissende Bäche über den Gotthardpass genommen werden.
Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde der Weg vom Kanton Uri über den Gotthardpass ins Tessin befahrbar gemacht. Der mittelalterliche Gotthardweg genügte den steigenden Verkehrsbedürfnissen nicht mehr und andere, bereits ausgebaute Passstrassen wie über den Simplon, Splügen oder San Bernardino wurden zur Konkurrenz.
Die neue Strasse vom Vierwaldstättersee bis ins Tessin wurde 1830 eröffnet. Zu diesem Anlass erschien das Werk «Zwölf Ansichten der neuen St. Gotthards-Strasse» mit Landschaftsillustrationen aus der Hand des Schweizer Malers, Zeichners und Radierers Joseph Meinrad Kälin (1792 – 1834). Ergänzt wurden die Bilder durch naturkundliche, geographischen und historischen Beschreibungen der Gegend, durch welche diese neue Strasse führt. Verfasst wurden diese Texte von einem Einheimischen, dem Altdorfer Arzt und Politiker Karl Franz Lusser (1790-1859). Er interessierte sich für Urner Geografie und Landeskunde, veröffentlichte Schriften zur Geschichte des Kantons Uri, war Mitglied der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft und später Landammann.
Vom Säumerweg zur Postkutschenstrasse
«Wo früher mit bedächtigem Schritt das Saumross unter tausend Flüchen und Schlagen des rohen Säumers über den rauhen und unebenen Felsenpfad die Kaufmannswaaren auf wundem Rücken trug, da knarrt jetzt der reichbefrachtete Wagen, und leicht und sicher rollen auf beynahe ebener Strasse die Kutschen der Reisenden dahin» (S. 3)
Über die Geschichte der Fahrbarmachung des Gotthardpasses und wie es in dem verarmten Kanton Uri überhaupt möglich wurde ein solches Bauwerk zu realisieren, darüber schreibt Lusser in der Einleitung:
«Es wurde ein Plan entworfen, Geld auf dem Wege von Actien aufzunehmen, aus dem Ertrage des Zolles dasselbe zu verzinsen und zugleich nach und nach abzubezahlen. Am ersten Sonntag im May 1820 wurde in versammelter Landsgemeinde die Sache dem Volke vorgelegt und erörtert. Dieses, gewohnt, sich von seinen selbstgewählten Vorstehern väterlich geleitet zu sehen, beschloss fast einmüthig die Fahrbarmachung der Strasse von Amstäg bis Göschinen. […] Der Bau wurde bald hierauf begonnen und im Herbst 1822 nach dem Plane des Tessinischen Staatsraths Meschini vollendet; freylich nicht ganz zur allgemeinen Zufriedenheit, indem mehrere Stellen bald wieder einstürzten und neu gebaut werden mussten, woraus unangenehme Streitigkeiten entstanden.» (S. 2)
Auf der neuen breiten Strasse konnten nun auch schwere Lastfuhrwerke fahren und kreuzen und bereits im ersten Jahr rollten mehrere hundert Kutschen über den Pass.
Die neue Teufelsbrücke
Als Teil des neuen Verkehrsweges wurde in der Schöllenenschlucht eine neue Brücke über die Reuss gebaut. Diese zweite Teufelsbrücke wurde 1830 fertiggestellt und besteht heute noch, wo sie für den Langsamverkehr genutzt wird. Die bis dahin bestehende erste Teufelsbrücke wurde nach der Eröffnung der neuen Brücke dem Verfall preisgegeben und stürzte 1888 ein. Auf der Ansicht von Kälin sind noch beide Brücken zu sehen.
Die Reise mit den einzelnen im Buch beschriebenen und illustrierten Stationen von Flüelen am Vierwaldstättersee bis nach Hospental und auf den Gotthardpass kann auf ETHorama auf einer Karte nachvollzogen werden. Genauso wie die weitere Strecke vom Hospiz auf dem Gotthardpass durch das Tessin bis nach Lugano, die 1833 unter dem Titel «Funfzehn Ansichten der neuen St. Gotthards-Strasse vom St. Gotthard-Hospiz bis Lugano» von Lusser und Kälin beschrieben und illustriert wurde.
Meinrad Kälin, Franz Karl Lusser 1830: Zwölf Ansichten der neuen St. Gotthards-Strasse. Zürich: Heinrich Füessli und Comp. https://doi.org/10.3931/e-rara-23397