Aus dem Nähkästchen eines Erschliessungsprojekts

Das Erschliessungsprojekt FErETH wurde am 30. Juni 2022 beendet. In den letzten drei Jahren haben wir die Verwaltungsakten der ETH und des ETH-Rats archivisch erschlossen. Dies mag auf den ersten Blick äusserst trocken klingen und doch es waren oft die am eintönigsten Bestände, in welchen sich amüsante kleine Trouvaillen finden liessen. Zwei dieser Funde möchte ich hier präsentieren.

Am 17. November 1939 schrieb Linus Birchler, Professor für Baugeschichte und allgemeine Kunstgeschichte, einen Epilog für den Protokollband der Abteilungskonferenz der Architekturabteilung (heute D-Arch). Darin geht er in Gedichtform auf die Entstehung des Bandes ein:

Her Lasius schrieb noch von Hand

Den ersten Teil von diesem Band.

Wir tippen im Galopp die Seiten.

Recht schwer war es, die grossen, breiten

Maschinenblätter einzukleben,

Denn das Format verlangte eben,

Dass man die Blätter erst beschnitt

Und dann mit Kleister oder Kitt Mühselig leimte, ‘s war ein Graus.

Unförmlich sieht der Band drum aus.

(ETH Bibliothek, Hochschularchiv, EZ-11/094)

Er reflektiert aber auch das Zeitgeschehen und übt Medienkritik:

Begonnen ward es anno Zwanzig.

Da stand der Völkerbund im Lanzig.

Der erste Weltkrieg war zu Ende.

Man stand an einer Zeitenwende.

«Abrüstung!» hiess es, «habt Vertrauen»!

Treuherzig alle Blicke schauen.

In jener Zeit, der guten alten,

Wars Brauch, Verträge einzuhalten.

Heut siehts einwenig anders aus.

Verdunkelung probt jedes Haus.

Verdunkelt hat sich leider auch

Das Denken, kommt bald ausser Brauch.

Das Radio ersetzt das Denken.

(ETH Bibliothek, Hochschularchiv, EZ-11/094)

Im Anschluss an den Epilog stellten die Protokollanden ihr künstlerisches Talent unter Beweis. Es sind noch drei Portraitskizzen eingeklebt.

Um unsere Schreibkunst zu zeigen,

Signiert ein jeder hier höchsteigen,

so schön er’s fertig bringt. Dabei

Steht ein jeden Konterfei.

(ETH Bibliothek, Hochschularchiv, EZ-11/094)

Bild1

Portraitskizzen der Protokollanden der Abteilungskonferenzen der Architekturabteilung

(ETH Bibliothek, Hochschularchiv, EZ-11/094)

Während das zeichnerische Talent höchst ansehnlich ist, lässt die Schreibkunst doch zu wünschen übrig. Die Signaturen sind nur schwer zu entziffern und man ist froh, haben sie sich dazu entschlossen, die Protokolle auf der Schreibmaschine zu schreiben.

Im nächsten Band der Abteilungskonferenz-Protokolle (ETH Bibliothek, Hochschularchiv, EZ-11/095) schrieb Birchler ein Vorwort, und zwar ganz im mittelalterlichen Stil. Hier ist sein Schreibtalent offensichtlich. Von Schrift bis Vokabular und Formulierung ahmt er die mittelalterliche Schreibweise nach.

Bild2

Das Vorwort zum zweiten Band der Abteilungskonferenz-Protokolle der Architekturabteilung,

von Linus Birchler.

(ETH Bibliothek, Hochschularchiv, EZ-11/095)

Aber nicht nur der Professor für Baugeschichte liess seiner Kreativität zeitweilen freien Lauf, auch ein Doktorand fand im Hinblick auf seinen Abschluss Anlass zur Dichtung.

In den Doktorandendossiers wurden die administrativen Unterlagen von der Anmeldung bis zum Abschluss des Doktorats gesammelt. Meist handelt es sich dabei um dieselben fünf Dokumente: Den Anmeldebogen, den Antrag zum Abschluss, die Rezensionen des Referenten und Korreferenten, ein Personalien-Blatt und die briefliche Bestätigung des Abschlusses.

Bild3

Doktorandendossier (ETH Bibliothek, Hochschularchiv, EZ-2.4/05229)

 

Doch besagter Doktorand fand 1974 nach seinem Abschluss die Zeit einen kurzen humoristischen Lebenslauf zu verfassen. Er beschreibt sich dabei als «Homo sapiens doctusque, eloquens, musis familiaris, militaris et saepe examinatus» (Weiser und gebildeter Mann, beredt, den Künsten vertraut, militärisch und häufig geprüft.) Wobei er die einzelnen Elemente im Anschluss relativiert:

Homo: Auch ein zukünftiger Doktorand der Naturwissenschaften ist den biologischen Gesetzen unterworfen; wie es also zum «Homo» kam, ist in jedem einschlägigen Lehrbuch nachzulesen. Beginn meiner Entwicklung: Im Praelambrium, bei Adam oder Anfangs Juni 1945, je nach Gesichtspunkt.

Sapiens: «Sapiens» bezeichnet hier eher die gesamte Menschenrasse als das einzelne, hier betrachtete Individuum. Siehe immerhin noch unter «Doctus»!

Doctus: Neben der körperlichen Entwicklung, die bereits unter «Homo» erschöpfend behandelt wurde, ist auch eine gewisse geistige und kulturelle Entfaltung zu verzeichnen. Angefangen hat sie in den ersten Lebensjahren, als ich von den Eltern erzogen wurde. Später kamen auch die Lehrer hinzu, die auf dem noch brach liegenden geistigen Feld herumpflügten und Weisheit säten. Nach 12 ½ Schuljahren erntete ich das Praedikat «maturus».

Eloquens: Das ist leicht übertrieben. Insbesondere in den fremden Sprachen bin ich nicht sehr redegewandt.

Musis familiaris: Das ist stark übertrieben. Von musischen Künsten, hauptsächlich Musik und Poesie, verstehe ich gar nichts.

Militaris: Mit 20 Jahren bin ich ins Kriegshandwerk eingeführt worden. Ich habe es erlernt und bin auf steiler Leiter bis zum Korporal emporgestiegen. Meine Spezialität: Herunterschiessen von feindlichen, nicht zu hoch, nicht zu tief und nicht zu schnell fliegenden Flugzeugen.

Examinatus: Bei den zahlreichen Prüfungen und Examen, die mir bisher auf meinem Lebensweg begegnet sind, bin ich erst ein einziges Mal durchgefallen: bei der Autofahrprüfung. Auch diese Scharte ist bereits wieder ausgewetzt!

(ETH Bibliothek, Hochschularchiv, EZ-2.4/05229)

Es sind solche Kleinigkeiten, Zeugnisse eines längst vergangenen Amüsements, die mir den Arbeitstag versüssen und mich zum Schmunzeln bringen. Das Schöne an der Erschliessungsarbeit ist: man weiss nie was man entdecken wird und es gibt immer wieder Überraschungen.

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