Die ETH als eine Art Unterabteilung der Fremdenpolizei? – Der Streit zwischen einem Nobelpreisträger und der ETH

Kurz nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs reist Wolfgang Pauli für eine Gastprofessur nach Princeton. Während des Aufenthalts in den USA kommt es zu wachsenden Auseinandersetzungen zwischen der ETH Zürich und dem theoretischen Physiker.

Pauli lehrt bereits seit mehr als zehn Jahren an der ETH Zürich, als Österreich 1938 ins Dritte Reich eingegliedert wird. Als Sohn eines konvertierten Juden gilt der Physiker nach den Rassegesetzen der Nationalsozialisten als „Halbjude». Ein erstes Einbürgerungsgesuch wird im April 1938 aus formalen Gründen abgewiesen, worauf Pauli einen deutschen Pass beziehen muss. Ein zweites Einbürgerungsgesuch ist in Bern noch hängig, als in der Sitzung des Schweizerische Schulrats vom 20. Juni 1940 sein Urlaubsantrag für die Gastprofessur behandelt wird.

„Der Präsident: Prof. Pauli hat von der University of Princeton (U.S.A.) das Angebot betr. Übernahme einer Gastprofessur für das Wintersemester 1940/41 erhalten. Ferner wurde er zur Teilnahme an einem Kongress der Columbia University in New York im September d.J. eingeladen. Offenbar würde Prof. Pauli diese Einladungen mit Rücksicht auf die nächste unsichere Zeit gerne annehmen.“

Der Urlaub wird vom Schulrat bewilligt, das Einbürgerungsgesuch hingegen wird von der zuständigen Behörde abgelehnt. Auf Anfrage des Schulratspräsidenten begründet  Heinrich Rothmund, Chef der Polizeiabteilung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements, den ablehnenden Bescheid damit, dass Pauli nicht assimilierbar sei.

Wolfgang Pauli ca. 1945 (ETH-Bibliothek, Bildarchiv, Portr_01042, DOI:
10.3932/ethz-a-000045505)

Wolfgang Pauli kann die Gastprofessur an der University of Princeton antreten und reist in die USA ab. Als sich das Semester dem Ende zuneigt und kein Kriegsende in Sicht ist, beantragt er eine Verlängerung des Urlaubs. In der Schulratssitzung vom 9. April 1941 wird der Urlaub zwar mit Hinweis auf die wissenschaftlichen Qualitäten des theoretischen Physikers um ein ganzes Jahr verlängert. Der Schulrat weist jedoch auf das Problem hin, dass Paulis Unterricht an der ETH von einem Kollegen der Universität Zürich übernommen werden muss.

Als Pauli eine weitere Verlängerung des Urlaubs fordert, wird der Ton auf Seiten des Schulrats schärfer:

„Im Herbst letzten Jahres hat mich Prof. Scherrer auf den Nachteil der längern Abwesenheit von Prof. Pauli für die physikalische Forschung und den Unterricht an unserer Hochschule aufmerksam gemacht, weshalb ich Prof. Pauli am 21. Oktober 1941 bat, wenn immer möglich seinen Unterricht zu Beginn des Sommersemesters 1942 an unserer Hochschule wieder aufzunehmen. Allerspätestens, fügte ich bei, würden wir seine Rückkehr auf den Beginn des Wintersemesters 1942/43 erwarten. Sollte Prof. Pauli sich für ein Verbleiben in den U.S.A. entscheiden, so müssten wir eine Wiederbesetzung seines Lehrstuhles an der E.T.H. spätestens auf den 1. Oktober ds. J. in Aussicht nehmen.

Auf diesen Brief vom 21. Oktober 1941 hat Prof. Pauli bis heute nicht geantwortet. Es ist infolge der neuesten politischen Entwicklungen jedoch nicht damit zu rechnen, dass er auf den Beginn des kommenden Sommersemesters wird zurückkehren können. Wir müssen ihm unter diesen Umständen für das Sommersemester 1942 erneut einen Urlaub bewilligen.“

Die in der Schulratssitzung vom 13. Februar 1942 genannten „neusten politischen Entwicklungen“ betreffen den Kriegseintritt der USA auf Seiten der Alliierten vom 7. Dezember 1941. Eine Tatsache, die Paulis Rückkehr in die Schweiz verunmöglicht, wie er in einem Brief an den Schulratspräsidenten erläutert.

„Hiezu moechte ich erklaeren, dass ich gerne gewillt bin, soweit dies von meinem freien Willen abhaengt, meinen Anstellungsvertrag der Eidg. Technischen Hochschule gegenueber zu erfuellen, d.h. meinen Unterricht wieder aufzunehmen. Leider haengt jedoch die Durchfuehrung meiner Rueckreise nicht allein von meinem freien Willen ab, da ich nicht Traeger eines Schweizer Passes bin (mit dem auch heute eine Rueckreise moeglich ist), sondern von den englischen und amerikanischen Behoerden als Angehoeriger eines kriegsfuehrenden feindlichen Staates im militaerpflichtigen Alter behandelt werde. Es scheint mir, dass Sie, sehr geehrter Herr Schulratspraesident, in Ihrem Brief die Wichtigkeit dleser Tatsache, offenbar in Unkenntnis der Sachlage, nicht beruecksichtigt haben.“

Erste Seite des Briefes von Wolfgang Pauli an den Präsidenten des Schweizerischen Schulrats vom 14.1.1942 (ETH-Bibliothek, Hochschularchiv, SR3:1942 Reg. Nr. 221.2 Aktennr. 759/Ad. 1)

Die Fronten verhärten sich weiter. Obgleich Wolfgang Pauli nicht in die Schweiz zurückkehren kann, diskutiert der Schweizerische Schulrat, wie sie ETH sich Paulis entledigen kann. Pauli wird mitgeteilt, dass «er nach Schluss seiner laufenden Amtsdauer, d.h. nach Ende März 1948, nicht mehr wiedergewählt werde» (Schulratssitzung vom 19. September 1942). Die Begründung: „Sollten Sie erst nach dem Krieg wieder zurückkehren, so wäre aber auch ihre moralische Autorität als Hochschullehrer zweifellos sehr geschwächt.» Daraufhin droht Pauli in einem Brief vom 14. April 1943 mit einem Disziplinarverfahren. Im Schulrat wird nun der Antrag diskutiert, Verhandlungen mit Pauli aufzunehmen, um bereits vor 1948 eine Auflösung des Anstellungsvertrags zu erreichen. Mit einem Stichentscheid setzt der Schulratspräsident nur knapp eine weitere Verlängerung des Urlaubs durch. (Schulratssitzung vom 10. Juli 1943).

Nach der Kapitulation Deutschlands und angesichts des nahenden Kriegsendes weist Schulratspräsident Rohn in der Schulratssitzung vom 2. Juni 1945 darauf hin, dass eine schwierige Situation entstehen werde, wenn Pauli tatsächlich in die Schweiz zurückkehren, drei Jahre unterrichten und dann 1948, wie vom Schulrat angedroht, nicht wiedergewählt würde.

„Es wäre in der Tat sehr ungünstig, wenn Professor Pauli seinen Unterricht wieder aufnehmen würde. Es sollte deshalb der Bundesrat ersucht werden, ihm die Besoldung bis Ende März 1948 auszuzahlen, auch wenn er nicht liest.“

Der zuständige Bundesrat, Philipp Etter, nimmt in einem Brief vom 13. September Stellung.

„Le soussigné estime qu’il n’est possible ni juridiquement, ni financièrement, d’empêcher le Prof. Pauli d’occuper sa chaire et d’enseigner.

Juridiquement il faut constater que M. Pauli est un professeur régulièrement nommé. […] De même qu’il n’y a pas de motif suffisant pour retirer – avant 1948 son traitement à M. Pauli, s’il peut de nouveau s’établir à Zürich, de même il n’y a pas de motif non-plus pour empêcher ce professeur d’enseigner jusqu’à mars 1948, s’il exige d’exercer la charge, à laquelle il a été nommé, et pour laquelle il sera payé.“

Obgleich die Lage nun rechtlich geklärt ist und alles auf die Rückkehr des Physikers hinweist, erreicht die Gehässigkeit in der Schulratssitzung vom 10. November 1945 einen letzten Höhepunkt, als ein Brief Wolfgang Paulis an seinen Kollegen Paul Scherrer verlesen wird.

Die Abschrift des Briefs von Wolfgang Pauli an Paul Scherrer vom 14. Juli 1945, die in der Sitzung des Schweizerischen Schulrats vom 10. November 1945 verlesen wird (ETH-Bibliothek, Hochschularchiv, SR3:1945, Reg. Nr. 221.2 Aktennr. 4876 Ad. 2)

„Das Institut in Princeton hat mir nun offiziell die infolge Einsteins Rücktritt aus Altersgründen frei gewordene Professur angeboten. Meine Kollegen vom Institut und dessen Direktor haben mir keine Frist für meine Entscheidung gestellt und meinem Standpunkt zugestimmt, es sei meine Pflicht, zunächst in die Schweiz zu fahren, nachdem ich doch fünf Jahre erklärt habe, dorthin zurückzukommen.

Was finden Sie jetzt Scherrer? Ich finde, ich Reise nach Zürich, was immer meine Entscheidungen dort sein werden, so steht fest, dass das, was man sich während der Hitler-Konjunktur in der Schweiz mit trüben Methoden gegen mich herausgenommen hat, mit Anstand gut gemacht werden wird, andernfalls werde ich der ETH zur Einsicht verhelfen, dass sie für ihren moralischen Ruf in der Gemeinschaft aller Hochschulen wird besorgt sein müssen … Wann beginnen und enden jetzt die Semester an der ETH? Geben nun wieder wissenschaftliche Motive den Ausschlag an den Schweizer Hochschulen, oder sind sie definitiv eine Art Unterabteilung der Fremdenpolizei geworden mit Herrn Rothmund als de facto Rektor plus Schulratspräsident Rohn als offiziellen Serenissimus?“

Die Wut Paulis auf den Schulrat und seine Verletzung wegen der Nichteinbürgerung sind im Schreiben deutlich zu spüren. Auch bei den Mitgliedern des Schweizerischen Schulrats gehen die Emotionen hoch. Es kommt aber auch die Hoffnung auf, dass Pauli die Einladung Princetons annehmen könnte und in den USA bleibt.

Wie angekündigt, kehrt Wolfgang Pauli im Frühling 1946 tatsächlich nach Zürich zurück. Mit grossem Erstaunen berichtet der Schulratspräsident in der Schulratssitzung vom 4. Mai 1946 von seinem Zusammentreffen mit dem Physiker:

„Prof. Dr. Pauli ist in der ersten Hälfte April 1946 wieder in der Schweiz eingetroffen. Infolge eines kurzen Ferienaufenthaltes konnte ich ihn erst am 23. April 1946 empfangen.

Ich war erstaunt über die Änderung seines Wesens und seiner Gesinnung. Während er früher und auch während seines Aufenthaltes in den U.S.A. oft arrogant war, war er nunmehr seltsam mild und bescheiden in seinem Auftreten, sodass unsere Unterhaltung einen ganz andern Verlauf nahm, als ich auf Grund unseres Briefwechsels der letzten Jahre vorausgesetzt hatte.“

Für seinen Verbleib an der ETH stellt Pauli zwei Bedingungen: die rasche Einbürgerung und eine Wiederanstellung auf 10 Jahre. Was wohl noch kurz zuvor die Gemüter des gesamten Schulrats erregt hätte, wird nun mit „nur zwei Bedingungen“ heruntergespielt. Der Schulratspräsident bemüht sich sehr, die Bedingungen zu erfüllen.

Dass sich die gegenseitigen Animositäten derart rasch in Minne auflösen, kann einzig mit der Tatsache erklärt werden, dass Wolfgang Pauli inzwischen den Physiknobelpreis erhalten hat. Sein Wert für die ETH steigt dadurch enorm.

Telegramm an die ETH mit Bitte um Informationen zum frisch gekürten Nobelpreisträger vom 17.11.1945 (ETH-Bibliothek, Hochschularchiv, SR3:1945 Reg. Nr. 221.2 Aktennr. 5963)

Einzig Ernst Bärtschi, das Schulratsmitglied, das Pauli während der gesamten Affäre stets am schärfsten kritisiert hat, nimmt auch jetzt kein Blatt vor den Mund:

„Die Erfahrungen, die wir mit Pauli bisher gemacht haben, müssten uns nahe legen, ihn ziehen zu lassen, wenn er nicht seit seinem Wegzug den Nobelpreis erhalten hätte, und wenn bei ihm nicht wirklich eine innere Wandlung stattgefunden hätte. Ich kann nicht beurteilen, ob er durch die Verleihung des Nobelpreises assimilierbarer geworden ist!“

1949 wurde Pauli endlich eingebürgert. Er blieb der ETH Zürich als Forscher und Dozent treu bis zu seinem überraschenden Tod im Jahre 1958.

 

Literatur

Charles P. Enz, Beat Glaus, Gerhard Oberkofler (Hrsg). Wolfgang Pauli und sein Wirken an der ETH Zürich: Aus den Dienstakten der Eidgenössischen Technischen Hochschule. Zürich, 1997.

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