Der Architekt Ernst Egli (1893-1974) ist für vieles bekannt. Von 1924 bis 1927 arbeitete er als Assistent an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Von 1927 bis 1940 war er Chefarchitekt in verschiedenen türkischen Ministerien und Leiter der Architekturfakultät der Akademie der Künste in Istanbul. Von 1942 bis 1963 lehrte er Theorie und Geschichte des Städtebaus an der ETH Zürich. In diesem Blog geht es aber nicht um seine architektonischen Leistungen, sondern um seine künstlerische Seite. Genauer geht es um sein Manuskript über «Die Jahreszeiten. Ein Marionettenspiel der Zeit».
Bei dem genannten Manuskript handelt es sich um ein Typoskript mit handschriftlichen Ergänzungen und teilweise beigefügten Notizen.
Notizen von Ernst Egli zum Versmass seines Stücks “Die Jahreszeiten”
(ETH-Bibliothek, Hochschularchiv, Hs 785:96. Die Jahreszeiten. Ein Marionettenspiel der Zeit)
Darüber hinaus befindet sich im Nachlass von Ernst Egli ein weiteres Manuskript, bei dem es sich um Entwürfe der Jahreszeiten Frühling und Sommer (Hs 785:95) für das Stück handelt. Anhand dieser Entwürfe können mögliche Veränderungen in der Entstehung des Stückes nachvollzogen werden. Es findet sich zudem weiteres Material, wie z.B. ein Gedicht zum Frühling, das im späteren Text nicht enthalten ist.
Gedicht “Frühling” von Ernst Egli
(ETH-Bibliothek, Hochschularchiv, Hs 785:95. Die Jahreszeiten. Entwürfe zu den Teilen “Frühling” und “Sommer”)
Das fast vollständige Stück ist unter der Signatur Hs 785:96 im Hochschularchiv der ETH Zürich archiviert und sehr spannend geschrieben. Ohne viel verraten zu wollen, folgt eine kurze Inhaltsangabe des Stückes «Die Jahreszeiten»:
Die vier Jahreszeiten
Das Spiel beginnt mit einem Fischer, der statt eines Fisches einen Turm mit den vier Jahreszeiten aus dem Wasser fischt. Mit diesem Turm beginnt das eigentliche Puppenspiel. Ein Spiel, bei dem neben den griechischen Göttern sechs Paare im Vordergrund stehen.
Jede Jahreszeit ist ähnlich aufgebaut, die sechs Paare unterhalten sich in Reimform miteinander. Zwischen den Dialogen gibt es Einschübe der Götter und ihrer Begleiter, die durch die Jahreszeiten leiten. In der Mitte jeder Szene gibt es einen längeren Auftritt der göttlichen Führer und danach wieder den etablierten Dialogstil.
Entsprechend dem typischen Vergleich der Jahreszeiten mit dem Altern der Menschen vergeht auch in diesem Stück viel Zeit. Die Liebe und die Werte der Menschen in den verschiedenen Lebensabschnitten werden kritisch hinterfragt und anhand der sechs Paare exemplarisch dargestellt.
Frühling
Symbolbild aus der Folge “Die vier Jahreszeiten” von Jan Petersz – Frühling
(ETH-Bibliothek Zürich, Graphische Sammlung / D 6143.2 / Public Domain Mark 1.0: Frühling, Blatt 1 der Folge “Die vier Jahreszeiten”)
Der Frühling beginnt mit der Ankunft der Persephone auf der Erde und dem damit verbundenen Frühlingsanfang. Zusammen mit Pan lockt sie sechs verliebte Menschenpaare an, die sich im Wald niederlassen. Die Menschen werden durch ihnen zugeordnete Attribute charakterisiert (z.B. Thomas der Skeptiker und Marta die Eitle) und tauschen sich über die Liebe und das Blühen und die Vergänglichkeit der Pflanzen aus. Die Stimmung ist positiv. Nur Pan neidet Persephone die Liebe der Menschen.
Sommer
Symbolbild aus der Folge “Die vier Jahreszeiten” von Jan Petersz – Sommer
(ETH-Bibliothek Zürich, Graphische Sammlung / D 6143.2 / Public Domain Mark 1.0: Sommer, Blatt 2 der Folge “Die vier Jahreszeiten”)
Der Sommer ist die Zeit des Dionysos und seiner Satyrn, Mänaden und Bacchiden. Der Gott langweilt sich auf dem Olymp und steigt auf die Erde herab, um mit den Menschen zu feiern. Seit der Frühlingsszene sind 20 Jahre vergangen, und wenn die Paare auftreten, wird dies auch durch die veränderten Namen deutlich. So ist aus dem Halbstarken Franz ein Vorarbeiter geworden und aus dem Strassenmädchen Magdalena eine Konkubine. Die Paare sind zum Teil getrennt oder mit anderen Personen verheiratet, aber die Liebe und Lust ist bei allen Paaren noch vorhanden. Die jugendliche Unbeschwertheit ist den Problemen des Alltags gewichen und die Liebe leidet darunter. Auch das Fest endet jäh mit einem Unwetter.
Herbst
Symbolbild aus der Folge “Die vier Jahreszeiten” von Jan Petersz – Herbst
(ETH-Bibliothek Zürich, Graphische Sammlung / D 6143.2 / Public Domain Mark 1.0: Herbst, Blatt 3 der Folge “Die vier Jahreszeiten”)
Der Herbst ist die erste Jahreszeit, die nicht auf der Erde, sondern im Olymp beginnt. Apollon beschuldigt Hermes, die Menschen verdorben zu haben, die nicht mehr seinen Idealen folgen. Um diesen Streit zu schlichten, schickt Zeus die beiden Götter auf die Erde, um die Natur der Menschen zu studieren und eine Einigung zu finden. Gemeinsam mit den Musen des Apoll machen sich die Götter auf den Weg.
Im Herbst sind nur noch drei der sechs Paare in Liebe miteinander verbunden, die Werte der Menschen sind verkommen, Geld, Habgier und Neid stehen im Mittelpunkt aller Dialoge. Doch die Götter sehen hinter all dem eine tiefere Motivation, die in vielen Fällen die Liebe ist. Das Paar Stephan und Veronika, das als positives Beispiel angeführt wird, hat sich der Wissenschaft und der Kunst verschrieben, hungert und friert dafür, weil ihnen das von anderen so hoch geschätzte Geld fehlt. Auch bei den anderen Paaren werden unangenehme Momente dargestellt. Nach der Betrachtung aller Paare ist das Fazit der Götter klar: Die Menschen können für ihre Fehler nicht allein verantwortlich gemacht werden, es muss ein Schöpfer (der nicht zu den olympischen Göttern gehört) dafür schuldig sein.
Winter
Symbolbild aus der Folge “Die vier Jahreszeiten” von Jan Petersz – Winter
(ETH-Bibliothek Zürich, Graphische Sammlung / D 6143.2 / Public Domain Mark 1.0: Winter, Blatt 4 der Folge “Die vier Jahreszeiten”)
Der Winter beginnt ebenfalls nicht auf Erden, sondern in der Unterwelt. Hades und seine Gattinnen Hekuba und Persephone stehen vor einer überquellenden Hölle. Für die Toten ist kein Platz mehr, denn der Lebenskreislauf der Menschen beschleunigt sich. Es wird ein Blick nach oben in die Welt der Menschen geworfen, wo wieder die bekannten Paare zu sehen sind. Bei einem der Paare findet der Dialog sogar über die Grenze des Todes hinweg statt. Der Einblick in die Welt der Menschen steht hier jedoch nicht im Mittelpunkt, denn das Hauptaugenmerk liegt auf den Problemen der Hölle. Hades bleibt schliesslich nichts anderes übrig, als die Seelen in der Unterwelt vor die Wahl zu stellen, entweder ins Nichts zu entschwinden oder in einem neuen Leben auf die Erde zurückzukehren. Als Fürsprecherinnen der beiden Entscheidungen fungieren seine beiden Ehefrauen. Die Entscheidung von Hades ist zwar im Typoskript vorhanden, wurde jedoch nachträglich händisch gestrichen.
Insgesamt handelt es sich um ein sehr gesellschaftskritisches Werk, das einen interessanten Spagat zwischen einem klassischen Stück mit griechischen Göttern und einer kritischen Auseinandersetzung mit christlichen Fragestellungen schafft. Leider ist aus den Manuskripten nicht zu entnehmen, ob das Werk jemals aufgeführt wurde. Eine Lektüre kann von der Autorin dieses Blogs nur empfohlen werden. Die beiden genannten Manuskripte sowie weitere künstlerische und architektonische Werke von Ernst Egli können bequem online über den Katalog des Hochschularchivs bestellt werden.