Der 1960 geborene Rudolf Steiner kam nach einer Chemielaboristenlehre bei Sandoz in Basel und einer anschliessenden vierjährigen Fotografenlehre bei Hugo Jäggi in Riehen mit begleitendem Besuch der Kunstgewerbeschule Basel im Jahr 1983 zu Comet. Sein Lehrmeister vermittelte ihm nicht nur das fotografische Handwerk, sondern legte auch grossen Wert auf die gestalterischen Fähigkeiten und das Einfühlungsvermögen in den Menschen. Die ausgeprägte Kombination dieser Fähigkeiten bewog Max A. Wyss, Steiner für die ausgeschriebene Stelle als Fachfotograf bei Comet zu engagieren und prägt die Arbeit des sensiblen Bildgestalters bis heute.
Comet Photo AG: Porträt von Rudolf Steiner, 1983 (Com_L32-0456-0002-0002)
Handwerk und Gestaltung
Bei Comet fotografierte Steiner alles: politische Ereignisse, Sport, Theateraufführungen, Konzerte, Ausstellungen, Unfälle, Polizeieinsätze, Demonstrationen, Industrie, Ortschaften, Architektur, Landschaften, Tiere, Sachaufnahmen, Porträts und Luftaufnahmen. Wenn Max A. Wyss durch das Dachfenster seines Büros einen blauen Himmel sah, rief er die Treppe hinunter: “Flugwetter”, und die Fotografen wussten, was zu tun war.
Die guten Zeiten bei Comet waren vorbei und Jules Vogt, Rudolf Steiner und später Dieter Enz mussten oft alleine ein Pensum erledigen, das in früheren Jahren auf mehrere Personen verteilt war. Die Arbeitstage waren lang und anstrengend. Steiner erinnert sich, dass er an einem Tag zuerst flog und dann kreuz und quer durch die Schweiz fuhr, von Grenchen nach Vaduz, dann nach Genf, zurück nach Zürich ins Labor und schliesslich nach Basel, wo er wohnte. Dabei hatte er immer bis zu drei Kameras dabei, eine für Farbdias, eine für Schwarzweiss und eine für Farbnegative. Während der intensiven Zeit bei Comet magerte er von 60 auf 50 Kilo ab.
Rudolf Steiner: Frau Steiner und Kind vor Hochspannungsleitung, April 1985 (Com_C34-005-001-001)
Ein wichtiges Thema in Steiners Werk ist die Energie. Zum Thema Frau Steiner mit Kind vor Hochspannungsleitung (seine damalige Frau und sein erster Sohn), das er für einen Prospekt der Nagra fotografierte, hat Steiner rund zwanzig Variationen geschaffen. Das hier gezeigte Arrangement hat einen starken Symbolcharakter. Strom ist unsere Zukunft, aber woher kommt er? Bei einigen von Steiners Bildern kann man von “Inszenierungen” sprechen, oder vielleicht besser von einer intuitiven Herangehensweise. Steiner nimmt sich spürbar Zeit für ein Bild.
Rudolf Steiner: Frau Steiner und Kind vor Hochspannungsleitung, April 1985 (Com_C34-005-001-003)
Rudolf Steiner: Frau Steiner und Kind vor Hochspannungsleitung, April 1985 (Com_C34-005-001-005)
Rudolf Steiner: Frau Steiner und Kind vor Hochspannungsleitung, April 1985 (Com_C34-005-001-007)
1986 verliess Rudolf Steiner Comet. Ein zweiter Sohn war unterwegs und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wurde immer schwieriger. Nach seiner Kündigung luden ihn Marianne Lindroos und Max A. Wyss (Björn Erik Lindroos war gesundheitlich angeschlagen) zum Essen ein. Steiner empfand dies als eine Geste der Wertschätzung, die nicht jeder Fotograf bei seinem Ausscheiden bei Comet erfahren durfte.
Rudolf Steiner fotografiert und filmt immer noch, gelegentlich für Kunden aus der Energiebranche. Die Zeit bei Comet empfindet er als sehr lehrreich und wichtig, auch wenn sie sehr anstrengend war.
Rudolf Steiner: Baumsterben: Föhre, 30.09.1983 (Com_C32-034-001-001)
Rudolf Steiner: Nagra-Eröffnung, Felslabor Grimsel, 20.6.1984 (Com_L33-0054-0028-0004)
Rudolf Steiner: Wald-Demonstration in Bern, 5.5.1984 (Com_L33-0268-0003-0001)
Rudolf Steiner: Blässrallen, 29.2.1984 (Com_M33-0088-0003)
Die Zeit nach Comet
Nach Comet arbeitete Steiner als Industriefotograf und freischaffender Berufsfotograf an verschiedenen Orten in der Schweiz. Neben Industrie- und Werbefotografie realisierte er Buchprojekte und Kunstkataloge. Bereits während seiner Lehrzeit bei Sandoz kam er mit der damals noch in den Kinderschuhen steckenden AV-Technik und der “Digitalisierung” in Berührung. In den 1980er und 1990er Jahren realisierte er Videos für Museen, Theater, Industrie und Kliniken. Über seine Arbeitspraxis schreibt Steiner:
Ich teile meine Arbeitsbereiche in drei Teile, in die freien künstlerischen Werke, in die gestalterisch künstlerischen Werke und in die kommerziellen Auftragsarbeiten Sie stehen meist im Zusammenhang zueinander, sei es im thematischen Bereich und oder auch in der Ausführung. Ich schreibe meine Konzepte und Drehbücher selber, Schnitt und Vertonung, Bildbearbeitung und Druck auf Aquarellpapier fertige ich in meinem Atelier an, arbeite mit digitaler- und chemischer Fotografie, mit Video oder 16mm s/w Film. Meine künstlerischen Arbeiten haben sich über die Jahre verändert. Habe ich am Anfang meine Person in den Mittelpunkt meiner Arbeiten gestellt, ist dann der Zeitgeist wichtig geworden …
In seinen gegenwärtigen Arbeiten versucht Rudolf Steiner “… [die] Harmonie und Verbindlichkeit etwas zusammenzuführen was wir Menschen brauchen um friedfertig zu sein … zu werden, wenn wir in unserer Gesellschaft vorwärtsmachen wollen um den Weg für die folgenden Generationen vorzubereiten.”
Sein Projekt “Dreyland” ist ein schönes Beispiel dafür, wie Kulturen und Gesellschaften in einer Region zusammenarbeiten können und wie dies auch in einem grösseren Raum möglich und machbar wäre.
Das Porträt beruht auf einem Telefongespräch mit Rudolf Steiner im Sommer 2022
Bisher erschienen in der Reihe Die Cometen:
Die Cometen: Björn Erik Lindroos
Die Cometen: Zum 100. Geburtstag von Jack Metzger
Die Cometen: Christof Sonderegger
Die Cometen: Wolfgang Lindroos
Die Cometen: Hans-Ruedi Bramaz
Geplant sind: Rolf Neeser, Thomas Zwyssig, Ralph Bensberg, Gary Kammerhuber, Yvonne Ehling-Bürgi und weitere.