Stetige Bewegung und Formveränderung sind die Wesensmerkmale der Wolke. Indem sich die Wolke in ihrer mobilen Vielgestaltigkeit erfolgreich jeglicher Fixierung entzieht, ist es ihr im Umkehrschluss möglich, alles zu sein: vom sublimen Sehnsuchtswesen und bedeutungsschwangeren Gebilde über Wohnstatt der Götter bis hin zu nichts, als einem Haufen kondensierten Wassers. Wenn aber das Wesen der Wolke in ihrer fortwährenden Beweglichkeit und Gestaltmetamorphose besteht, wie soll sie dann im Bild festgehalten werden? Ist eine auf Papier oder Leinwand gebannte Wolke per se eine gefangene oder gar tote Wolke?
Die Kunstgeschichte kann mit einigen Beweisstücken aufwarten, in denen der Balanceakt zwischen dem Festhalten der Wolke einerseits und dem Wiederauflösen ihrer fixierten Bewegung andererseits aufs Schönste gelungen ist. So hat etwa der Engländer John Constable (1776–1837) im Medium der Malerei den Ruf eines Wolkenfängers erster Klasse. Sein so simples wie geniales Erfolgskonzept bestand vor allem darin, die Linie zugunsten der Farbwirkung zu vernachlässigen (Abb. 1).

Auf die graphischen Künste liesse sich Constables Vorgehensweise kaum übertragen. Vor allem die druckgraphischen Verfahren funktionieren häufig ohne den Einsatz von Farben, die Bilder entstehen vielmehr aus der kunstvollen Kombination von Schwarz (Druckfarbe) und Weiss (Papiergrund), wobei die Linie naturgemäss eine wichtige Rolle spielt. Auf die Frage, wie sich nicht nur die Wolke schlechthin, sondern auch ihr Wesen abbilden lässt, mussten die graphischen Künste eigenständige Lösungen entwickeln. Dabei hat sich gezeigt, dass die Wolken zu jenen Motiven gehören, die es der Graphik sogar besonders gut ermöglichen, ihre Unnachahmlichkeit im Vergleich zu anderen Medien, allen voran der Malerei, zur Schau zu stellen.

So überraschte etwa Hendrick Goltzius (1558–1617) in seinen in Kupfer gestochenen Wolken die Betrachter mit Moiré-Effekten (Abb. 2). Für diesen Effekt, auch Zebramuster genannt, werden vergleichsweise feine, lineare Raster so konzipiert, dass bei deren Betrachtung ab einer bestimmten Entfernung neue, gröbere Strukturen entstehen. Das Auge ist ständig hin- und hergerissen zwischen der Fixierung der feineren und der gröberen Struktur, was zu dem verblüffenden Effekt des Flirrens führt. Die vertraute Gewissheit einer unbewegten planen Bildfläche gerät plötzlich ins Wanken. Die zitternden Linien weichen die Zweidimensionalität des Bildes auf, ja sie zersetzen sie regelrecht und liefern das Auge einer andauernden Irritation aus. Mit diesem optischen Trick ist es Goltzius gelungen, dem Antistatischen der Wolke gerecht zu werden.

Im 17. Jahrhundert wurde mit der Mezzotinto-Technik dann erstmalig ein flächiges Verfahren im Tiefdruck entwickelt. Ausgehend von einer aufgerauten Platte, die im Abdruck zunächst eine samtige dunkle Fläche ergeben würde, werden mit dem Polierstahl Bereiche auf der Platte mehr oder weniger geglättet, die dann im Abdruck entsprechend aufgehellte Stellen ergeben. Man arbeitet also vom Dunkeln ausgehend stufenweise ins Helle hinein. Der englische Künstler John Martin (1789-1854) beherrschte diese Technik mit bemerkenswerter Perfektion (Abb. 3). Seine Illustrationen zu John Miltons epischen Gedicht «Paradise Lost» sind allesamt in der Mezzotinto-Technik ausgeführt. Selten hat wohl die Wahl eines drucktechnischen Verfahrens für die Bebilderung eines literarischen Werkes so perfekt zu dessen Inhalt gepasst! Lang muss man auf die Bilder schauen, bis sich die Augen ans Dunkel gewöhnt haben, nur um kurz darauf von gleissendem Licht geblendet zu werden. Die Vorzüge der Technik, die wie kaum eine andere Halbtonabstufungen zulässt, wird besonders bei Martins Wolkendarstellungen deutlich. Geduldig arbeitet er mit seismographischer Genauigkeit jede noch so kleine Wölbung aus und inszeniert die Dahinziehenden, als wären sie zu nichts anderem erschaffen worden als Streiflicht einzufangen.

Um das Licht in den Wolken geht es im 20. Jahrhundert auch der Schweizer Bildmagierin Meret Oppenheim (1913–1985). Aber – wenig überraschend – hat sie dafür eine ganz andere Lösung parat. Sie versteckt die Wolken im Papier. Nur jenen, die ihre Blätter gegen das Licht halten, werden sie schlagartig als Wasserzeichen sichtbar (Abb. 4). Und zugleich spielt sie noch mit einem anderen Aspekt der Wolke, der die Menschen seit jeher beschäftigt: Was birgt die Wolke? Ihre ins Papier geprägten Wasserzeichen sind so angelegt, dass sie uns anregen, unweigerlich Figuren und Gestalten in den teils skurrilen Gebilden zu entdecken. Versteckt sich in Wolke Nr. 8 etwa eine Katze?

Dem kleinen Einblick in die Fülle der grossartigen Lösungen für Wolkendarstellung im Bereich der Graphik sei abschliessend noch ein Blatt aus dem Werk des 2020 verstorbenen Schweizer Künstlers Markus Raetz hinzugefügt (Abb. 5). Auch hier entspricht die gewählte Technik einer bestimmten Eigenschaft der Wolken. Diesmal ist es das Zufällige, das Prozesshafte, was in den Vordergrund gerückt wird. Seine dunstig ineinanderfliessenden Wolken hat er als Pinselätzung gestaltet. Beim direkten Auftragen von Säure auf die Druckplatte lässt sich das Ergebnis nicht mit hundertprozentiger Genauigkeit vorhersagen – der Künstler muss bereit sein, das Unvorhersehbare willkommen zu heissen. Dass uns genau dazu die Wolken immerzu einladen, hat schon der buddhistische Mönch Ryōkan (1758–1831) schwärmerisch formuliert: «Gleich einer ziehenden Wolke, durch nichts gebunden: Ich lasse einfach los, gebe mich in die Launen des Windes.»
Lust auf mehr Wolken?
Vom 6. Dezember bis 10. März werden in der Graphischen Sammlung ETH Zürich Wolkenbilder aus sechs Jahrhunderten gezeigt. Die Ausstellung «Wolken sammeln. Himmelsbeute auf Papier» wird durch ein reiches Veranstaltungsprogramm begleitet.