Das Werk The Analysis of Beauty des Malers und Kupferstechers William Hogarth (1697-1764) von 1753 gilt als eines der bedeutendsten englischen Werke über Ästhetik. Seine Abhandlung über die Prinzipien der Schönheit fand in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts weite Verbreitung und wurde in verschiedene Sprachen übersetzt.
Hogarth versuchte das häufig als «Je ne sçai quoi» (Hogarth 1753, S. VII) beschriebene Etwas der Schönheit und Anmut objektiv zu erklären:
«I now offer to the public a short essay, accompanied with two explanatory prints, in which I shall endeavour to shew what the principles are in nature, by which we are directed to call the forms of some bodies beautiful, others ugly; some graceful, and others reverse» .
(Hogarth 1753, S. 1)
Seine Theorie über die Schönheit beschrieb Hogarth anhand von konkreten Beispielen aus der Natur, aber auch von Kunstwerken und gewöhnlichen Alltagsgegenständen, in denen er als wiederkehrendes wahrnehmbares Grundelement die schlangenförmige Linie ausmachte. Schönheit entfaltete sich dem menschlichen Auge in den Variationen von solchen Linien (Bredekamp 2004, S. 129).
Nach Hogarth existierten in der Natur keine geraden Linien (Egan 2016, S. 38) und deshalb erschienen einem Betrachter Zeichnungen, in denen solche Linien als Gestaltungsmittel verwendet wurden, als weniger schön, als solche, die sich aus schlangenförmigen Linien zusammensetzten. Hogarth veranschaulichte dies mit einer Reihe von Zeichnungen eines Kopfes, in der zunehmend mit geraden Linien gearbeitet wurde.
Die Bilder kommentierte Hogarth folgendermassen:
“The beard and hair of the head, fig. 98, being a set of loose lines naturally, and therefore disposable at the painter’s or sculptor’s pleasure, are remarkably composed in this head of nothing else but a varied play of serpentine lines, twisting together in a flame-like manner. (…) Figure 99, is the first degree of deviation from figure 97; where the lines are made straighter, and reduced in quantity; deviating still more in figure 100, more yet in figure 101, and yet more visibly in 102; figure 103, still more so, figure 104 is totally divested of all lines of elegance, like a barber’s block; and 105 is composed merely of such plain lines as children make, when of themselves they begin to imitate in drawing a human face.”
(Hogarth 1753, S. 124-125).
Der Begriff der schlangenförmigen Linie war keine Neuerfindung von Hogarth. Er bezog sich auf Giovanni Paolo Lomazzos figura serpentinata, der sie im Trattato dell’arte della Pittura von 1584 als „Zeichen der idealen Naturbewegung wie auch der künstlerischen Vollendung“ definiert hatte (Bredekamp 2004, S. 129). Hogarths Theorie fand auch nicht immer Zustimmung. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde aber durch Hogarths Buch der Begriff der schlangenförmigen Linie in zahlreichen ästhetischen Debatten aufgegriffen. So fand seine Theorie in William Barkers Treatise on the Principles of Hair-dressing: In which the Deformities of Modern Hair-dressing are Pointed Out, and an Elegant and Natural Plan Recommended, Upon Hogarth’s Immortal System of Beauty (…) von 1780 Erwähnung. Darin verwies der Londoner Coiffeur darauf, dass durch das offene Tragen der Haare bei Frisuren mehr Natürlichkeit erzielt werden konnte, weil dadurch die Schlangenlinie mehr zur Geltung komme (Saviello 2018, S. 341).
Literatur:
Bredekamp H. (2004): Denkende Hände. Überlegungen zur Bildkunst der Naturwissenschaften. In: M. Lest, J. Mittelstrass (Hg.): Von der Wahrnehmung zur Erkenntnis – From Perception to Understanding. Heidelberg: Springer.
Egan G. (2016): Freedom, Nature, and the English School of Commercial Art. In: Fashioning Authorship in the Long Eighteenth Century. Palgrave Studies in the Enlightenment, Romanticism and the Cultures of Print. London: Palgrave Macmillan.
Saviello J. (2018): William Hogarth: Locken und andere schöne Verwicklungen (1753). In: R. Sammern, J. Saviello (Hg.): Schönheit ― Der Körper als Kunstprodukt: Kommentierte Quellentexte von Cicero bis Goya, Heidelberg: arthistoricum.net.