«Es ist vollbracht!» Am 19.12.1997, genau um 19 Uhr 19 und 19 Sekunden wird die neue Homepage der ETH Zürich durch den Leiter der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit Rolf Guggenbühl frei geschaltet. Ein neues Zeitalter beginnt: Endlich präsentiert sich die ETH online in einer Weise, «die ihrem führenden Image gerecht wird».
Die Freischaltung der neuen ETH-Homepage als Happening im Büro des Web Office
Das Ereignis ist auf den Webseiten des Web Office gut dokumentiert. Es war das Ergebnis monatelanger konzeptioneller, inhaltlicher und grafischer Arbeit. Dass das ganze Projekt von stetigen Grundsatzdiskussionen begleitet war, war für die Neuartigkeit des Mediums typisch – und lässt sich in den heute verfügbaren Quellen gut nachvollziehen.
So fanden ab 1995 regelmässig ETH WWW Workshops statt. Sie richteten sich an interessierte ETH-Angestellte und standen auch der Uni Zürich offen. Wer von internationalen World Wide Web-Konferenzen am CERN, in Boston, Paris oder anderswo zurückkehrte war eingeladen, in diesen Workshops den Daheimgebliebenen die aktuellen Entwicklungen zu präsentieren. Einer dieser Pioniere war Reto Ambühler, der seine Eindrücke auch auf seiner persönlichen ETH-Website dokumentierte.
Am zweiten ETH-WWW-Workshop (W4) präsentierte Reto Ambühler seine Impressionen von der vierten internationalen World Wide Web-Konferenz, die 1995 unter dem Titel «The Web Revolution» in Boston stattfand.
Parallel zu diesen Workshops entstanden erste Homepages diverser Einheiten der ETH, ohne dass eine einheitliche Strategie oder Koordination vorhanden war. Das erschwerte den Überblick über die zahlreichen Webauftritte unter dem Dach der ETH, und eine damalige Recherche ergab auch erhebliche Unterschiede in Bezug auf Design, Inhalt und Qualität. Darüber hinaus empfand man den Webauftritt der ETH als «altmodisch», «chaotisch» und «einer modernen Hochschule nicht würdig».[1] Deshalb wurde im April 1996 die sog. WWW-Kommission gebildet, die sich zum Ziel setzte, der «WWW-Politik für die ETH Zürich» die nötige Kohärenz zu verleihen.
Ein gutes Jahr später erfuhren die Teilnehmenden des vierten ETH WWW-Workshops, dass die Schulleitung zwei Stellen für die Betreuung des Internet-Auftritts der ETH geschaffen hatte. Zum einen sollte sich ein WebMaster um die technischen Belange kümmern, zum anderen wurde in der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit ein «Web-Beauftragter der ETHZ» eingestellt, der für das Erscheinungsbild und die Einhaltung der Web-Policy verantwortlich war.
Damit legte die Schulleitung den Grundstein für das ETH Web Office. In den folgenden Wochen (es dauerte deutlich länger als geplant) wurde intensiv an der neuen Internetpräsenz gearbeitet. Der Web-Beauftragte Jakob Lindenmeyer und der WebMaster Reto Ambühler wurden dabei durch ein externes Grafikbüro unterstützt. Das Ergebnis überzeugte durch ein einheitliches Erscheinungsbild und die inhaltliche Zusammenführung von ezInfo und der ETH-Homepage.
Doch die Freude währte nicht lange, der ETH-WebMaster und Mitarchitekt des Webauftritts sparte nicht mit Kritik.[2]
aus meiner sicht gibt es einiges zu kritisieren, so zum beispiel
- viel zu viele grafiken(“das dauert ja ewig !”)
- texte als bilder(“die titel kann man kaum lesen !)
- farben der links(“welche links habe ich schon verfolgt ?”)
- farben der bilder(“warum sind die bilder so blau, ist mein bildschirm kaputt ?”)
- unklare strukturen(“wo finde ich nun was ?”)
natürlich habe ich schon während der design-phase versucht einfluss zu nehmen, leider vergeblich. die externen, professionellen grafiker haben darauf bestanden, dass das erscheinungsbild bis zum letzten detail auf jedem browser durchgesetzt werden muss, egal wie gross er ist und wie die besucherIn ihn eingestellt hat. dies hat dazu geführt, dass ich das dokument “the art of web publishing” verfasst habe, eine art anklageschrift auf die neue homepage.
Trotz aller Kritik am bisher Erreichten waren sich die Internet-Pioniere an der ETH und in der weltweiten WWW-Community des epochalen Wandels, den sie Mitte der 1990er Jahre miterleben und mitgestalten durften, durchaus bewusst. Mit der raschen Entwicklung bestand aber die Gefahr, dass die digitalen Artefakte aus dieser spannenden Zeit rasch verloren gehen würden. Eine überarbeitete oder gelöschte Website konnte keine Geschichte mehr erzählen, wenn sie nicht mehr vorhanden war. Dieser Gedanke stand am Ursprung, als im März 1997 Brewster Kahle in der Zeitschrift Scientific American die Gründung des Internet Archives in San Francisco verkündete:
For our part, we feel that it is important to proceed with the collection of the archival material because it can never be recovered in the future. And the opportunity to capture a record of the birth of a new medium will then be lost.
An der ETH folgte man dem Vorbild von Brewster Kahle und gründete ein eigenes Webarchiv. Reto Ambühler, der erste offizielle ETH-WebMaster, pflegte dieses bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2023. Dank dieser Initiative und auch dank dem Umstand, dass das Internetarchiv von Brewster Kahle bereits im März 1997 die Homepage der ETH ein erstes Mal crawlte, können wir uns heute die verschiedenen Generationen der ETH-Webauftritte vor Augen führen.[3]
Die Geschichte geht weiter. Das Hochschularchiv der ETH Zürich betreibt neu ein cloudbasiertes ETH-Webarchiv, in welchem sowohl das erste Webarchiv von Reto Ambühler als auch alle Daten der ethz.ch-Domain, die das Internetarchiv seit 1997 gesammelt hat, enthalten sind. Dieser riesige Schatz an historischen Webseiten ist zudem mittels einer Volltextsuche erschlossen, so dass interessante und aufschlussreiche, bisweilen amüsante und beeindruckende Momente der Geschichte der ETH-Websites seit ihrer Pionierzeit für die Nachwelt verfügbar bleiben.
Quellen
ETH-Bibliothek, Hochschularchiv, EZ-INF1.11/025, Website von: ETH Web Office (1. Generation) mit der Original-URL https://archiv1.weboffice.ethz.ch/, https://wayback.archive-it.org/20556/*/https://archiv1.weboffice.ethz.ch.
ETH-Bibliothek, Hochschularchiv, EZ-INF1.11/266, Website von: ETHZ W4 World Wide Web Workshops mit der Original-URL https://www.w4.ethz.ch/, https://wayback.archive-it.org/20556/*/https://www.w4.ethz.ch/
ETH-Bibliothek, Hochschularchiv, EZ-INF1.11/047, Website von: reto ambühler – great-grandwebmaster of the ETH zürich / reto ambühler – great-grandwebmaster der ETH zürich mit der Original-URL https://www.areto.ethz.ch/, https://wayback.archive-it.org/20556/*/https://www.areto.ethz.ch/
Literatur
Kahle, B. (1997). PRESERVING THE INTERNET. Scientific American, 276(3), 82–83. http://www.jstor.org/stable/24993660
[1] https://wayback.archive-it.org/20556/20230220141336/https://archiv1.weboffice.ethz.ch/service/information/begleittext.html
[2] https://wayback.archive-it.org/20556/20230220141447/https://archiv1.weboffice.ethz.ch/news/webmaster/new_homepage_19971219.html