Stadtplanung und Hygiene: James Hobrechts Bericht zur Planung und zum Bau der Berliner Kanalisation von 1884

Der Berliner Baurat James Hobrecht (1825-1902) beeinflusste die Stadtentwicklung von Berlin im 19. Jahrhundert massgeblich. Im Bestand der Alten und Seltenen Drucke befindet sich ein Exemplar des Buches Die Canalisation von Berlin, das im Jahr 1884 im Auftrag des Magistrats der königlichen Haupt- und Residenzstadt Berlin veröffentlicht wurde und davon zeugt, wie im Verlauf des 19. Jahrhunderts sich die Abwassersysteme veränderten.

Den Ausschlag für diese Veränderungen gaben «epidemiologische Debatten», die ihren Ursprung in England hatten und das Ziel verfolgten, die Ausbreitung von Krankheiten zu verhindern (Hansen 2025, S. 199 ff). In Berlin hatte sich bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts die Bevölkerungszahl stark erhöht und in der Folge war «eine städtische Kommission» damit beauftragt worden, «einen Bebauungs- und Infrastrukturplan für die sich vergrössernde Stadt auszuarbeiten» (Hahn, Gaida, Hulverscheidt 2010, S. 4). Hobrecht war als Baurat daran beteiligt und in diesem Infrastrukturplan wurde auch die Verbesserung der Berliner Abwasserbewirtschaftung angestrebt. Hobrecht hatte bei Studienreisen in Europa verschiedene Ansätze der Abwasserbewirtschaftung kennengelernt (Mohajeri 2002, S. 143) und ein aus England stammendes Konzept vorgeschlagen (Hansen 2025, S. 204), das seit 1873 in Berlin umgesetzt wurde.

Hobrecht hatte dieses Konzept gewählt, weil bis dahin Kanalisationen einzig mit der Absicht gebaut worden waren, das verunreinigte Wasser aus den Städten herauszuleiten, ohne die Gewässer und Quellen, welche die Stadt mit sauberem Wasser versorgten, damit zu verunreinigen (Hobrecht 1884, S. 8):

[…] die Kanäle, die vortrefflich wirkten und in der That die Stadt reinigten, und welche, naturgemäss dem Gefälle folgend, in meist rechtwinkliger Lage zum Flusse, der die Stadt durchströmt, in diesen mündeten, verunreinigten das Wasser desselben in der Stadt.

Der Gedanke, das verschmutzte Wasser durch die Kanalisation in eine Abwasserreinigungsanlage zu leiten und zu reinigen, war damals noch nicht Gegenstand der Debatte und wurde erst ab Mitte des 20. Jahrhunderts umgesetzt (Hansen 2025, S. 204). Allerdings führte die damals zunehmend grössere Städtedichte zum Problem, dass mit einer geschickten Ableitung des verunreinigten Wassers aus einer Stadt, das Problem nur auf die nachfolgenden Städte abgeschoben wurde (Hobrecht 1884, S. 8):

Aber, – wenn so für die Stadt und den Fluss in der Stadt gesorgt ist, so ist dies noch nicht für den Fluss ausserhalb der Stadt der Fall, – und an dem Flusse unterhalb wohnen in anderen Städten wieder Menschen, und, wenn die Entfernung der Städte von einander gering, die Flüsse klein, die Städte gross sind, so wird die Verunreinigung des Flusses doch ein grosses Uebel.

Deshalb hatte Hobrecht vorgeschlagen, ein Kanalisationssystem aufzubauen, das die Stadt in zwölf Gebiete aufteilte, aus denen jeweils ein Kanalsystem das Ab- und Regenwasser mit Hilfe von Pumpen in die «Peripherie» der Stadt auf «Rieselfelder» leitete (Hobrecht 1884, S. 1-3).

Canalisation von Berlin. Übersichtsplan der 12 Radial-Systeme
Abb. 1: Übersicht zur geplanten Kanalisation von Berlin mit den „12 Radial-Systemen“ (Hobrecht 1884, Blatt 2)

Hobrecht nannte es ein «radiales Entwässerungssystem», bei dem die Kleinräumigkeit des Systems verschiedene Vorteile mit sich brachte. So konnte das Kanalsystem nicht nur einfacher geplant werden, sondern in mehreren Etappen zu geringeren Kosten gebaut werden (Hobrecht 1884, S. 13). Ein weiterer Vorteil war, dass das aus der Stadt abgeleitete Wasser zur «Berieselung» von Ackerflächen genutzt werden konnte und nicht direkt in die Flüsse geleitet werden musste (Hobrecht 1884, S. 13).

Canalisation von Berlin. Genereller Situationsplan der Radialsysteme, Druckrohrleitungen und Rieselfelder
Abb. 2: „Rieselfeld“ in der Umgebung von Berlin (Hobrecht 1884, Blatt 1)

Hobrecht stützte sich dabei auf die Erfahrungen des englischen Ingenieurs B. Latham, der von der Nutzung der Abwässer für die Landwirtschaft überzeugt war und über seine positiven Erfahrungen in Croydon berichtet hatte. Danach waren die «landwirtschaftlichen Erträge auf den stadtnahen als Weide genutzten Grasflächen» gestiegen und auch eine «zufriedenstellende Reinigung des Wassers» konnte von ihm festgestellt werden, sodass «die Ableitung des überflüssigen Restwassers in die Flüsse unbedenklich sei» (Strohmeyer 2000, S. 107). Die grossen Vorteile waren nach Latham «die Verminderung der Sterblichkeitsquote, die Halbierung bestimmter Krankheitsfälle in Städten, die über ein Kanalsystem verfügten, wie in London» (Strohmeyer 2000, S. 107).

Gegner dieser Kanalisation befürchteten Nachteile für die Landbewohner, indem sie darauf hinwiesen, dass die Rieselfelder nicht für die Landwirtschaft genutzt werden konnten, weil sie durch die Abwässer verseucht und die Bewohner der Umgebung krank würden (Strohmeyer 2000, S. 119). Hobrecht sah es hingegen als unproblematisch an, das Abwasser auf Felder zu leiten (Hobrecht 1884, S. 301):

Nun lehrt aber auch wiederum die Erfahrung, dass die Besorgnis eine übertriebene ist; wo auch immer eine Berieselung stattgefunden, hat kein Landwirth den Fehler begangen, sein Rieselfeld zu überlasten, zu versumpfen oder todt zu rieseln.

Auch Bedenken bezüglich der Gesundheit widersprach er deutlich und verwies auf den «Gesundheitszustand der Bewohner der Stadt», auf den es «entschieden einen sehr günstigen Einfluss ausübt» (Hobrecht 1884, S. 303). Er sah es sogar als erwiesen an, dass die «Berieselung das unreine Kanalwasser wirklich scheidet, dass seine suspendirten und gelösten Bestandtheile als Dungstoffe auf dem Felde zurückgehalten werden, während reines Wasser aus den Drains abfliesst“ (Hobrecht 1884, S. 303). Er war davon überzeugt, dass der Beweis für die Berliner „Anlagen vollkommen erbracht“ sei und „die Nutzbarmachung der retinirten Dungstoffe und damit deren wirkliche Beseitigung […] überall und in vollem Umfange durch die Feldbestellung statt[findet]“ (Hobrecht 1884, S. 304).

Als Hobrecht seinen Bericht über die Kanalisation veröffentlichte, waren bereits fünf der zwölf geplanten «Radial-Systeme» fertiggestellt (Strohmeyer 2000, S. 119) und er wurde in verschiedenen Städten, in denen eine Kanalisation geplant war, in beratender Funktion eingesetzt (Strohmeyer 2000, S. 119 ff). Neben diesem ausführlichen Bericht hielt Hobrecht auch Vorträge, in denen er die Vorteile der Berliner Kanalisation erläuterte und darauf hinwies, dass es sich um eine in England erprobte und umgesetzte Methode handelte (Strohmeyer 2000, S. 116). Für dieses Engagement erhielt Hobrecht grosses Lob und wurde von der Stadt Darmstadt 1881 sogar zum Ehrenbürger ernannt (Strohmeyer 2000, S. 129-131).

Literatur:

Hobrecht, James (1884): Die Canalisation von Berlin: im Auftrage des Magistrats der königl. Haupt- und Residenzstadt. Berlin : Ernst & Korn.

Sekundärliteratur:

Hahn, Judith; Gaida, Ulrike, Hulverscheidt, Marion (2010): 125 Jahre Hygiene-Institute an Berliner Universitäten. Eine Festschrift. Berlin. (Unter: https://hygiene.charite.de/fileadmin/user_upload/microsites/m_cc05/hygiene/Brosch_Hygiene_VS.pdf [08.10.2025])

Hansen, Jan (2025): Wasser und Abwasser. IN: Andreas Jüttemann (Hg.): Handbuch Infrastrukturgeschichte. Wiesbaden, Springer Nature. S. 194-210. (Unter: https://doi.org/10.1007/978-3-658-48311-1 [08.10.2025])

Mohajeri, Shahrooz (2005): 100 Jahre Berliner Wasserversorgung und Abwasserentsorgung 1840-1940. Stuttgart: Franz Steiner Verlag.

Strohmeyer, Klaus (2000): James Hobrecht (1825-1902) und die Modernisierung der Stadt. Potsdam: Verlag für Berlin-Brandenburg.

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