„Kleider machen Leute“ postulierte schon Gottfried Keller und Chemie hat bis heute massgeblichen Anteil daran. Adolf Jenny-Trümpys farbenprächtige Stoffmusterbücher aus dem 18.–20. Jahrhundert führen uns das lebhaft vor Augen. Erstmals zugänglich als Onlinekatalog geben die Bände Einblick in die hohe Kunst der Textilfärberei und berichten von raffinierten chemischen Verbindungen, wertvollem Kuhkot, nützlichen Insekten und Stoffdrucken, die der Schweiz einst die Welt bedeuteten.
Sturz des Alten
Im Juli 1907 knallen drei Schüsse kurz hintereinander durch das schweizerische Ennenda und legen laut der Neuen Glarner Zeitung den grossen Fabrikkamin der traditionsreichen „Trümpyger“-Fabrik in Trümmer.[1] Adolf Jenny-Trümpy, Chemiker und „Trümpyger“ der dritten Generation, mag die Szene vielleicht beobachtet haben. In jedem Falle ist der zerschossene Turm ein passendes Sinnbild: Er markiert eine Wende in der Firmengeschichte der Jenny-Trümpys und zugleich den Niedergang der traditionellen, international tonangebenden Glarner Textildruckkunst.
Eben dieser „Sturz des Alten“1 könnte der Anstoss für eine grosse Rettungsaktion gewesen sein. Immerhin drohte mit der Schliessung der traditionellen Textildruckfabriken ein enormer Wissensverlust. So verewigte Adolf Jenny-Trümpy, wohl mit Helfern, zwischen 1907 und 1934 die wichtigsten Druckmuster aus dem Glarnerland und der Firma Bartholome Jenny & Cie („Trümpyger“) in 22 Bänden und neunfacher Ausführung. Den Musterschatz, gedruckt auf verschiedenen Stoffen und aufgeklebt auf Kartonblättern, ergänzte er durch „Kochrezepte“ zur Chemie und Synthese der verwendeten Farbstoffe sowie Hinweise zu Färbebedingungen und der Historie der Farbchemie.
17 Bände einer dieser Serien vermachte Jenny-Trümpy dem «Chemischen Laboratorium des Eidgenössischen Polytechnikums» (heute Departement für Chemie und Angewandte Biowissenschaften der ETH Zürich), wo sich Ende des 19. Jahrhunderts Forscher wie Prof. Karl Heumann mit der Entwicklung synthetischer Farbstoffe einen Namen gemacht hatten.
Beispiele aus Jenny-Trümpys Druckmustern aus unterschiedlichen Bänden, Fotos: Julia Ecker, ETH Zürich:
Ziel von Adolf Jenny-Trümpy war es wohl, das Wissen für künftige Generationen zu erhalten, vielleicht auch das Bewusstsein für die Kunst der Textildruckerei zu stärken. Wer heute durch seine Bücher blättert, fühlt sich als Laie in der Tat ertappt: Wüssten Sie, mit welchen Farbstoffen Ihr Pullover gefärbt wurde? Wieso die Farben fixiert bleiben oder wie das kunstvolle Muster auf den Stoff gekommen sein mag?
Chemisches Know-how von Cochenille bis Kuhmist
In Jenny-Trümpys Werk begegnet man Farben wie Dampfrosa, Benzopurpurin, Malachitgrün, Azoschwarz oder Anilinviolett. Man lernt, dass es Licht- und Seifenechtheit gibt und dass das Muster auf dem eigenen Pulli „Palmetten“ darstellen könnte: kunstvolle, bis heute trendige Palmwedel, die früher unglaublich aufwendig im Druck waren. Mühsam mussten die Muster erst vom Papierentwurf zu einem Stempel (Model) verarbeitet werden. Dieser wurde in eigens hergestellte Farben getaucht und auf Stoff gedruckt. Dafür kamen spezielle Verfahren und Färberezepte zum Einsatz.
Aus Jenny-Trümpys Büchern erfährt man, dass man lange Zeit natürliche Farbstoffe aus Pflanzen und Tieren verwendet hatte – darunter Kreuzbeere (Gelbtöne), Indigopflanze (Blautöne) oder Cochenilleschildlaus (Rottöne) – und lernt, welche neuen Möglichkeiten die später künstlich hergestellten Anilinfarben (Teerfarben) boten.
Dass die Färberei auch ein ungesundes Gewerbe sein kann, wird nur am Rande deutlich, wenn Jenny-Trümpy die arsenhaltigen Verbindungen und die Giftigkeit bzw. Explosivität der eingesetzten Pikrinsäure erwähnt oder erzählt, dass das teure Cochenille-Carmin eben als ungiftige rote Farbe seinerzeit sogar für Schinken eingesetzt wurde.
Staunen darf man auch über die Methoden. So manche verändern den Blick auf tierische Ausscheidungen, waren diese doch ein erstaunlich wertvolles Gut: Vor dem Färben wurden die Textilien nämlich oft „gekuhkotet“, also mit einer lauwarmen Brühe aus Kuhmist, Wasser und anderen Bestandteilen getränkt, damit sie sich besser färben liessen.
Purpursäure wiederum wurde auch Guanorot genannt, weil die zu seiner Herstellung nötige Harnsäure wohl oft aus südamerikanischem Vogelmist gewonnen wurde.
Es waren solch ausgeklügelte Methoden und chemische Verbindungen sowie Marktkenntnis und das Ausnutzen von Nischen, welche aus Glarner Bauerndörfern Industriestandorte gemacht hatten. Die Glarner Textildruckerei exportiere in die ganze Welt – von Europa über Asien und Afrika bis Amerika – und hatte sich halten können, weil sie dort ansetzte, wo Maschinen dem manuellen Handwerk unterlegen waren. Am Ende wurde sie aber doch von den technologischen Entwicklungen und dem Streben nach Massenproduktion eingeholt.
Adolf Jenny-Trümpys Bücher – wohl eine bildliche Ergänzung zu seinem textlastigen Hauptwerk „Handel und Industrie des Kantons Glarus“ – stellen den Versuch dar, zumindest das handwerkliche Gedankengut in die Moderne hinüberzuretten.
Stoffmusterbücher als Onlinekatalog
Damit die teils über hundert Jahre alten Werke diesem Auftrag weiterhin gerecht werden können, hat das Team der Öffentlichkeitsarbeit D-CHAB (Julia Ecker, Oliver Renn) 17 Bände im Rahmen eines von den Sammlungen und Archiven der ETH Zürich geförderten Projekts nun vollständig digitalisieren sowie transkribieren lassen und in einen frei zugänglichen Onlinekatalog überführt: https://truempy-druckmuster.ethz.ch/
Der von Maria Pechlaner für diesen Zweck konzipierte und entwickelte Katalog ermöglicht es, Adolf Jenny-Trümpys Sammlung zu bewahren und zugleich neu zu entdecken: Sei es durch die Suche über verschiedene Filter, die Zoomfunktion oder durch die transkribierte Handschrift.
Letztere erleichtert das Erfassen der Information und bietet eine gute Basis für künftige wissenschaftliche Projekte bzw. für eine weitere Erschliessung – aus künstlerischer, textilfachlicher, aber vor allem chemischer Sicht. So könnten die enthaltenen Informationen und Proben als Referenz dienen, etwa im Hinblick auf heutige Verfahren.
Doch auch wer keinen fachlichen Hintergedanken hegt, sei zum Staunen eingeladen. Wir wünschen viel Freude beim Erkunden!
Adolf Jenny-Trümpy studierte am Polytechnikum in Zürich und wurde in Mühlhausen zum Tuchdrucker ausgebildet. 1877 stieß er zum Familienunternehmen Bartholome Jenny & Co und wurde zwei Jahre später Teilhaber der Firma. Er war für den technisch koloristischen Teil zuständig. Nach der Schliessung der Druckerei 1907 blieb er bis 1922 im Unternehmen (verkleinert auf Weberei, Spinnerei) und verfasste die Stoffmusterbücher sowie sein Hauptwerk „Handel und Industrie des Kantons Glarus“, für welches er auch die Ehrendoktorwürde der Universität Zürich erhielt.
Weiterführende Lektüre:
Druckmusterbücher Adolf Jenny-Trümpy: https://truempy-druckmuster.ethz.ch/
Biografie Adolf Jenny-Trümpy: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/030094/2012-04-05/
Anna Wanners Textilhistorie: Adolf Jenny-Trümpy: http://www.annatextiles.ch/druck_ennenda/text/musterband.htm
Gril-Mariotte A. (2024): The Book of printed Fabrics. From the 16th century until today. Musée de l`Impression sur Etoffes de mulhouse. Taschen Verlag.
Von Arx R., Davatz J., Rohr A. (2005): Industriekultur im Kanton Glarus. Streifzüge durch 250 Jahre Geschichte und Architektur. Südostschweiz Buchverlag
[1] NGZ v. 29.7.1907, zitiert in: Von Arx R., Davatz J., Rohr A. (2005): Industriekultur im Kanton Glarus. Streifzüge durch 250 Jahre Geschichte und Architektur. Südostschweiz Buchverlag. S. 168.