Den Leserinnen und Lesern der Serie “Die Cometen” ist vielleicht schon aufgefallen, wie wenig Frauen bei der Comet Photo AG beschäftigt waren, vor allem im Fotografenteam. Den traditionellen Geschlechterrollen entsprechend arbeiteten sie in der Verwaltung, im Archiv oder im Labor. Als Fotografinnen traten sie kaum in Erscheinung. Die wenigen Ausnahmen sind mit Marianne Vogel Senn, Lucia Elser und Yvonne Bürgi schnell aufgezählt. Zudem verliessen die drei Fotografinnen die Agentur nach kurzer Zeit wieder. Warum war das so?
Comet Photo AG: Yvonne Bürgi, 11.1.1995 (Com_L44-0102-0002)
Die Tochter von Peter Bürgi, Enkelin von Traugott Bürgi, Urenkelin von Laura Bürgi-Heuser und Vitus Reinhold Bürgi stammt aus einer Fotografenfamilie. Sie absolvierte eine Lehre als Fotofachangestellte im Fotohaus Peyer (1988-1990), gefolgt von einer Zusatzausbildung zur Fotografin an der Kunstgewerbeschule Zürich (1991-1993). Während dieser Zeit arbeitete sie im Fotogeschäft ihres Vaters Peter Bürgi in Glattbrugg und wechselte 1994 dank väterlicher Beziehungen zur Comet Photo AG.
Traumberuf Pressefotografin
Für Yvonne Bürgi war der Einstieg bei Comet wie ein Traum, der in Erfüllung ging. Sie arbeitete gerne mit ihren älteren Kollegen Zsolt Somorjai, Gary Kammerhuber und Ralph Bensberg zusammen und sammelte wertvolle Erfahrungen beim selbstständigen Fotografieren von Pressekonferenzen, Landschaften und Baustellen. Sie schätzte die grosse Freiheit bei ihrer Arbeit. In der Architektur- und Industriefotografie unterstützte sie Kammerhuber und Bensberg. Die “gute Seele” Somorjai war es, der Bürgi in dem von konkurrierenden Männern geprägten Arbeitsklima moralisch unterstützte. Weitere wichtige Bezugspersonen für Bürgi waren Andrea Tapis und Bea Walz vom Labor.
Yvonne Bürgi erstellte thematische Aufnahmen oder Symbolbilder für das Schweizer Fernsehen, welche während den Sendungen eingeblendet wurden. Für das Thema ‘Ungebetener Gast an der Haustüre’ engagierte sie ihre Grossmutter und deren Freundin als Modell.
Yvonne Bürgi: Ungebetener Gast an der Haustüre, 20.3.1996 (Com_L45-0158-0001-0004)
Zoo-Paparazzi
Bei Anlässen wie dem periodischen Presseapéro des Zoo Zürich ging es unter den Fotografen hoch her. Fünfzig bis sechzig Leute kämpften mit den Ellbogen um die beste Position für das schönste Bild. Bei all dem Lärm und Gedränge machte sich Yvonne Bürgi Sorgen um das kleine Löwenbaby, das im Mittelpunkt des Interesses stand, und hatte keine Chance, einen guten Platz für sich zu ergattern. Sie wollte den Zoo verlassen, wurde aber von einem Wärter eingeholt, der ihr einen Platz in der ersten Reihe zuwies. So konnte sie doch noch ein paar gute Bilder ins Comet-Labor bringen. Dieser Vorfall zeigt, wie hart der Konkurrenzkampf unter den Pressefotografen war, und dieser Druck war auch unter den Comet-Fotografen selbst spürbar, besonders für eine junge Frau in einer Männerbastion.
Yvonne Bürgi: Zoo Zürich, Löwenbaby, 21.2.1996 (Com_L45-0127-0001-0007)
Yvonne Bürgi: Zoo Zürich, Löwenbaby, 21.2.1996 (Com_L45-0127-0001-0008)
Bewegende Momente
Wenn Yvonne Bürgi an ihre Comet-Zeit zurückdenkt, welche Momente sie am meisten bewegten, sind es nicht unbedingt die Bilder, die in der ETH-Bibliothek archiviert sind.
Die Bohrmaschine von AlpTransit Site Faido war ziemlich imposant. Ich habe noch nie eine so grosse Maschine gesehen. Der Beitrag hat mir einen Einblick in den Tunnelbau gegeben. Es war faszinierend, wie sich so ein grosser Bohrer überhaupt drehen konnte und vor allem, wie der Bohrer das Gestein so sauber weggesprengt hat. Die Verantwortlichen nahmen sich viel Zeit und erklärten mir, dass der Tunnelbau eine Wissenschaft für sich ist. Ich erfuhr, dass sie auf sehr harten Gneis gestossen waren, was den Tunnelbau verzögerte.
Yvonne Bürgi: Alptransit, Baustelle in Faido, 06.02.1995 (Com_L44-0114-0001-0003)
Die Situation im Frauenhaus Zürich hat bei ihr einen bleibenden Eindruck hinterlassen.
Damals konnte ich mir nicht vorstellen, was es bedeutet, wenn Menschen Angst vor anderen haben und sich verstecken müssen. Noch heute denke ich jedes Mal, wenn ich an diesem Ort vorbeikomme, an die Schicksale der Frauen, die in diesem Frauenhaus leben. Ich hoffe, dass sie einen Weg gefunden haben, ohne Angst zu leben.
Bis heute ist Yvonne Bürgi fasziniert vom alten Gefängnis in Regensdorf.
Der Boden war teilweise durchbrochen und ich musste aufpassen, dass ich nicht in die untere Etage fiel. Die Atmosphäre in diesem leeren Gefängnis kann ich kaum beschreiben. Es war beängstigend und faszinierend zugleich. Zusammen mit Gary Kammerhuber habe ich das neue Gefängnis dokumentiert. Vieles durften wir nicht fotografieren, weil die Räume mit modernster Technik ausgestattet sind. Wir haben auch den Tagesablauf der Gefangenen in einer Reportage festgehalten.
Das Ende von Comet
Ende der 90er Jahre war die Stimmung bei Comet zunehmend vom drohenden Untergang geprägt. Yvonne Bürgi entschied sich für einen längeren Aufenthalt in Toronto, um Englisch zu lernen. Ab 1998 arbeitete sie als Kamerafrau bei Tele M1, zwei Jahre später begann sie die Ausbildung zur Kamerafrau beim Schweizer Fernsehen SRF, wo sie bis heute für den “Kamera Live Pool” tätig ist. Ab 2017 absolvierte Yvonne Ehling-Bürgi zusätzlich die Ausbildung zur Primarlehrerin. Heute arbeitet sie hauptberuflich als Lehrerin und teilzeitlich als Kamerafrau beim Schweizer Fernsehen.
Das Porträt beruht auf einem Gespräch mit Yvonne Ehling-Bürgi am 6.3.2024.
Link: Yvonne-Ehling-Bürgi auf foto.ch: https://foto-ch.ch/persons/detail/29616
Bisher erschienen in der Serie Die Cometen:
Die Cometen: Björn Erik Lindroos
Die Cometen: Zum 100. Geburtstag von Jack Metzger
Die Cometen: Christof Sonderegger
Die Cometen: Wolfgang Lindroos
Die Cometen: Hans-Ruedi Bramaz
Geplant sind: Gary Kammerhuber, Dieter Enz, Ueli Meier und weitere.