Das Album En chemin de fer de Lausanne à Berne nimmt uns mit auf eine Bahnreise in der Anfangszeit der Schweizerischen Eisenbahngeschichte. Dass wir darin Ansichten von Freiburg und Oron finden, ist nicht selbstverständlich, denn dem Bau dieser Bahnstrecke ging ein langer Konflikt um die Linienführung voraus.
Die Eisenbahnverbindung zwischen Lausanne und Bern, welche die Deutschschweiz mit der Romandie verbindet, wurde 1862 eröffnet. In den Jahren davor gab es heftige Auseinandersetzungen um die genaue Linienführung. Dieser als «Oronbahn-Konflikt» bekannt gewordene Streit, ist typisch für die Anfangszeit der Eisenbahngeschichte in der Schweiz, in der sich verschiedene kantonale Interessen gegenüberstanden. Bereits 1852 hatten sich die Kantone Bern, Freiburg, Waadt und Genf vertraglich auf eine Bahnverbindung zwischen Bern und Genf über Murten, Yverdon und Lausanne geeinigt. Die Ouest Suisse (Westbahn) erhielt 1854 eine entsprechende Konzession, doch beharrte nun der Kanton Freiburg darauf, dass die Strecke nicht über Murten, sondern über die Stadt Freiburg und dann über Oron nach Lausanne geführt werden sollte. Damit war der Kanton Waadt, der die Bahn möglichst weit auf seinem Territorium gebaut sehen wollte, überhaupt nicht einverstanden. Nach dem Eisenbahngesetz von 1852 lag die Konzessionshoheit zwar grundsätzlich bei den Kantonen, doch hatte der Bund das Recht, Konzessionen zu erzwingen, wenn dies im Interesse der gesamten Eidgenossenschaft lag. So wurde auf Bundesebene gestritten, bis die Bundesversammlung 1857 entschied, dass die Oron-Linie gebaut werden könne.
Typisch für die damalige Zeit war auch die Beteiligung verschiedener Bahngesellschaften. Die Strecke wurde hauptsächlich von der Chemin de fer Lausanne-Fribourg-Berne (LFB) – auch Oronbahn genannt – gebaut, nämlich von Lausanne bis zur bernischen Kantonsgrenze bei Thörishaus. Das kurze Stück von dort bis nach Bern wurde von der Schweizerischen Centralbahn erstellt. Am 4. September 1862 wurde das letzte Teilstück fertiggestellt und die durchgehende Strecke Bern-Freiburg-Lausanne eröffnet.
Von all diesen Schwierigkeiten, die dem Bau der Bahnlinie vorausgingen, ist im Buch En chemin de fer de Lausanne à Berne nicht die Rede. In diesem 1870 in Lausanne erschienenen Album stehen die malerischen Aussichtspunkte, welche die Strecke von Lausanne nach Bern den Reisenden bietet, im Vordergrund. Die Zeichnungen stammen von François Bonnet (1811-1894), der als Landschaftsmaler und Zeichenlehrer in Lausanne und Fribourg tätig war. Die Beschreibungen der dargestellten Ortschaften stammen vom Freiburger Autor Victor Tissot (1844-1917). Tissot war damals Chefredakteur der “Gazette de Lausanne”, später liess er sich in Paris nieder, wo er als Journalist und Reiseschriftsteller erfolgreich war.
Neben den schönen Landschaftsansichten gewährt uns dieses Album auch einen Einblick in das Innere eines Eisenbahnwaggons der 1. bis 3. Klasse.
Victor Tissot schreibt dazu, wenn man während der Fahrt von Langeweile geplagt werde – was in den wunderschönsten Landschaften vorkommen kann – soll man die Wagen der 1. oder 2. Klasse verlassen und sich in die 3. Klasse begeben. Dort kommt man mit den Einheimischen in Kontakt und kann die kuriosesten und pikantesten Beobachtungen machen.
Die ganze Reise auf der Linie Lausanne-Bern kann auch auf der ETHorama-Karte nachverfolgt werden.
Victor Tissot, François Bonnet 1870: En chemin de fer de Lausanne à Berne: album de croquis. Lausanne: Lith. G. Spengler. https://doi.org/10.3931/e-rara-88072