Die Einführung eines militärwissenschaftlichen Unterrichts am Eidgenössischen Polytechnikum wurde erstmals im Entwurf des Bundesrates von 1851 erwähnt. Dieser Entwurf wurde jedoch vom Parlament und von der Hochschulkommission abgelehnt. Drei Jahre später wurde ein Gesuch der Schweizerischen Militärgesellschaft um Errichtung eines Lehrstuhls für Kriegswissenschaften am Polytechnikum erneut zurückgewiesen. Als das Eidgenössische Polytechnikum 1855 gegründet wurde, gab es somit keine militärwissenschaftliche Abteilung.
Bereits 1862 beauftragte der Bundesrat den Schulrat des Polytechnikums erneut mit der Prüfung der Frage, ob der militärische Unterricht obligatorisch eingeführt werden könne. Dazu wurde Guillaume Henri Dufour um eine Stellungnahme gebeten. Dufour sprach sich jedoch gegen die Schaffung eines Lehrstuhls für Militärwissenschaften aus und der Schulrat folgte seinem Rat. Dennoch erreichten die Befürworter im Sommer 1862 einen ersten Teilerfolg: Der Schulrat genehmigte Lehraufträge für militärwissenschaftliche Vorlesungen durch Privatdozenten. Erst 1874 gelang mithilfe von Bundesrat Emil Welti der Durchbruch. Die revidierte Militärorganisation verlangte in den Artikeln 94 und 95, dass am Eidgenössischen Polytechnikum Kurse für militärwissenschaftliche Fächer wie Taktik, Strategie und Kriegswissenschaft usw. eingeführt werden sollten. Vorbild hierfür war die deutsche Kriegsakademie.
Mit der Wahl des ersten militärwissenschaftlichen Professors, dem Aargauer Emil Rothpletz, wurde 1878 eine eigenständige Militärabteilung gegründet. Als mit der Reorganisation des Polytechnikums 1898 wurde die Freifächerabteilung umstrukturiert wurde, erhielt die militärwissenschaftliche Abteilung eine eigene Abteilung (Abteilung VIII). Das Lehrprogramm wurde dabei stark erweitert und die Militärabteilung in zwei Sektionen geteilt: Sektion A umfasste Studierende des Polytechnikums und Gasthörer, Sektion B die Instruktionsoffiziere und Instruktionsaspiranten.
Neue Impulse erhielt die Diskussion über eine militärwissenschaftliche Ausbildung, als 1902 Ulrich Wille mit der militärwissenschaftlichen Abteilung in Kontakt kam. Der Bundesrat ernannte ihn zum Dozenten für Taktik und Kriegsgeschichte. 1907 wurde er zum ordentlichen Professor und zwei Jahre später zum Vorsteher der militärwissenschaftlichen Abteilung gewählt. Wille thematisierte in mehreren Schriften öffentlich die Professionalisierung der Ausbildung der Instruktionsoffiziere. Mit der neuen Militärorganisation vom 3. November 1907 war gemäss Artikel 113 für die militärwissenschaftliche Ausbildung der Offiziere am Eidgenössischen Polytechnikum eine dem Militärdepartement unterstellte Militärschule zu errichten. 1911 wurde die erste Militärschule am Polytechnikum eröffnet.
Das kriegerische 20. Jahrhundert in Europa brachte militärtechnischem und -historischem Wissen enorme Konjunktur. Der Schweizer Chirurg, Offizier und Militärschriftsteller Eugen Bircher lehrte von 1926 bis 1939 als Dozent an der militärwissenschaftlichen Abteilung der ETH Zürich und profilierte sich in der Zwischenkriegszeit als Kenner der europäischen Militärgeschichte, publizierte diverse Schriften und war bestens vernetzt mit französischen und deutschen Militärs. In den 30er-Jahren fiel der BGB-Politiker (Gewerbe- und Bürgerpartei, Vorläufer der SVP) durch seine Deutschfreundlichkeit auf.
Im Hochschularchiv sind diverse Schriften von Bircher über militärhistorische, truppenpsychologische und zeitpolitische Themen überliefert. Ein undatierter Vortrag vom Eugen Bircher, dem Inhalt nach aber auf die Zeit während des Zweiten Weltkriegs zu verorten, trägt den Titel «Der russische Soldat». Der Autor hält sich mit Kritik an der Sowjetunion sehr zurück und preist in einem ersten Teil die Zähigkeit der russischen Soldaten an, während in einem zweiten Teil die Spezifika der gängigen Infanteriewaffen sowie Bewaffnungen der Artillerie in der Roten Armee ausgelegt werden:
«Russland, das raumbedingt eine Lebens- und Schicksalsgemeinschaft bildet, hat seinen Soldaten die Tugend grosser Aufopferungsfähigkeit und grosser Tapferkeit gegeben, die nicht aus der Todesverachtung, sondern aus einer gewissen, beinahe religiös bedingten Unkenntnis des Todes entspringt, da bei ihm Leben und Ewigkeit wohl als Wechselbegriffe stark zutage treten.» (ETH-Bibliothek, Hochschularchiv, Hs 770:112)
Die zweifellos menschenunwürdigen Bedingungen, unter denen Rekruten der Roten Armee wie auch noch in der modernen Armee der Russländischen Föderation, werden als grosse Opferbereitschaft umgemünzt:
«Die Ausbildung der Russen wir auf die höchste Realität gebracht und findet in dem scharfen Exercieren ihren Ausdruck, wo Opfer, wie dies bei der erhöhten Ausbildung bei uns der Fall ist, nicht vermieden werden können; Solche scheut man keineswegs, um den höchsten Grad der Kriegswahrscheinlichkeit zu erreichen.» (ETH-Bibliothek, Hochschularchiv, Hs 770:112)
Grundpfeiler dieses Systems waren schon vor 80 Jahren ein erfolgreicher Personenkult und die Vermengung von Ideologien:
«Der russische Soldat wurde im Glauben an Stalin erzogen. […] Die geistige Ideen die in den Kampf führte, war die Verbindung des Kommunismus mit dem religiösen Patriotismus des russischen Bauern, der um sein Land kämpft.» (ETH-Bibliothek, Hochschularchiv, Hs 770:112)
Nach dem Zweiten Weltkrieg erweiterte sich das Lehrangebot der Abteilung für Militärwissenschaften neben praktischen Kursen auch auf allgemeinbildende Fächer. Bei den jungen Offizieren wurde in den 1950er-Jahren teilweise der fehlende «Weitblick» bemängelt. Vielleicht waren vielseitig interessierte Offiziere wie Eugen Bircher nicht mehr gefragt wie noch zur Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg.
Die Zahl der Studienanfänger sank in den 1960er-Jahren drastisch und erst mit der Einführung einer grundlegenden Revision stieg die Anzahl der Studierenden ab Mitte der 1970er-Jahre wieder. Seit dem 1. Juni 2002 trägt sie den Namen «Militärakademie» (MILAK) und ist mittlerweile Teil des Departements Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften (D-GESS).
Weiterführende Literatur
Rudolf Jaun und Titus Meier (Hg.): 100 Jahre Militärakademie an der ETH Zürich – Von der Militärschule zur Militärakademie 1911-2011, Zürich 2011.
Schulratsprotokolle, online auf: https://sr.ethz.ch/
ETH-Bibliothek, Hochschularchiv, Biographisches Dossier ETH: Abteilung Militärwissenschaften