In Indien sind Kühe allgegenwärtig. Sie grasen auf dem Mittelstreifen von Autostrassen, gehören zu einem Haushalt oder sind Teil des öffentlichen Lebens in den Städten, wie auf der Fotografie von Heinz Baumann aus Varanasi (damals Benares) aus dem Jahr 1971. Bei genauerer Betrachtung erweist sich das Thema Kuhverehrung als kontrovers und politisch.
Heinz Baumann: Benares, 1971 (Com_L20-0933-0009-0007)
Die Wertschätzung der Kuh bei den Hindus beruht nicht nur auf dem wirtschaftlichen Wert der Kuhmilch als Nahrungsmittel, des Dungs als Brennstoff oder der Muskelkraft der Arbeitstiere, sondern auch auf dem spirituellen Aspekt, der den Schutz der Kühe verlangt. Die fundamentalistische Hindutva-Bewegung versucht daher, die vermeintliche Heiligkeit der Kuh zu instrumentalisieren, um Muslime, die Kuhfleisch verzehren, zu entrechten.
Most Hindus today are guided by a religious concern for cow protection. Therefore an average Indian, rooted in what appears to him as his traditional Hindu religious heritage, carries the load of the misconception that his ancestors, especially the Vedic Aryans, attached great importance to the cow on account of its inherent sacredness (Jha, S.18).
Wie der Historiker Dwijendra Narayan Jha weiter ausführt, gibt es jedoch in der indischen Literatur Hinweise auf das Schlachten von Kühen und den Verzehr von Kuhfleisch durch Hindus. Die Heiligkeit der Kuh ist also schwer fassbar und mit rationalen Argumenten kaum zu begründen. Dennoch wird die Verehrung der Kuh als charakteristisches Merkmal eines zeitgenössischen monolithischen “Hinduismus” wahrgenommen, den es in Wirklichkeit gar nicht gibt (Jha, S. 146).
Die Tatsache, dass Jhas Buch vom Hyderabad Civil Court verboten wurde und der Autor Morddrohungen erhielt, zeigt, wie kontrovers und politisch das Thema Kuhverehrung ist. Das einzige, was an Jhas Buch als störend empfunden wurde, war die Tatsache, dass es gegen die Parteilinie der Bharatiya Janata Party (BJP) verstiess (Doniger, S. 504). Dass Jhas The Myth of the Holy Cow angegriffen wurde, wertet die Religionshistorikerin Wendy Doniger daher als gutes Zeichen: Die Feder des Kritikers ist in der Lage, Machtstrukturen zu hinterfragen und anzugreifen.
Literatur:
Doniger, Wendy. On Hinduism. Oxford: Oxford University Press, 2014.
Jha, Dwijendra Narayan. The Myth of the Holy Cow. London: Verso, 2002.