Ein Sonnensturm fegte im Mai 2024 über die Erde und liess sogar in unseren Breitengraden Polarlichter aufleuchten. Grund dafür ist die erhöhte Sonnenaktivität, die in einem Zyklus von 11 Jahren steigt und fällt und im Jahr 2025 ihren Höhepunkt erreichen soll. Dieser Zyklus, Phänomene auf der Sonnenoberfläche und der Einfluss der Sonne auf das Magnetfeld der Erde wurden bereits im 19. Jahrhundert an der damaligen Eidgenössischen Sternwarte der ETH untersucht. Unter dem ersten Direktor der Sternwarte, Rudolf Wolf, wurde diese zu einem internationalen Zentrum der Sonnenforschung.
Als Sonnenflecken bezeichnet man kältere und darum auch dunklere Stellen auf der Sonnenoberfläche, die sich aufgrund von Veränderungen im Magnetfeld der Sonne bilden. Sie und andere Sonnenphänomene, wie Fackeln oder Protuberanzen, sind wegen ihrer sich ständig verändernden Form und ihres unvorhersehbaren Auftretens schwierig zu beobachten und zu dokumentieren. Die Arbeit von Alfred Wolfer (1854–1931), dem zweiten Direktor der Eidgenössischen Sternwarte, zeigt, wie eine Vielzahl an Zeichnungen und Projektionsbilder zu dieser Forschung beigetragen haben.
Alfred Wolfer knüpfte an die Arbeit seines Vorgängers, Rudolf Wolf, an. Dieser hatte den Messwert der Wolf’schen Relativzahl etabliert, die auf Grundlage der Anzahl sichtbarer Sonnenflecken und Sonnenfleckengruppen täglich berechnet wurde. Die Relativzahl ermöglichte den quantitativen Vergleich der Sonnenaktivität über längere Zeiträume, der es auch erlaubte, den 11-Jahres-Zyklus zu bestimmen. Bereits als Assistent führte Wolfer die Berechnung der Wolf’schen Relativzahl ab 1881 parallel zu Wolf weiter. Das dafür verwendete Teleskop, ein Fraunhof’scher Refraktor mit 8cm Öffnung, verfügte über ein Polarisationshelioskop, das eine gefahrlose Beobachtung der Sonne am Okular ermöglichte. Wolfer erweiterte die Messung der Sonnenaktivität um einige Aspekte: Mithilfe von Zeichnungen wollte er auch die Position, die Grösse und die Form der Sonnenflecken und anderer Sonnenphänomene dokumentieren.
Wolfers Interesse an der Position der Flecken wird in seinen Beobachtungsjournalen deutlich: Neben der täglichen Zählung der Sonnenflecken skizzierte er darin die Flecken mit ihrer ungefähren Grösse und Position auf der Sonnenoberfläche. Ausserdem gab er jedem Fleck eine Identifikationsnummer. Damit war es nun möglich, die Position eines einzelnen Flecks auf Sonnenoberfläche zu verfolgen. Die bildliche Dokumentation unterstützte die quantitative Zählung, indem sie diese nachvollziehbar machte und erste Tendenzen über Position, Grösse und Form erahnen liess.
Die genauen Positionen der Sonnenflecken berechnete und publizierte Wolfer ab 1879 als Tabellen. Aus den Jahren 1883 und 1884 sind zudem auch Skizzen zur Grössenmessung überliefert. Ähnlich wie die Position wurde auch die Grösse der Sonnenflecken mit einem Mikrometer gemessen, indem die Position zweier Geraden bestimmt und der Abstand zwischen ihnen berechnet wurde.
Während die Zeichnungen in den Beobachtungsjournalen und bei der Grössenmessung die Flecken schematisch und klein darstellen, zeigt sich ihre intrikate Form – wie beispielsweise der innere Kern und herumliegende Hof ineinander übergehen – in anderen Beobachtungen Wolfers. Seine vermutlich erste zeichnerische Auseinandersetzung mit dem Sonnenphänomen begann er 1876, als er als Volontär der Sternwarte die ersten detaillierten Porträts einzelner Sonnenflecken mit Tusche zeichnete. Die Beobachtung der Sonne erfolgte entweder durch Filter – wie beim Zählen der Flecken – oder durch die Projektion des Sonnenbildes. Die Beobachtungen für die Mikrometermessungen und die detaillierteren Zeichnungen wurden höchstwahrscheinlich mit einem anderen Teleskop, dem Kern-Merz-Refraktor mit 16cm Öffnung in der Hauptkuppel der Eidgenössischen Sternwarte durchgeführt, wobei das Sonnenbild auf eine montierte Platte projiziert wurde.
Eine neue Anwendung dieser Projektion nahm eine weitere Hürde bei der Visualisierung von Wolfers Beobachtungen: Während die Beobachtungsjournale nur schematisch die Grösse und Position der Sonnenflecken dokumentierten und seine detaillierten Zeichnungen die Form darstellten, konnten mit den neu eingeführten Projektionsbildern sowohl Form und Grösse als auch Position der Sonnenflecken in einer Beobachtung massstabgetreu gezeichnet werden. Das Sonnenbild wurde auf eine vorgedruckte Vorlage projiziert und die sichtbaren Sonnenflecken und Fackeln mit Bleistift eingezeichnet und nummeriert. So entstanden fast tägliche Karten der Sonnenaktivität.
Jedoch machten diese Projektionsbildzeichnungen die Beobachtungsjournale für die Berechnung der Relativzahl nicht redundant und diese wurden von Wolfers Nachfolger William Brunner in derselben Form weitergeführt. Ein Grund dafür könnte gewesen sein, dass die Kontinuität von Beobachtung und Berechnung mit demselben Teleskop und derselben Beobachtungsmethode so sichergestellt werden konnte. Alfred Wolfer selbst führte diese Beobachtungsjournale bis 1928 weiter. Es finden sich jedoch keine Skizzen von Mikrometermessungen mehr. Detaillierte Zeichnungen von Flecken finden wir nur vereinzelt, für einen grossen Sonnenfleck von 1898 sind Wolfers letzte Sonnenfleckenportraits überliefert. Die Projektionsbilder bewährten sich am längsten und wurden von seinen Nachfolgern William Brunner und Max Waldmeier weitergeführt; insgesamt finden sich in den Beständen der Eidgenössischen Sternwarte bis 1980 über 28’000 Projektionsbilder.
Literatur:
Gehrig, Janina: Polarlichter färben Himmel über der Schweiz und Deutschland. In: NZZ, 11.05.2024, https://www.nzz.ch/panorama/polarlichter-faerben-himmel-ueber-der-schweiz-und-deutschland-ld.1829471.
H.U. Keller: Rudolf Wolf und die ehem. Eidgenössische Sternwarte in Zürich. In: Orion: Zeitschrift der Schweizerischen Astronomischen Gesellschaft, Jg. 51, Nr. 254, Februar 1993. S. 4-11.
Friedli, Thomas: Die Sternwarte als Ort astronomischer Lehre und Forschung, in: Friedli, Thomas; Fröhlich, Martin; Muschg, Adolf; Rebsamen, Hanspeter; Schnitter, Beate (Hg.): Sempers ehemalige Eidgenössische Sternwarte in Zürich, Bern 1998 (Schweizerische Kunstführer GSK), S. 28-41.
Brunner, William: «Alfred Wolfer», in: Neue Zürcher Zeitung, Nr. 1946, 14.10.1931.
Quellen:
ETH-Bibliothek, Hochschularchiv, Hs 135.14.1, Wolfer, Alfred (1854-1931): Materialien zum Werk, Verschiedene Messungen an Sonnenflecken.
ETH-Bibliothek, Hochschularchiv, Hs 138.36, Wolfer, Alfred (1854-1931): Bildmaterial, Sonnenfleckenzeichnungen.ETH-Bibliothek, Hochschularchiv, Hs 1304.2:53. Sonnenfleckenzeichnung Nr. 52 vom 30. April 1884, https://doi.org/10.7891/e-manuscripta-55441.
ETH-Bibliothek, Hochschularchiv, Hs 1050:123. Sonnenfleckenzählungen vom 22. Juni 1883, https://doi.org/10.7891/e-manuscripta-75871.
Alfred Wolfer zit. nach Wolf, Rudolf: Astronomische Mittheilungen, Bd. LIII, Zürich 1881, S. 136-137.