Zwischen 1921 und 1924 wurde im ausserschwyzerischen Wägital ein Stausee aufgestaut. Eine 111 Meter hohe Gewichtsstaumauer hält seither das Wasser im Talkessel zurück und ermöglicht die Produktion elektrischen Stroms für die Stadt Zürich. Unter anderem arbeitete der Ingenieur Hans Roth (1882-1972), ein Absolvent der Bauingenieurschule am Polytechnikum zwischen 1900 und 1904, Wasserhaushaltspläne für das bevorstehende Kraftwerk im Wägital aus.
In der aktuellen Debatte um die kolonialen Verwicklungen der Schweiz lohnt sich ein Blick zurück in den eigenen Hinterhof. Zu Beginn des 20 Jahrhunderts galten Voralpentäler wie das Wägital als (infrastrukturell) rückständig und somit ausbaufähig. Eine stark steigende Nachfrage nach elektrischem Strom während des Ersten Weltkrieges liess die Stadt Zürich nach einer verlässlichen Energiequelle suchen. Die Errichtung eines Stauwerkes im Wägital erschien topographisch und hydrologisch günstig. Dieser Ausbau der Infrastruktur wurde auch als “Innenkolonisation” bezeichnet. Folgende Skizze von Hans Roth zeigt die Einzugsgebiete der verschiedenen Fliessgewässer im Wägital, die je nach Ausführungsvariante des Projektes genutzt werden könnten:


In seinem Bericht zum Wasserhaushalt plädiert der Ingenieur für einen zweistufigen Kraftwerkbau mit Rückhaltebecken auf halbem Weg nach Siebnen, wo das eigentliche Kraftwerk gebaut wurde. Die Vorteile gegenüber einem einstufigen Bau lagen im grösseren Einzugsgebiet und so einer höheren Wassernutzungsmenge bei unwesentlich grösserem Aufwand. Die zweistufige Projektvariante wurde realisiert:

Unsichtbar im Bericht von Hans Roth bleiben die Folgen für Landschaft und Bevölkerung. Die Gemeinde Innerthal wurde buchstäblich unter Wasser gesetzt und an den Hang verpflanzt. Viele Anwohner wurden enteignet, andere verliessen ihre Heimatgemeinde, da Ihnen nun kein Land mehr zur Verfügung stand. Ein ebenso technokratisch anmutendes Umsiedlungswerk eines ETH-Agrarökonomen stellte sich als Utopie heraus und wurde nie realisiert.

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Kurz nach Ende des ersten Weltkrieges herrschte grosse Arbeitslosigkeit in der Schweiz. Das monumentale Bauprojekt stellte ein willkommenes Arbeitsprogramm dar. Zeitweise bis zu 2500 Arbeiter wurden auf den verschiedenen Baustellen zwischen 1921 und 1925 beschäftigt. Die Arbeitssuchenden kamen aus einer Vielzahl von Schweizer Kantonen, aber auch aus dem nahegelegenen Ausland wie Österreich und Italien.

Mit dem Stauwerk im Wägital sicherte sich die Stadt Zürich ihren Stromhunger – auf Kosten der Bevölkerung des Wägitals. Auch wenn die beteiligten Gemeinden von Wasserzinsen und günstigem Strom profitierten, so war das Leben dort nie mehr dasselbe wie vorher. Ingenieure wie Hans Roth machten es möglich, dass dank akkurat gesammelter Daten über Niederschlags- und Abflussmengen sowie der geologischen Verhältnisse solche Infrastrukturprojekte realisiert werden konnten.
Literaturhinweise:
Wahl, Johannes: Eine Infrastrukturgeschichte des Kraftwerks Wägital, in: Mitteilungen des Historischen Vereins des Kantons Schwyz 115, Schwyz 2023, S. 129-154.