Tropische und subtropische Weltwirtschaftspflanzen

«Ähnlich wie die Yerba-Mate Produktion ausschliesslich auf Südamerika reduziert ist, so ist auch ihr Konsum beinahe gänzlich auf diesen Erdteil beschränkt.»

Schon ein kurzer Blick in die Getränkeregale der Detailhändler in der heutigen Schweiz zeigt, dass sich seit dieser Beobachtung aus den 1930er Jahren viel geändert hat.

Es war Andreas Sprecher von Bernegg, ausserordentlicher Professor an der ETH, der im Jahr 1936 die damalige wirtschaftliche Rolle dieser Pflanze zusammenfasste. Im dritten Band seiner Publikation «Tropische und subtropische Weltwirtschaftspflanzen, ihre Geschichte, Kultur und volkswirtschaftliche Bedeutung» (Stuttgart 1936), der sich mit Genusspflanzen beschäftigt, stehen «Der Teestrauch und der Tee» sowie «Die Mate- oder Paraguayteepflanze» im Mittelpunkt. Neben wirtschaftlichen Einschätzungen zur Rolle von Mate enthält die Publikation aber auch grundlegende Informationen zur Physiologie der Pflanze sowie Anleitungen zur Kultivierung und Weiterverarbeitung.

Sprechers Interesse an diesen Fragen beschränkte sich nicht nur auf Tee und Mate. In seiner Reihe zu den «Tropischen und subtropischen Weltwirtschaftspflanzen» beschrieb er in gleicher Weise Kaffee und Guaraná, Kakao und Kola, Stärke- und Zuckerpflanzen sowie Ölpflanzen.
Zudem hielt Andreas Sprecher zwischen 1923 bis 1941 regelmässig Vorlesungen über tropische und subtropische Weltwirtschaftspflanzen. Die im Hochschularchiv der ETH erhaltenen Manuskripte geben interessante Einblicke in die akribische Arbeit Sprechers. Neben dem eigentlichen Text ergänzte und notierte er – wo immer das möglich war – zusätzliche Informationen. Noch faszinierender sind jedoch die zahlreichen Zeichnungen, die Sprecher offenbar selbst zur Dokumentation seiner eigenen Versuche sowie zur Illustration seiner Publikationen anfertigte.

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Zeichnungen von Andreas von Sprecher zum Thema Tropische Warenkunde, ETH Zürich, Hochschularchiv, Hs 446:6.

Die digitalisierten Schulratsprotokolle bestätigen, was Sprechers Publikationen und Manuskripte ahnen lassen, dass ihm nämlich besonders die praktische Ausbildung der Studierenden am Herzen lag:

«Was nun das ‹Wie› anbetrifft, so gestehe ich Ihnen offen, dass ich kein Freund von ‹Nur-Vorlesungen› bin. Ich bin Biologe, und da schwebt mir das amerikanische Ideal vor, wo der wissenschaftliche Unterricht in den Laboratorien viel grössere Fortschritte gemacht hat, als in Europa.» (ETH-Schulratsprotokolle 1922, Traktandum 128)

1926 als darüber verhandelt wurde, ob Sprecher der Professorentitel verliehen werden soll, hoben seine Kollegen erneut den Praxisbezug hervor:

«Seine Vorlesungen zeichneten sich durch grosse Anschaulichkeit, Klarheit und durch vollständige Beherrschung des vielseitigen Stoffes aus. Er habe es dank seinen ausgezeichneten persönlichen Beziehungen mit den Kolonien verstanden, sich aus eigenen Mitteln, ohne finanzielle Belastung der Hochschule, eine reiche Sammlung von Demonstrationsobjekten für seinen Unterreicht anzulegen.» (ETH-Schulratsprotokolle 1926, Traktandum 33)

Tatsächlich gibt es in den Quellen Hinweise auf ein interessantes Netzwerk. Der bereits zitierte Ernennungsantrag hebt besonders hervor, dass er offenbar dazu beigetragen hat, dass einige seiner Studierenden nach Argentinien auswanderten:

«Die blühende landwirtschaftliche Kolonie junger Schweizer in ‹Missiones› [sic!] in Argentinien sei vorzugsweise seiner Initiative zu verdanken.»

Einiges deutet darauf hin, dass Sprecher jedoch nicht nur Wissen vermittelt hat, sondern auch Kontakte zu möglichen Geldgebern. Im Jahr 1926 informierte das Schweizerische Handelsamtsblatt über die Gründung einer Aktiengesellschaft mit dem Namen «Mate-Tee-Plantagen», deren Zweck der «Erwerb, die Anlage und der Betrieb von Plantagen in Argentinien, sowie die Beteiligung an Plantagenunternehmungen und alle damit zusammenhängenden Geschäfte» sei. Präsident war Anton Herkules Sprecher aus Küsnacht, ein Sohn von Theophil Sprecher von Bernegg. Wie Andreas Zangger in seiner Publikation «Koloniale Schweiz. Ein Stück Globalgeschichte zwischen Europa und Südostasien (1860-1930)» gezeigt hat, war Anton Herkules Sprecher von Bernegg Teil eines breiten Familien- und Handelsnetzwerks, das an verschiedenen Plantagen, beispielsweise in Indonesien beteiligt war. Diese Netzwerke verdeutlichen, wie die Schweiz, obwohl sie selbst nie Kolonien besass, vom Zugang zu kolonialen Märkten sowie von der Zusammenarbeit mit den Kolonialmächten profitierte.

Vor diesem Hintergrund lässt sich auch Andreas Sprecher von Bernegg als Teil dieses Netzwerks verstehen. Er vermittelte in die eine Richtung Wissen über das Betreiben einer Plantage während er in die andere Richtung Verbindungen herstellte zwischen gut ausgebildeten interessierten Personen, die zur Auswanderung bereit waren und potenziellen Investoren. Abgesehen vom Beispiel der Ansiedelungen in Misiones sind bisher noch keine weiteren Fälle bekannt, in denen Studierende von Andreas von Sprecher eigene Plantagen gegründet haben. Die Auswanderungen nach Misiones sind allerdings bis heute besonders präsent. Nicht nur Forschungen über die Beziehungen zwischen der Schweiz und Argentinien, bzw. zur Geschichte der Auslandsschweizer in Argentinien betonen die Rolle von Sprechers. Bis heute produzieren Nachfahren der ehemaligen Studierenden in Misiones Mate und tragen sowohl von Argentinien als auch von der Schweiz aus dazu bei, dass Mate heute in der Schweiz weit verbreitet ist.

Weiterführende Literatur:
María Cecilia Gallero: La inmigración suiza en Misiones, Argentina, in: Bulletin de la Société Suisse des Américanistes, No. 71, 2009, S. 33-44, https://www.sag-ssa.ch/bssa/pdf/bssa71_05.pdf.

Laura Mabel Zang: Los herederos de la crisis : redes sociales e inmigración de suizos en las colonias del alto Paraná misionero (1920-1939), Dissertation Universidad Nacional del Nordeste, 2019, http://repositorio.unne.edu.ar/handle/123456789/28953.

Laura Mabel Zang: Yerba Mate as a Settler Crop: From the Decline of Old-Growth Trees to the Rise of Plantations, in: Apuntes 87 (2019), S. 147-166, https://revistas.up.edu.pe/index.php/apuntes/article/view/975.

Andreas Zangger: Koloniale Schweiz. Ein Stück Globalgeschichte zwischen Europa und Südostasien (1860-1930), Bielefeld 2014.

 

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