«Epos Schweizer Technik und Industrie» (Teil 3): Die Industriebilder und die Ästhetik rauchender Schornsteine.

Der dritte Teil der Reihe «Epos Schweizer Technik und Industrie» widmet sich den Industriebildern. Es ist das am häufigsten dargestellte Thema innerhalb des Zyklus Schweizer Industrie und Technik und umfasst insgesamt 16 Darstellungen von Fabrikarealen und -innenansichten.

Bally Schuhfabriken AG, Schönenwerd

Wilhelm Ludwig Lehmann, Bally Schuhfabriken AG, Stanzerei Schönenwerd, Januar 1927, Öl auf Leinwand auf die Wand aufgezogen, ETH Zürich, Hauptgebäude, Südrisalit, Geschoss F (ETH-Bibliothek Zürich, Kunstinventar / Fotograf: Frank Blaser, Zürich / Ki-00103 / Public Domain Mark)

Verschiedene Unternehmen, darunter auch bekannte Namen wie die Bally Schuhfabriken AG oder die Gebrüder Sulzer AG, verewigten sich hier in den Treppenhallen des Hauptgebäudes der Eidgenössischen Technischen Hochschule, indem sie ein Wandbild stifteten (s. hierzu den Beitrag «Epos Schweizer Technik und Industrie» (Teil 1): die Wandbilder in den Gängen des Hauptgebäudes der ETH Zürich).

Gebrüder Sulzer AG Winterthur, Montagehalle für Dieselmotoren

Wilhelm Ludwig Lehmann, Gebrüder Sulzer AG Winterthur, Montagehalle für Dieselmotoren, September 1928, Öl auf Leinwand auf die Wand aufgezogen, ETH Zürich, Hauptgebäude, Südrisalit, Geschoss G (ETH-Bibliothek Zürich, Kunstinventar / Fotograf: Frank Blaser, Zürich / Ki-00112 / Public Domain Mark)

Wie im Fall der Ingenieurbauten stammen auch die Industrieansichten mehrheitlich vom selben Maler, Wilhelm Ludwig Lehmann (vgl. dazu auch den Beitrag «Epos Schweizer Technik und Industrie» (Teil 2): Eine Hymne an die Ingenieurbaukunst). Lehmann setzt die Fabrikanlagen in einem harmonischen Spiel aus Farben und Licht in realistisch-impressionistischer Manier in Szene, zum einen als bildfüllendes Hauptthema, zum anderen als «Überblickslandschaften, mit einem leicht überhöhten Betrachterstandpunkt», sprich weniger prominent in den Hintergrund gerückt.

Heberlein & Co. AG Wattwil, Bleicherei, Färberei, Druckerei

Wilhelm Ludwig Lehmann, Heberlein & Co. AG Wattwil, Bleicherei, Färberei, Druckerei, August 1923, Öl auf Leinwand auf die Wand aufgezogen, ETH Zürich, Hauptgebäude, Nordrisalit, Geschoss G (ETH-Bibliothek Zürich, Kunstinventar / Fotograf: Frank Blaser, Zürich / Ki-00122 / Public Domain Mark)

In beiden Fällen wird die Fabrik kompositorisch und farblich als harmonischer, unzertrennlicher Bestandteil der ihr umliegenden Natur inszeniert, so wie man es auch von früheren Industrieansichten kennt [1].

Aluminiumindustrie AG Neuhausen, Werk Chippis

Wilhelm Ludwig Lehmann, Aluminiumindustrie AG Neuhausen, Werk Chippis, Dezember 1923, Öl auf Leinwand auf die Wand aufgezogen, ETH Zürich, Hauptgebäude, Südrisalit, Geschoss G (ETH-Bibliothek Zürich, Kunstinventar / Fotograf: Frank Blaser, Zürich / Ki-00110 / Public Domain Mark)

Querschnitt Schweizer Industrie

Chemische Fabrik, vormals Sandoz Basel

Wilhelm Ludwig Lehmann, Chemische Fabrik, vormals Sandoz Basel, Mai 1926, Öl auf Leinwand auf die Wand aufgezogen, ETH Zürich, Hauptgebäude, Südrisalit, Geschoss G (ETH-Bibliothek Zürich, Kunstinventar / Fotograf: Frank Blaser, Zürich / Ki-00118 / Public Domain Mark)

Die Sparte der Chemieindustrie ist mit Darstellungen der Heberlein & Co. AG, der Gesellschaft für chemische Industrie Basel (Ciba), der chemischen Fabrik vormals Sandoz Basel, der J. R. Geigy AG Basel, der Färberei A. Weidmann AG und der Chemischen Fabrik Uetikon, sowie mit der Aluminiumindustrie AG Neuhausen breit vertreten.

Färberei A. Weidmann AG, Thalwil

Wilhelm Ludwig Lehmann, Färberei A. Weidmann AG, Thalwil, August 1921, Öl auf Leinwand auf die Wand aufgezogen, ETH Zürich, Hauptgebäude, Südrisalit, Geschoss F (ETH-Bibliothek Zürich, Kunstinventar / Fotograf: Frank Blaser, Zürich / Ki-00099 / Public Domain Mark)

Das zeugt von der Bedeutung der chemischen Fächer, Abteilung IV, am damaligen Eidgenössischen Polytechnikum, an dessen Studierende die Bilder gerichtet waren, sowie vom Stellenwert der chemischen Industrie in der Schweiz seit dem 19. Jahrhundert [2].

Chemische Fabrik Uetikon

Wilhelm Ludwig Lehmann, Chemische Fabrik Uetikon, März 1922, Öl auf Leinwand auf die Wand aufgezogen, ETH Zürich, Hauptgebäude, Nordrisalit, Geschoss G (ETH-Bibliothek Zürich, Kunstinventar / Fotograf: Frank Blaser, Zürich / Ki-00119 / Public Domain Mark)

Die Innenansichten des Fabrikbetriebes sind primär der Eisen- und Maschinenindustrie mit ihren weiten Hallen und imposanten technischen Anlagen gewidmet.

Maschinenfabrik Oerlikon, Halle für Grossmaschinenbau

Wilhelm Ludwig Lehmann, Maschinenfabrik Oerlikon, Halle für Grossmaschinenbau, August 1929, Öl auf Leinwand auf die Wand aufgezogen, ETH Zürich, Hauptgebäude, Südrisalit, Geschoss G (ETH-Bibliothek Zürich, Kunstinventar / Fotograf: Frank Blaser, Zürich / Ki-00111 / Public Domain Mark)

Darunter sind die Stiftungen der Gesellschaft der L.-V. Rollschen Eisenwerke, der Schweizerischen Lokomotiv- und Maschinenfabrik Winterthur, der Maschinenfabrik Oerlikon und der AG der Eisen und Stahlwerke, vormals Georg Fischer Schaffhausen, sowie die bereits oben erwähnte Gebrüder Sulzer AG Winterthur (Bild 2) zu finden.

Gesellschaft der L. V. Roll'schen Eisenwerke, Stahlwerk Gerlafin

Wilhelm Ludwig Lehmann, Gesellschaft der L. V. Roll’schen Eisenwerke, Stahlwerk Gerlafingen, Juli 1927, Öl auf Leinwand auf die Wand aufgezogen, ETH Zürich, Hauptgebäude, Südrisalit, Geschoss G (ETH-Bibliothek Zürich, Kunstinventar / Fotograf: Frank Blaser, Zürich / Ki-00114 / Public Domain Mark)

In den Innendarstellungen setzt Lehmann den Akzent auf eine minutiöse, realistische Wiedergabe der Technik. Wie beim elektrischen Ofen im Eisen- und Stahlwerk, mit der spürbar dargestellten Hitze des Feuers, übernehmen in den Innenansichten die technischen Werke die Hauptrolle im Bild.

AG der Eisen- und Stahlwerke, vormals Georg Fischer Schaffhausen

Wilhelm Ludwig Lehmann, AG der Eisen- und Stahlwerke, vormals Georg Fischer Schaffhausen, Elektrischer Ofen 4500 KW, 1930, Öl auf Leinwand auf die Wand aufgezogen, ETH Zürich, Hauptgebäude, Südrisalit, Geschoss G (ETH-Bibliothek Zürich, Kunstinventar / Fotograf: Frank Blaser, Zürich / Ki-00113 / Public Domain Mark)

Ebenso die Lokomotive im Bild der Schweizerischen Lokomotiv- und Maschinenfabrik Winterthur, deren genaue Wiedergabe des glänzenden Metallkörpers in den Schienen fortgeführt ist, die den Bildraum mit dem realen Raum des Betrachters verbinden.

Schweizerische Lokomotiv- und Maschienenfabrik Winterthur, Monta

Wilhelm Ludwig Lehmann, Schweizerische Lokomotiv- und Maschinenfabrik Winterthur, Montagehalle, Juli 1927, Öl auf Leinwand auf die Wand aufgezogen, ETH Zürich, Hauptgebäude, Südrisalit, Geschoss G (ETH-Bibliothek Zürich, Kunstinventar / Fotograf: Frank Blaser, Zürich / Ki-00115 / Public Domain Mark)

Auch die Schweizerische Zementindustrie-Gesellschaft Heerbrugg ist im Zyklus mit einem Bild vertreten. Es zeigt das Fabrikgebäude im Unterterzen am Walensee als in sich geschlossene Gebäudegruppe, die sich mit ihrem kompakten, horizontalen Baukörper und dem aufstrebenden Hochkamin im Seewasser spiegelt.

Schweizerische Zementindustrie A.-G. Heerbrugg, Fabrik Unterterz

Wilhelm Ludwig Lehmann, Schweizerische Cementindustrie AG Heerbrugg, Fabrik Unterterzen, April 1930, Öl auf Leinwand auf die Wand aufgezogen, ETH Zürich, Hauptgebäude, Südrisalit, Geschoss G (ETH-Bibliothek Zürich, Kunstinventar / Fotograf: Frank Blaser, Zürich / Ki-00117 / Public Domain Mark)

Aufgrund der harmonischen Farbgebung ergeben die Fabrik und die Felswand des nördlichen Seeufers im Hintergrund ein stimmiges Gesamtbild, erzeugen eine nahezu idyllische Atmosphäre, die durch die auf dem Steg sitzende Figur am rechten Bildrand unterstrichen wird, da in ihrer Kontemplation die Fabrik als dem Felsen zugehörend verstanden wird.

Der Fortschrittsglaube

In allen Industrieansichten des ETH-Zyklus ist der unverkennbare, optimistische Blick der Menschen dieser Zeit auf das Industriezeitalter und der «Glaube an den immerwährenden technischen Fortschritt» spürbar. Nicht zuletzt in den rauchenden Schornsteinen, die seit dem 19. Jahrhundert in der Kunst als «Attribut für industrielle Dynamik» stehen [3]. Sie waren das Zeugnis reger Betriebsamkeit innerhalb der Fabriken und das Zeichen für Wohlstand [4]. Nicht zuletzt übten sie auf die Künstler mit ihrer sich stetig verändernden Farbigkeit und den sich wandelnden Rauchwolken eine ästhetische Faszination aus, die es einzufangen galt [5].

Auch im Bild mit dem Titel «Arbeit» aus dem Jahr 1931 dominiert der Rauch die Szene, gegenüber den nur skizzenhaft angedeuteten Fabrikgebäuden in der unteren Bildhälfte.

Arbeit

Wilhelm Ludwig Lehmann, Arbeit, 1931, Öl auf Leinwand auf die Wand aufgezogen, ETH Zürich, Hauptgebäude, Südrisalit, Geschoss E (ETH-Bibliothek Zürich, Kunstinventar / Fotograf: Frank Blaser, Zürich / Ki-00097 / Public Domain Mark)

Der schwarz aufsteigende Rauch weist stellvertretend auf das, was in der Fabrik passiert: je dunkler die Farbe desto intensiver wird innerhalb der Fabrik gearbeitet und der industrielle Fortschritt vorangetrieben.

Eine Sonderstellung dagegen nimmt das Bild «Feierabend im Walzwerk Gerlafingen» ein. Bei diesem handelt es sich nicht um ein Auftragswerk, sondern um eine Schenkung des Malers an die Hochschule, weshalb Lehman das Thema frei wählen konnte: Der Maler entschied sich für den Feierabend, ein ebenso, unabdingbares Zeichen des Fortschrittes innerhalb des Prozesses der Industrialisierung.

Feierabend im Walzwerk Gerlafingen

Wilhelm Ludwig Lehmann, Feierabend im Walzwerk Gerlafingen, März 1928, Öl auf Leinwand auf die Wand aufgezogen, ETH Zürich, Hauptgebäude, Südrisalit, Geschoss G (ETH-Bibliothek Zürich, Kunstinventar / Fotograf: Frank Blaser, Zürich / Ki-00116 / Public Domain Mark)

In der stillgelegten Halle herrscht Ruhe und Stille. Die farbigen Glasfenster im Hintergrund verleihen dem Bild eine sakrale, unantastbare Aura, welche die Bedeutung von Bild und Thema innerhalb des gesamten Zyklus hervorhebt und den «Glaube an den immerwährenden technischen Fortschritt» auf eine ganz andere Art und Weise beleuchtet.

Die Bilder und der Zyklus Schweizer Industrie und Technik in den Treppenhallen des Hauptgebäudes der ETH Zürich sind Thema der kommenden Public Tour «Schweizer Industrielandschaften» am Dienstag, 27. September 2022, um 18:15.

[1] Vgl. Bertsch 1994, S. 239

[2] Vgl. dazu den Artikel «Chemische Industrie» in: Historisches Lexikon der Schweiz

[3] Vgl. Bertsch 1994, S. 236

[4] «Im 19. Jahrhundert, und partiell auch in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, und noch in den Aufbaujahren nach 1945 galt der rauchende Schornstein als Zeichen der Prosperität. Die Umkehrung zum negativen Zeichen erfolgte in den 70er Jahren als Folge auch der Ölkrise und der beginnenden Diskussion von Umweltproblemen.» Aus: Sturm 2007, S. 173

[5] Vgl. Sturm 2007, S. 167

 

Literatur:

Welti, Albert J.: Wilhelm Ludwig Lehmann. 1861-1932, in: Zürcher Kunstgesellschaft Neujahrsblatt, 1935.

Bertsch, Christoph: Industrielle Revolution in der Bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts, in: Technik und Kunst, hrsg. von Dietmar Guderian, 1994, S. 233-261.

Sturm, Hermann: Industriearchitektur als Kathedrale der Arbeit. Geschichte & Gegenwart eines Mythos, 2007.

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