Was bewegt einen Menschen dazu, von sich zu behaupten, etwas zu sein, dass man gar nicht ist? Die Gründe dafür können Neid, Gier, Not oder einfach nur ein narzisstischer Charakterzug sein. Hochstapelei ist per definitionem der Versuch, durch Betrügereien und Vertrauensmissbrauch eine höhere gesellschaftliche Stellung vorzutäuschen. Als Bildungsanstalt von ansehnlichem Ruf war auch die ETH in ihrer Geschichte vor Betrugsversuchen nicht gefeit. Aus den Tiefen der Verwaltungsakten sind dem Hochschularchiv zahlreiche Schwindeleien überliefert.
Im Oktober 1942 wandte sich die Escher Wyss Maschinenfabrik ans Rektorat der ETH mit der Bitte, man möge den Studiennachweis eines J. V. K. aus Mexiko überprüfen. Der Mann, der sich als «Ingeniero Diplomado de la Universidad Politecnica Federal Suiza (Zurich)» betitelt hatte, empfahl sich für die Escher Wyss Maschinenfabrik als Mittelsmann für die Abwicklung einer Lieferung an einen mexikanischen Kunden des schweizerischen Industrieunternehmens. Die Behauptung entpuppte sich als dreiste Lüge: «Auf Ihr Schreiben vom 20. ds. teilen wir Ihnen mit, dass ein [J. V. K.] an der E. T. H. nicht studiert hat. […]» (EZ-5.5/062) schrieb das Rektorat der ETH zwei Tage später zurück. Zweifellos beabsichtigte J. V. K. mit dem Etikett eines ETH-Diplomanden Know-How und Verlässlichkeit zu imitieren, um sich einen wirtschaftlichen Vorteil in einem Handelsgeschäft zu verschaffen.
Zu einer Zeit als Hochstapelei und narzisstische Selbstüberhöhung bei unserem nördlichen Nachbarn zur Staatsräson erhoben wurde, erreichte die ETH im Juli 1942 eine Anfrage betreffend des in Italien geborenen B. C. Die «Hauptstelle für die Sippenkunde des Deutschtums im Ausland» in Stuttgart ersuchte beim Land- und Forstwirtschaftlichen Institut der ETH eine Auskunft zwecks eines Abstammungsnachweises. Der Bescheid des Rektorats war auch in diesem Fall negativ. Über die Motivation hinter diesem Betrugsversuch lässt sich nur mutmassen. Unklar ist zunächst, ob die Behauptung überhaupt von B.C. stammt. Im Schreiben der Nazi-Behörden steht nur, dass der Mann «auf der Landwirtschaftlichen Hochschule in Zürich gewesen sein soll». [EZ-5.5/070] Möglicherweise erhoffte sich B.C. mit dem fingierten Nachweis eines Studiums in der Schweiz eine bessere Einstufung im Rahmen der 1935 erlassenen Reichsbürgergesetze.
Der dritte Titelschwindler betrifft W. H. aus Bern. Der 1911 geborene Mann heuerte 1940 bei der Maschinen-Fabrik und Giesserei Netstal A.G. als Betriebsleiter an:
“Derselbe teilte uns in seinem Anmeldeschreiben mit, dass er nach vorheriger anderweitiger technischer Ausbildung im Jahre 1934 (oder 1936) an der Eidg. Technischen Hochschule den Titel eines Ingenieurs ETH erworben habe. Da aber seine technischen Leistungen Zweifel darüber auftreten liessen, dass [W. H.] wirklich Ingenieur ETH ist, wären wir Ihnen sehr dankbar, wenn Sie uns mitteilen würden, ob diese Angabe tatsächlich stimmt.” (EZ-5.5/048)
Die ETH widerlegte die Behauptung von W. H., denn dieser sei weder Fachhörer noch Student an der ETH gewesen. Es ist anzunehmen, dass der Glarner Industriebetrieb dem Herrn kurz darauf die Stelle gekündigt hatte. Dies hielt ihn aber nicht davon ab, die gleiche Masche knapp zwei Jahre später noch einmal zu abzuziehen. Im Februar 1943 erreichte ein Schreiben der Maschinenfabrik von Theodor Bell & Cie. aus Kriens die ETH. Derselbe W.H., jedoch unter Angabe eines anderen Geburtsdatums und -jahres, soll 1934 bei Prof. Eichelberg an der ETH diplomiert haben. Der Geduldsfaden des Rektorats war nun arg strapaziert:
“Er hat somit kein Recht, sich Ingenieur E.T.H. zu nennen. Wir möchten nicht unterlassen zu bemerken, dass dieser H. sich fortgesetzt unter unwahren Angaben um Stellen bewirbt. So mussten wir im August 1941 der Maschinenfabrik und Giesserei A.G. Netstal die gleiche negative Auskunft erteilen.” (EZ-5.5/076)
Der Betrüger W. H. wich nicht davor zurück, bei verschiedenen Arbeitgebern abweichende Geburtsdaten anzugeben und erdreistete sich zudem, denselben Betrugsversuch mehrere Male zu starten. Dass dieses Vorgehen durch Recherche leicht zu durchschauen und somit nicht besonders intelligent ist, fiel ihm in seiner Selbstüberhöhung nicht ein. Heutzutage gelangen solche Narzissten problemlos in die höchsten Exekutivämter mächtiger Staaten; vielleicht waren die drei Delinquenten zu wenig ehrgeizig?