Letzte Woche durfte die Kartensammlung der ETH-Bibliothek mit einer Buchvernissage das 50-jährige Bestehen feiern. Nebst den vielen tollen Gesprächen, der Eröffnung durch ETH-Bibliotheksdirektor Dr. Rafael Ball und einer fachlichen Einführung von Prof. Dr. Lorenz Hurni (Institut für Kartografie und Geoinformation IKG, ETH Zürich) in die Welt der Kartografie (inkl. Prüfungsfrage für die Teilnehmenden der Vernissage) bot die Reise mit dem früheren Leiter «Digitale Medien» bei der Neuen Zürcher Zeitung, Dr. Peter Hogenkamp durch die Festschrift «Landkarten des Wissens: 50 Jahre Kartensammlung an der ETH-Bibliothek» spannende Einblicke und Augenblicke, welche so nicht erwartet und gar gesucht worden sind – eben, «Serendipity».
Hogenkamp stellte seine Präsentation ganz unter diesen Aspekt der Serendipität, auch wenn für ihn die Umschreibung des Begriffs (zu deutsch etwa «glücklicher Zufall», oder «zufällige Beobachtung») der eigentlichen Bedeutung nicht ganz gerecht werde. Es gehe mehr um Entdeckungen oder Erfahrungen – beispielsweise beim Lesen einer Festschrift -, die man nicht erwartet oder gesucht habe und dann aber doch Lust machen, der Neugierde aus diesem Unerwarteten nachzugeben. So fand sich Hogenkamp in der Festschrift im Artikel zur Geschichte der Kartensammlung bei der abgebildeten ersten Karte im Bestand der ETH-Bibliothek gleich bei seinem früheren Wohnort wieder: der Stadt St. Gallen.
Abb. 1: Grundriss der Stadt und des Bezirkes St. Gallen / aufgenommen von J. Zuber und litho[gra]ph[ier]t von J. L. Gsell, 1835. (https://doi.org/10.3931/e-rara-20767)
Aus dieser persönlichen Erfahrung animiert, die Karte etwas länger und im Detail betrachten zu können, gelangte Hogenkamp über den Link im Artikel nach wenigen Schritten (bzw. Klicks) via e-rara.ch und dem Bibliothekskatalog zum georeferenzierten Digitalisat, und konnte seinen alten Wohnort hochaufgelöst auf der Karte betrachten. Eine Steigerung oder Erweiterung des Serendipity-Moments hätte dann noch die Kombination dieser Karten mit einer neueren Karte sein können, diesen Schritt gelingt dann vielleicht ein anders Mal.
Abb. 2: Die georeferenzierte Karte, dargestellt mittels “Swipe”-Funktion auf einer modernen Webkarte im Georeferencer.
Die Verbindung von Serendipity mit der Festschrift oder Karten ganz allgemein war und ist jedenfalls passend. Karten sind für diese Art von Zugang zu «ungesuchten», neuen Erfahrungen ideale Impulsgeber und bilden schon fast eine symbiotische Verbindung: Als selektive Abbildungen der Realität zu bestimmten Zeitpunkten (das hätte eine Antwort auf die Prüfungsfrage von Prof. Hurni – «Was sind Karten?» – sein können) bieten Karten immer wieder neue Einblicke und Perspektiven, lassen Vergangenes Gegenwärtig werden, vermitteln Wissen in visueller Form und bieten Anknüpfungspunkte für weitere Recherchen in Karten oder anderen Medien. Es ist immer wieder spannend, wie oft und schon fast regelmässig solche «Serendipity»-Momente beispielsweise beim Verfassen eines neuen Blogbeitrags wie diesem hier, bei der Vorbereitung einer thematischen Führung oder ganz allgemein bei der Arbeit im und mit dem Kartenbestand der ETH-Bibliothek vorkommen. Diese glücklichen, oft ungesuchten Erfahrungen mit Karten dürften – nebst allen fachlichen und wissenschaftlichen Aspekten, die das Medium Karte und die Kartensammlung als solche erfüllen – mit ein Grund dafür sein, dass die Kartensammlung dieses Jahr 50 Jahre Bestehen feiern darf.
Literatur
Gasser, Michael, und Diana, Meda Hotea (Hgg.): Landschaften des Wissens : 50 Jahre Kartensammlung an der ETH-Bibliothek. Petersberg: Michael Imhof Verlag, 2022.