Mit der Gründung der Sammlung wissenschaftlicher Instrumente und Lehrmittel 2019 wurde es möglich, das materielle Gedächtnis der ETH konservatorisch korrekt aufzubewahren und nach musealen Standards zu erfassen. Dies nahm das Hochschularchiv im April 2022 zum Anlass, Objekte aus diversen Beständen an die Sammlung abzugeben. Rund 40 dieser Objekte stammen aus dem Nachlass von Paul Jaray. Ein guter Grund also, dem namhaften Ingenieur und Aerodynamiker erneut einen Blogbeitrag zu widmen.
Die Person Paul Jaray
Paul Jaray wird 1889 in Wien geboren. Er absolviert die Maschinenbauschule in Wien und arbeitet später im Flugzeug- sowie Luftschiffbau. Ab 1924 lebt und arbeitet Jaray in der Schweiz, wo er sich unter anderem dem Radiobau widmet. Jaray gilt als begnadeter Erfinder und Pionier. Auf ihn geht nicht nur das J-Rad zurück, sondern er gilt auch als einer der Begründer der Stromlinienform.
Diese überträgt er in den 1920er Jahren auf verschiedene Automodelle. Jarays Schaffen hatte bedeutende Auswirkungen, dennoch war er lange Zeit nicht sonderlich bekannt. Aufgrund seiner jüdischen Herkunft ist sein Name in Vergessenheit geraten. Die Nationalsozialisten gingen systematisch gegen jüdische Wissenschaftler:innen vor, enteigneten Patente oder übertrugen gar die Autorenschaft auf nicht-jüdische Personen. Alles mit dem Ziel die Forschung zu arisieren. Heute wird dieser Vergessenheit entgegengesteuert: Von November 2021 bis im Januar 2022 wurde in Venedig eine Ausstellung über Jarays Schaffen und seine Bedeutung gezeigt. Objekte und Schriftstücke von Paul Jaray, welche sich in der ETH-Bibliothek befinden, sind dafür nach Venedig gereist und werden auch in in den kommenden Jahren in weiteren Ausstellungsprojekten zu sehen sein.
Der Nachlass Jarays und die ETH-Bibliothek
Paul Jarays Nachlass kam in den Besitz der ETH-Bibliothek, als das Hochschularchiv noch Teil der Wissenschaftshistorischen Sammlung (WHS) war. Damals war es üblich, dass Unterlagen mit thematischem Schwerpunkt der Studienrichtungen der ETH Zürich ins Archiv übernommen wurden, auch wenn der Nachlass-, bzw. in diesem Fall der Vorlassgeber, keinen Bezug zur ETH Zürich hatte. Paul Jaray hat einen Grossteil der Unterlagen selbst der ETH Zürich übergeben und testamentarisch festgehalten, dass die Dokumente und Objekte nach seinem Tod in den Besitz der ETH Zürich übergehen. Seine dritte Ehefrau Marguerite Leuenberger hat schliesslich 1975, ein Jahr nach Jarays Tod, weitere Dokumente und Objekte an die WHS übergeben.
Der Nachlass besteht aus 352 Manuskripten (Bestandssignatur Hs 1144), 565 Korrespondenzstücken (Bestandssignatur Hs 1145), Biographischen Inhalten (Bestandssignatur Hs 1146) sowie aus über rund 80 Objekten (Bestandssignatur Hs 1146a), die sich neu in der Sammlung wissenschaftlicher Instrumente befinden. Eine komplette Übersicht über den Jaray-Bestand bietet das digitalisierte Findmittel dazu. Darin finden sich zusätzlich auch Verweise auf Bild- und Tonbestände, die dem Bildarchiv der ETH Zürich übergeben wurden und eine Auflistung von Jarays Publikationen.
Auch wenn die Objekte mittlerweile nicht mehr im Hochschularchiv der ETH Zürich sind, so sind die Dokumente aus dem Nachlass trotzdem eine wichtige Ergänzung, sollte man sich intensiv mit den Objekten beschäftigen wollen.
Ein gutes Beispiel hierfür ist eine Korrespondenz zwischen Paul Jaray und Lowell H. Brown, dem Vertreter der Jaray-Streamline-Corporation of America in New York, die unter anderem ein Patent für diverse Jaray-Stromlinien-Karosserien regelt.
Die Objekte
Objekte sind in dem Sinne kein klassisches Archivmaterial und haben entsprechend auch mehr Berechtigung, in der Sammlung wissenschaftlicher Instrumente und Lehrmittel zu sein, denn im Jaray-Bestand im Hochschularchiv.
Einige dieser Objekte sollen hier nun etwas genauer unter die Lupe genommen werden. Da der Inventarisierungsprozess im vollen Gange ist, liegen unterschiedlich viele Informationen zu den Objekten vor. Deutlich wird jedoch, dass sie als materielles Gedächtnis von Jarays Schaffen zeigen, in welchen Bereichen er geforscht und gearbeitet hat.
Ab 1941 arbeitet Jaray als technischer Leiter bei der Firma Flugzeugbau Farner AG. Einige Objekte, wie diese Klinkvorrichtung, zeigen diese Verbindung auf. Auch nach dem Weggang von Farner bleibt Jaray im Flugzeugbau tätig und tritt 1944 eine Stelle als Ingenieur bei G. Naef Flugmechanik im Fischenthal im Zürcher Oberland an.
Jarays Auseinandersetzung mit der Stromlinienkörperform zeigt sich ebenfalls in den Objekten, wie an diesem Stromlinienkörper aus Holz.
Ein weiteres Holzmodell, nämlich das eines Stromlinienautos ist nun ebenfalls im Besitz der Sammlung. Für das Verständnis von Jarays Schaffen ein zentrales Objekt; 1922/23 wird die erste Serie von Stromlinienautos gebaut. Dafür hat Jaray mit Holzmodellen wie dem abgebildeten in einem Zeppelin-Windkanal Experimente durchgeführt.
Damit überhaupt Modelle, wie etwa die obigen entstehen konnten, mussten erst Pläne, also Zeichnungen angefertigt werden. Davon befinden sich mehrere im Jaray-Nachlass. Diese reichen von groben Skizzen auf der Innenseite eines Mappendeckels…
…über sehr detaillierte technische Zeichnungen…
…bis zu künstlerischen Werken. In diesem Fall sogar gekoppelt mit Darstellungen seiner technischen Erfindungen, wie dem Stromlinienauto.
Ein Hilfsmittel bei solchen Darstellungen kann ein solches Zeichnungsgerät gewesen sein, wie es von Jaray patentiert wurde.
Ein weiteres wichtiges Hilfsmittel für Jarays Zeichnungen und Pläne waren solche Kurvenlineare, von denen eine Vielzahl in die Sammlung wissenschaftlicher Instrumente und Lehrmittel übergegangen sind.
Neben diesen bekannte(ren) Objekten gibt es auch einige unidentifizierbare Objekte. In solchen Fällen ist die Sammlung auf das Wissen der Crowd angewiesen. Wozu wurde ein Objekt genau verwendet oder um was handelt es sich überhaupt? Diese Fragen stellen sich auch beim unten abgebildeten Objekt. Mit grosser Wahrscheinlichkeit wurde es von Jaray selbst hergestellt. Doch für was es genau genutzt wurde, wissen wir noch nicht. Das wird sich hoffentlich im Laufe der Inventarisierung herausstellen.
weitere ETHeritage-Beiträge zu Paul Jaray:
weitere Links:
https://www.sueddeutsche.de/stil/aerodynamik-stromlinienform-auto-paul-jaray-ausstellung-1.5456200
https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/031473/2021-01-18/
Beitragsbild: http://doi.org/10.3932/ethz-a-000090441