Die Tonbildschau war in den 70er- und 80er Jahren in der Schweiz hoch im Kurs. Die runden Magazine unzähliger Kodak Carousel-Projektoren drehten sich in so manchen Ausstellungsräumen und verdunkelten Versammlungsräumen im synchronisierten Doppelpack. Für den 1939 in Zürich geborenen Schriftsteller, Musiker, Dokumentarfilmer, Tonbildschaugestalter und Bildredakteur Peter (Pedro) Justitz war die Tonbildschau mit ihrer Verbindung von Ton und Bild das perfekte Medium, um seiner Sehnsucht nach einer heilen Welt Ausdruck zu geben.
Die Neue Zürcher Nachrichten vom 16. August 1976 beschreiben eine Tonbildschau von Peter Justitz so:
Unter den Bögen am Limmatquai, zwischen Rüdenplatz und Zunfthaus zur Saffran, findet Zürich zurzeit in einer konzentrierten Form statt: auf dem Rüdenplatz wurde von der stadtpräsidialen Abteilung eine grosse Leinwand aufgestellt, über die allabendlich […] Lichtbilder vom Zürcher Weinland, dem Zürcher Oberland und anderen spezifisch zürcherischen
Aspekten; als Höhepunkt dem Sechseläuten, flimmern.Über mangelnden Besuch kann sich diese Gratisveranstaltung nicht beklagen: am Wochenende sassen bereits lange vor 20.30 Uhr, der offiziellen Anfangszeit, viele Leute zwischen der «Cave Rüden» und der «Fantasio-Bar», inmitten alteingesessener, gediegener Altstadt-Geschäfte auf grünen Schalenstühlen oder vor der genannten Bar auf dem Trottoir, wo sie die auf der aufgestellten Leinwand aufleuchtenden ZüriBilder verfolgen konnten.
Heinz Baumann: Zürich, Rüden, Tonbildschau von Peter Justitz, August 1976 (Com_Ex-BA01-0094-0006)
Informationen zu Peter Justitz muss man sich aus den Klappentexten, Vor- und Nachworten verschiedener Bücher und in Zeitungsarchiven zusammensuchen. Eine oberflächliche Suche im Internet gibt sehr wenig her. Eine Facette von Justitz scheint die Verweigerung zu sein, denn er hat abgesehen von ein paar Büchern und Schallplatten wenig Spuren hinterlassen. Eine gewisse Negativität oder Resignation, wie er es selbst nennt, geht auch aus seinen Beiträgen im Nebelspalter und der Lyrik in Die improvisierte Ikone hervor. Dort gewinnt man im Nachwort einen vertieften Einblick in das vielschichtige und abgründige Wesen von Peter Justitz.
Mein eigentlicher Ausbruch aus zuweilen beschränkter deutschschweizerischer Seelenlandschaft, in die ich im Jahr 1939 hineingeboren wurde, setzte, nachdem ich mit Hingabe in zahllosen audiovisuellen Schauen das Zürcher Weinland, Oberland, Unterland, die Schweiz als Heimat und Heimatschutz, das Sechseläuten als Zürcher Zunft- und Brunstfest usw. besungen hatte, 1978/79 in New York ein. Dort begann die Loslösung, die Abschottung. Dieser Abschiedsprozess war immer mit Todeserlebnissen gekoppelt, die sich mit der Zeit häuften und verstärkten (S. 166).
Heinz Baumann: Porträt Peter Justitz, ca. 1980 (Com_Ex-BA01-0230-0001)
Heimat und Entwurzelung
Nach seinem Aufenthalt in New York machte sich Justitz 1986 erneut auf die Reise, um den Spuren seiner sephardischen Vorfahren in Spanien und Portugal zu folgen. Dabei gelangte er schliesslich nach Marokko …
Es war wie ein Sog, der mich mehr und mehr in Richtung Sahara zog: Fes, Marrakesch, Agadir, dann die Oasen. Und mit dem Wunsch, dem Spleen, der fixen Idee im Kopf, ein Haus, mein Haus, ein neues Haus zu finden, standen mir – gerade in der Königsstadt Marrakesch – Häuser und Paläste offen […]. Die hohe Sensibilität in diesem arabischen Raum hat mich sehr beeindruckt, die grosse Gastfreundschaft, verglichen mit Israel und auch der Schweiz, beinahe beschämt. […] Obwohl ich schliesslich, leider!, den Mut nicht fand, in diesem orientalischen Lebensbereich, der mich unheimlich anzog und faszinierte, sesshaft zu werden und zu bleiben, hat mich die Spontaneität, die Gabe zu Irrationalität und Improvisation, wie ich es im Maghreb erlebte, tief beeindruckt, weil ich solche Elemente auch in mir trage (Die improvisierte Ikone, S. 167).
Heinz Baumann: Zürich, Rüden, Tonbildschau von Peter Justitz, August 1976 (Com_Ex-BA01-0094-0007)
Heinz Baumann: Zürich, Rüden, Tonbildschau von Peter Justitz, August 1976 (Com_Ex-BA01-0094-0009)
Die Unrast von Peter Justitz blieb bestehen, auch nach der Rückkehr nach Zürich …
… wo ich nur noch rund um die Stadt wie ein ewiger Tourist kreisle und in Hotelzimmern wohne, ist auch mein alter grosser Flügel verstummt. Er schlummert in einem Möbellager sein Dämmerdasein, weil meine Schwingungen, meine Improvisationen, hier in diesen Pflaster-Beton-Breitengraden, keinen Raum, geschweige Räume orten, wo sie sich entfalten … Kunst und auch die Gabe zur Improvisation, wenn sie nicht blutleer, akademisch und artifiziell sind, werden nur dann zum Ereignis und können überhaupt entstehen, wenn ein Ort, ein Platz, ein Untergrund, ein Haus sich finden, wo Schwingungen noch spürbar sind (Die improvisierte Ikone, S. 168).
Nach Die improvisierte Ikone im Jahr 1989 scheint die Spur von Justitz in der Öffentlichkeit zu verblassen. Er verliess Zürich endgültig und wanderte aus nach Bali, wo er bis zu seinem Tod lebte. Es ist fast schon typisch für ihn, dass sich nicht einmal sein Todesdatum eruieren lässt und ein grosses Glück, dass im Bildarchiv mit den Bildern von Heinz Baumann wenigstens ein paar wenige Aufnahmen aus den 1970er und -80er Jahren erhalten sind. Man kann daraus sehr gut die Stimmung erahnen, die an den Auftritten von Peter Justiz geherrscht haben mag.
Heinz Baumann: Zürich, Auftritt von Peter Justitz, ca. 1987 (Com_Ex-BA01-0294-0001-0003)
Heinz Baumann: Zürich, Auftritt von Peter Justitz, ca. 1987 (Com_Ex-BA01-0294-0002-0005)
Literatur:
Justitz, Peter. (1989). Die improvisierte Ikone : Gesänge. Zürich: Verlag am Wasser.
“Tonbildschauen in der Altstadt”, in: Neue Zürcher Nachrichten, Band 71, Nummer 189, 16. August 1976.