Der drehbare Experimentiertisch von Spindler & Hoyer – oder: ist eine Tischplatte ein Lehrmittel?

Seit der Gründung der Sammlung wissenschaftlicher Instrumente und Lehrmittel wurden rund 2500 Objekte in die Sammlung aufgenommen. Nicht immer ist von Anfang an klar, um was es sich bei einem Objekt handelt. Vor allem, wenn das Objekt nicht vollständig ist, kann sich die Identifikation hinziehen. So auch beim Objekt, um das sich dieser Blog dreht.

Manche Objekte, die der Sammlung wissenschaftlicher Instrumente und Lehrmittel übergeben worden sind, stellen uns bei der Inventarisierung vor eine spezielle Herausforderung. Um was nur könnte es sich bei dieser Platte mit Drehrad handeln?

Experimentiertisch von Spindler & Hoyer
Das unbekannte Objekt, Sammlung wissenschaftlicher Instrumente und Lehrmittel, ETH-Bibliothek

Zusammen mit dem Donatoren aus dem Institut für Fluiddynamik drehten wir vor rund einem Jahr bei der Inventarisierung an den Schrauben herum und rätselten, warum dieses Objekt offenbar vor vielen Jahren als erhaltenswert eingestuft wurde und deshalb über viele Jahre in einem Lager im ML-Gebäude aufbewahrt wurde. Das Treffen mit dem Professor für Fluiddynamik war ohne Resultat. Da das unbekannte Objekt sehr schwer und gross ist, schoben wir es nach der Inventarisierung nur noch auf den Fototisch. In unserer Datenbank markierten wir es als «Unbekanntes Objekt» und hofften darauf, dass uns irgendwann jemand weiterhelfen könne. Auf diesem Weg kam allerdings keine Hilfe.

Rund ein Jahr später, wir waren an Umzugsvorbereitungen und nahmen entsprechend nochmals jedes Objekt in die Hände, fiel unserem studentischen Mitarbeiter auf, dass das unbekannte Objekt ja vielleicht verkehrt herum steht. Denn umgedreht sieht es fast aus wie eine Tischplatte, der die Beine fehlen. Ausserdem wurde durch das Umdrehen eine Herstelleretikette sichtbar, die uns vorher nicht aufgefallen war: Spindler & Hoyer aus Göttingen stellten die Platte her. Doch noch immer wussten wir nicht, was das für ein Tisch sein sollte und ob es sich dabei, um ein wissenschaftliches Instrument oder Lehrmittel handelte.

Der Zufall wollte es, dass im Depot in Embrach nicht nur unsere Sammlung, sondern auch die «Bestände der Baukultur» gelagert werden. Wieder war es unser studentischer Mitarbeiter, dem dort mehrere Dreibeine ohne Tischplatte aufgefallen sind, die ebenfalls von Spindler & Hoyer stammten. Schnell wurde klar, dass bei der Räumung des Maschinenlabors 2019 «unser Objekt» auseinandergenommen und das Dreibein an die Bestände der Baukultur und die Tischplatte an die Sammlung wissenschaftlicher Instrumente und Lehrmittel übergeben wurde. Die Übernahme eines passenden Dreibeins war glücklicherweise unkompliziert und der Tisch steht nun richtig zusammengesetzt in der Sammlung wissenschaftlicher Instrumente und Lehrmittel auf einem Palett. Jetzt muss das Objekt nur noch richtig digitalisiert werden. Bis dahin zeigt dieses Bild aus der Göttinger Universitätssammlung einen identischen Tisch:

Spindler Hoyer Tisch Göttingen
Höhenverstellbarer Experimentiertisch, Spindler & Hoyer, Museum der Göttinger Chemie, MGC_00735. https://sammlungen.uni-goettingen.de/objekt/record_kuniweb_1290848/1/-/ Nachtrag: Inzwischen ist der Tisch digitalisiert und kann hier angesehen werden: http://doi.org/10.21264/ethz-a-000006182

Die Recherchen ergaben: Bei diesem Tisch handelt es sich nicht nur um eine normale Büro- oder Werkstatteinrichtung, sondern um einen ganz zentralen Bestandteil von optischen Experimenten aus der Physik. Es war ein sogenannt «drehbarer Experimentiertisch». Der Tisch wurde in den 1920er Jahren vom bekannten Physikprofessoren Robert Wichard Pohl (1884-1976) entwickelt, bei dem übrigens auch der Zürcher Physiker und spätere Professor Paul Scherrer während seiner Doktorarbeit studierte und wichtige Anregungen für seine eigenen Physikvorlesungen holte.

Pohl wollte mit dem drehbaren Experimentiertisch, den er bei Spindler & Hoyer in Produktion gab, die Durchführung seiner Vorlesungsexperimente optimieren. Der Tisch, der auf Rollen steht und sich in der Höhe verstellen lässt, kann an beliebigen Stellen im Hörsaal positioniert werden. Die darauf befestigte Tischplatte ist drehbar und kann mit der Kurbel in Schräglage gebracht werden. Dies war ein entscheidender Vorteil gegenüber den in vielen Hörsälen fix montierten Experimentiertischen. Pohl führte den flexiblen Tisch ein, um zu ermöglichen, dass alle Studierenden gleichermassen einen Blick auf die Experimentanordnung werfen konnten. Denn mit einem fixen Tisch tritt – so steht es im Herstellerkatalog von Spindler& Hoyer – «alle Augenblicke der Uebelstand auf, dass diejenigen Hörer, die in schräger Aufsicht oder gar in Richtung der Längsachse auf die Anordnung blicken, kein klares Bild erhalten.»[1] Mit dem drehbaren Experimentiertisch kann der Vortragende zunächst den Versuchsaufbau von der Breitseite her erläutern und danach «mit einer Handbewegung» die Richtung einstellen, die für den Versuch erforderlich ist.[2]

Der Tisch war standardmässig mit einem weitverbreiteten Dreikantprofil aus Stahl ausgestattet, auf welches die Versuchsbestandteile aufgesteckt wurden. Dieses Profil, das auch als Zeiss-Schiene oder Optische Bank bekannt ist, fehlt bei unserem Tisch. In der Sammlung sind aber solcher Profile vorhanden, ebenso verschiedene Bestandteile von (zumeist optischen) Experimenten, welche auf die Schiene und den Tisch aufgesteckt werden konnten:

Aufsatz für optische Bank
Linse auf Fuss, der auf das Dreikant-Profil geschoben werden kann. Sammlung wissenschaftlicher Instrumente und Lehrmittel, ETH-Bibliothek, ETHZ_PHYS_0215. http://doi.org/10.21264/ethz-a-000008509
Linse für optische Bank
Zwei Linsen, die auf einer optischen Bank verwendet wurden. Sammlung wissenschaftlicher Instrumente und Lehrmittel, ETH-Bibliothek, ETHZ_PHYS_0197, http://doi.org/10.21264/ethz-a-000011223
Markert 1
Und so sieht das ganze aus, wenn es auf einem Spindler & Hoyer-Tisch installiert wurde. Bild: Lehrsammlung des I. Physikalischen Instituts, Universität Göttingen, mit freundlicher Genehmigung von Dr. Michael Markert.

Eine zusammen mit dem Experimentiertisch verwendete Kohlenbogenlampe, die auf dem Tisch angebracht werden konnte, erlaubte es, Schattenprojektionen an die Vorlesungswände zu werfen, die etwa kleine Versuchsbestandteile vergrösserten: Durch die Drehung des Tischs, so der Hersteller, war es möglich, die Versuchsanordnung «auf verschiedene Flächen der Wände des Zimmers zu werfen, ja eventuell im Auditorium «herumzureichen» und sie dort mit dem Schreibheft auffangen zu lassen.»[3]

Markert 2
Der Schattenwurf eines Experiments, das auf einem Experimentiertisch aufgebaut wurde. Es zeigt den Aufbau zum “elektrischen Wind” für die Vorlesung „Einführung in die Physik“ von Professor Pohl. Bild: I. Physikalisches Institut, Negativsammlung Pohl, Box 15.4, Universität Göttingen, mit freundlicher Genehmigung von Dr. Michael Markert.

Zusammen mit dem Dreifuss wurde aus dem unbekannten Objekt ein Experimentiertisch, der mit den darauf angebrachten Instrumenten, der Lampe und der Schiene ein wichtiges Lehrmittel darstellt, das für die spezifische Lehrmethode des Physikprofessors Pohl in den 1920er Jahren steht, die offenbar auch an der ETH Zürich Anwendung fand.

[1] Spindler & Hoyer. n. d. Liste 50: Der drehbare Experimentiertisch nach Prof. R. Pohl, S. 3.

[2] Ebd.

[3] Ebd.

Schreibe einen Kommentar