Bitte näher treten, meine Herren!
Frei heraus gefragt: Wer hat die Beleuchtung aus Steinkohlengas schon einmal gesehen?
Da brennt sie bereits, so stellen wir uns vor, – vorne im Raum – die Gaslaterne von Wilhelm August Lampadius.
Der Professor und wissenschaftlich-praktische Pionier der modernen Chemie musste dazu einiges vorbereiten bzw. installiert haben und kann nun die Aufmerksamkeit seiner Herren Studenten auf die Details des Verfahrens lenken. Damen sind 1812 bekanntlich keine dabei, weil sie bei den Lehrgängen nicht zugelassen sind. Das änderte sich erst ein kleines bisschen, als nach der Mitte des 19. Jahrhunderts wenigstens in Zürich an der Universität und dann auch am Polytechnikum Studentinnen zugelassen wurden.
Gaslampen – Schaubild für den Chemieunterricht am Polytechnikum Zürich (aus späterer Zeit). ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/ Dia_266-130
Es ist ein noch rares Licht, von dessen Herstellung die Aufzeichnungen eines Zürcher Studenten in Freiberg von 1812 zeugen.
England als Vorreiter der «Gaserleuchtung dank Leucht-Öfen»
Zugegeben, ganz neu ist es damals nicht. In England beleuchtete man um 1800 erste Ladengeschäfte und ein Theater mit Gas von Steinkohlen. Diese Herstellung von Licht soll gemäss Annalen der Physik 1808 bereits 1784 einem Lord Dundonald gelungen sein und William Murdoch benutzte 1792 und 1798 Gaslampen solcher Bauweise zur Beleuchtung von Fabrikhallen in Birmingham. 1807 war in einem Reisebericht zu lesen, der in Tübingen veröffentlicht wurde, dass «seit kurzem Thermolampen in London grosses Aufsehen» erregen. Es sei nun sogar eine Subskription für die Gründung einer Kompagnie eröffnet worden, «um ganze Strassen, Theater und andere grosse Gebäude mit Gas zu erleuchten». Das Gas ströme durch Argand’sche Lampen aus, «an deren Öffnungen es brennt.» Diese Angaben sowie der folgende Hinweis wurden 1808 in die Annalen der Physik aufgenommen, da die Leserschaft an der «Erleuchtung im Grossen mit Thermolampen» offenbar brennend interessiert war. Im Monthly Magazine von Juni 1805 wurde ein Schreiben veröffentlicht, dass das Lyceum Theater in London mit Gas aus Steinkohlen beleuchtet werde.
Freiberg 1812 – Aufzeichnung der Lichterzeugung aus Steinkohle
Wilhelm August Lampadius demonstrierte im Kurs «Experimente der technischen Chemie» von 1812/13 an der Bergakademie in Freiberg seinen Schülern, wie aus Steinkohle Gas extrahiert werden kann und wie die entzündeten Gasflammen in seiner Laterne Licht erzeugen. Einer der Schüler stammte aus der Schweiz und schrieb für das unterrichtete Verfahren mit. Der Zürcher Hans Kaspar Hirzel studierte ab 1811 an der Königlich-Sächsischen Bergakademie in Freiberg und besuchte die Vorlesungen bei Wilhelm August Lampadius. Unter dem Titel «die im Cursus der technischen Chemie 1812-13 gemachten Experimente» zeichnete er die Laterne, in der mehrere kleine Flämmchen zu sehen waren, die sehr hell brannten.
Zeichnung des Verfahrens von Lampadius, aus Steinkohle Gas zu extrahieren und Licht zu erzeugen.
Ausschnitt aus: Hirzel, Etwas über die im Cursus der technischen Chemie 1812-13 gemachten Experimente, S. 25.
ETH-Bibliothek, Hochschularchiv, 5748:1 (Hs)
Nehmen wir an, dass sich Hans Kaspar Hirzel nach der ersten Überraschung über das vorgeführte Beleuchtungsprinzip besonders eifrig über seine Blätter beugte und den Prozess so genau wie möglich notierte, was wiederum uns erlaubt, nachzuvollziehen, was Lampadius seinen Schülern erläuterte und vermutlich auch realiter vorführte.
«Einige Versuche über die Benutzung der Steinkohle und des Torfs»
«In einer zylinderförmigen Büchse von Blech, (die in einem ebenfalls zylinderförmigen eisernen Ofen so angebracht war, dass ein Rohr aus demselben durch ein Büchsgefäss in ein kupfernes Gefäss gieng), verkohlte man durch Erhitzen der Büchs bis fast zur dunklen Kochgluthhitze 4 Pfund Schieferkohlen.
Die dabei sich entwickelnden Dämpfe, Wasser, ätherischem Oel und einigen Gasarten wurden durch ein Rohr in ein kühlgehaltenes kupfernes Gefäss geleitet, wo sie sich verdichteten und die Gasarten wurden weiter aus diesem Büchsgefäss in ein kupfernes Rohr unter eine Laterne geleitet, wo sie in mehrere kleinere Flämchen zerteilt sehr helle brannten.
Die, nach Verlauf von etwa 6 Stunden ihrer flüchtigen Bestandteile durch das Glühfeuer beraubten Steinkohle (Kooks) betrugen an Gewicht 2 Pfund 29 Loth und während der ganzen Verkohlungszeit brannte die Flamme in der Laterne sehr helle.»
Die Beschreibung aus der Vorlesung bei Wilhelm August Lampadius
Es ist darauf hinzuweisen, dass hier von einer zerteilten, hellen Flamme die Rede ist. Wie hell die von Lampadius betriebene Lampe gewirkt hat, dafür können wir nur auf die Einschätzung durch Zeitzeugen abstützen. Die heutigen Urteile über das Lampenlicht unterscheiden sich. Einmal wird darauf hingewiesen, dass der Lichtkörper von Lampadius ohne Glühstrumpf konstruiert und deshalb lichtschwach gewesen sei, ein anderes Mal wird angegeben, dass Lampadius mit drei seiner Lampen 20 herkömmliche zu ersetzen glaube. Sicher ist, dass Wilhelm August Lampadius einen Steinkohlenofen konstruierte, mit dem er an seinem Freiburger Wohnhaus eine Gaslaterne betrieb und dass er seine Wohnung und einen Teil der Fischerstrasse beleuchtete. Ein weiteres Beleuchtungsprojekt folgte gemäss den Angaben der Stadtwerke der Stadt Freiberg im Jahr 1816.
Blieb Grossbritannien Vorreiter bei der Einführung von Gaslaternen?
In England war der Siegeszug der Gasbeleuchtung nicht mehr aufzuhalten. Noch heute gehören dort, ganz traditionell, mit Gas betriebene Strassenlaternen zum Stadtbild. Sie werden von Laternenwärtern betreut und überwacht und dienen als wunderbare Kulisse für Filmaufnahmen. Welche hier speziell zu nennen sind, das verrät im unten angegebenen Kurzfilm der Angestellte von British Gas.
Die 1813 gegründete Gas Light & Coke Company heisst heute British Gas. Bild: Andrew Davidson at en.wikipedia, CC BY-SA 3.0
Unter den Angestellten sind auch die Hüter der Gaslaternen von Westminster, die Beruf und Berufung auf youtube schildern.