I AM A LILITH

Begonnen hat alles mit einer Leihgabe für das Vintage Computer Festival. Jürg Gutknecht, emeritierter Informatik-Professor der ETH, hat an diesem Festival in der Roten Fabrik eine offene Ceres 1 Workstation mit Depraz-Maus und Bildschirm sowie Bestandteile der Lilith aus der Sammlung wissenschaftlicher Instrumente und Lehrmittel ausgestellt. Dabei ist der Ingenieur und freiberufliche Computerhistoriker Jos Dreesen auf die Sammlung aufmerksam geworden und hat sich sofort bei uns gemeldet. Er wolle gerne unsere Lilith sehen.Ausserdem habe er einen Emulator für die Lilith entwickelt und würde uns diesen gerne zeigen. Und schliesslich könne er mittels eines Decoders die Festplatte unserer Lilith auslesen. Was dies alles bedeutet, mussten wir zuerst einmal ergoogeln. Daraufhin haben wir mit Herrn Dreesen natürlich sofort einen Termin für eine Besichtigung, Emulation und Auslesung der Lilith vereinbart.

Die Lilith, um die es in diesem Beitrag geht, hat die Sammlung wissenschaftlicher Instrumente und Lehrmittel im Dezember 2020 aus dem Keller des Departements Informatik zusammen mit vielen anderen Objekten übernehmen können.

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Abb. 1: Der Keller im Departement Informatik vor der Räumung und Objektübernahme. Foto: Luca Zanier.

Bei der Übernahme mussten wir angesichts der grossen Menge an Objekten eine Auswahl treffen. Für diese haben wir Unterstützung des Sammlungskuratoren für Informations- und Kommunikationstechnologie im Museum für Kommunikation erhalten. Übernommen wurden vor allem ETH-Eigenentwicklungen wie eben die Lilith, deren Nachfolgerin die Ceres oder den 1995 ebenfalls an der ETH entwickelten Gigabooster. Auch der unten links im Bild sichtbare RoboX oder eine Festplatte desTuring-Preisträgers Niklaus Wirth konnten übernommen werden.

Niklaus Wirth war es auch, der die Lilith entwickelte. Wirth (*1934), der an der ETH ein Elektrotechnikstudium absolvierte, folgte 1968 nach Forschungsaufenthalten in Québec, Berkeley und Stanford und der Universität Zürich einem Ruf als Informatikprofessor an die ETH Zürich. 1976/77 machte er ein Sabbatical im Xerox Parc im kalifornischen Palo Alto, wo er die Workstation Alto kennenlernte. Dies war für Wirth ein zentrales Erlebnis für die Entwicklung der Lilith. 2021 sagte Wirth in einem Interview, er habe bei der Xerox Alto gesehen, dass «so […] die Zukunft aus[sieht]. Das muss ich auch haben und zwar sobald ich an der ETH zurück bin. Da haben wir ja immer noch den Gross-Computer gehabt und die Teletypes.».[1] Und weiter: Wenn man dieses System nicht kaufen könne, so müsse man es eben selbst machen. So entwickelte er von 1977-1981 die Workstation Lilith zusammen mit der Programmiersprache Modula-2. Wirth sagte, dass er in dieser Zeit viel gelernt habe – die ersten Liliths, also die Hardware, waren zum Beispiel noch mit Holzrahmen gebaut.[2] Davon ist man dann schnell weggekommen. 1980 wird dem Lilithsystem das erste Computernetzwerk der Schweiz und 1982 eine Laserdrucker-Anbindung hinzugefügt. Bei der Lilith kam alles noch aus einer Hand – die Hardware, das Betriebssystem, der Compiler (Modula 2). Das ganze System von der Hardware bis zu den letzten Anwendungen wurde also von Niklaus Wirth und seinen Assistenten an der ETH gestaltet, gebaut und programmiert. Es gab mehrere Versionen. In die Sammlung ist die 2. Generation eingegangen.

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Abb. 2: Lilith Tower, Modula Corporation, Model 2.2, ca. 1978-1980, ETHZ_INFK_0091, (http://doi.org/10.21264/ethz-a-000012710)

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Abb. 3: Lilith-Monitor, ETHZ_INFK_0082. Eine Lilith läuft nur zusammen mit dem eigens entwickelten Monitor im Hochformat. (http://doi.org/10.21264/ethz-a-000012701)

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Abb. 4: Lilith-Tastatur, ETHZ_INFK_0042, (http://doi.org/10.21264/ethz-a-000012942)

Was macht die Lilith so speziell?

Das neue an der Lilith (und an der Xerox Alto, die aber nicht käuflich war) war, dass jede:r Benutzer:in einen eigenen Computer hatte und nicht mit einem textbasierten Terminal über langsame Leitungen auf einen Grossrechner zugreifen musste. Ausserdem erfolgten die Eingaben nicht nur über die Tastatur, sondern auch über ein neuartiges Zeigeinstrument namens «Maus» – im Falle der Lilith wurde die Depraz-Maus verwendet:

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Abb. 5: Depraz-Maus, ETHZ_INFK_0041, (http://doi.org/10.21264/ethz-a-000012938). Die Depraz-Maus wurde 1978 an der EPFL entwickelt und von der Westschweizer Uhrenfirma Depraz hergestellt.

Die Lilith verfügte ausserdem über eine für damalige Verhältnisse äusserst leistungsfähige Grafikkarte und Texte und Grafiken konnten in mehreren “Fenstern” am Bildschirm dargestellt werden.

Was die Lilith zu dieser Zeit alles konnte, lässt sich mit dem eingangs erwähnten Emulator zeigen. Der Emulator ist ein Programm, mit welchem die Funktionen eines Computers, in diesem Fall einer Lilith, auf einem anderen Computer nachgebildet werden können. Der Emulator formt also die Umgebung der Lilith auf einem modernen Computer nach. Die sich auf der Lilith befindliche Software «meint», sie sei in der für sie bekannten Umgebung und funktioniert deshalb so, wie sie es auch auf einer Lilith tat. Wie der Name Emulith nahelegt, lassen sich mit diesem Emulator nur die Funktionsweisen der Lilith nachbilden. Wie das aussieht, zeigt folgendes Youtube-Video, welches Jos Dreesen mit seinem Emulith genannten Emulator erstellen konnte. Er hat dabei das auf einer Lilith installierte Demoprogramm auf einem neuen PC laufen lassen und einen Screencast erstellt:

Wie man ganz zum Schluss des Films sieht, wurden als Teil eines Forschungsprojektes auch Spiele für die Lilith programmiert.

Auch auf den folgenden Grafiken, die allesamt als Bewegtbilder funktionierten, sieht man nochmals die Grafikleistung der Lilith.

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Abb. 6: Screenshot aus Emulation der Lilith. z.V.g.: Jos Dreesen.

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Abb. 7: Screenshot aus Emulation der Lilith. z.V.g.: Jos Dreesen.

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Abb. 8: Die Lilith spricht die Benutzenden direkt an und verführt sie gemäss ihrem Entwickler Wirth auch. Daher auch der Name: Lilith war die erste Frau Adams, die nach ihrer Vertreibung durch Adam als Dämonin Männer verführte. Screenshot aus Emulation der Lilith. z.V.g.: Jos Dreesen.

Was aus heutiger Sicht alles selbstverständlich klingt, war damals bahnbrechend. Kein Computer konnte so viel wie die Lilith. Erst 1984 kam von der Firma Apple der erste Personalcomputer Macintosh auf den Markt, der über dieselben Funktionen verfügte. Anders als dem Macintosh war der Lilith der kommerzielle Erfolg versagt. Die 1982 gegründete Firma Diser baute zwar 140 Liliths und wollte diese verkaufen. Vermarktung und Vertrieb waren aber kaum durchdacht und bereits ein Jahr später musste die Firma den Betrieb einstellen.

Wenn man Speichermedien in eine Sammlung übernimmt, stellt sich immer die Frage, ob man nicht auch versuchen sollte, die Daten, die auf diesen Medien gespeichert sind, für die Nachwelt zu sichern. Dies ist allerdings ein höchst komplexer Vorgang und erfordert viel Spezialwissen zu älteren Betriebssystemen. Im Falle der Lilith war es noch einmal Jos Dreesen, der uns weiterhelfen konnte. Er hat einen Decoder geschrieben, womit eine Harddisk einer Lilith ausgelesen und die einzelnen Files extrahiert werden können. Dabei muss die Lilith nicht an den Strom angeschlossen werden, sie muss nicht einmal funktionstüchtig sein, lediglich die Harddisk musste dafür ausgebaut und nach dem Decodieren wieder eingebaut werden. Wie dies aussieht zeigt das folgende Bild:

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Abb. 9: Die Lilith aus der Sammlung wissenschaftlicher Instrumente und Lehrmittel wird ausgelesen. z.V.g.: Jos Dreesen.

Bei der ausgelesenen Maschine handelt es sich vermutlich um die Lilith des 2003 emeritierten Informatikprofessors Carl August Zehnder. Gespeichert waren darauf nebst Source Codes etliche Doktoratsarbeiten, die mit Datenbank-Entwicklungen in Zusammenhang stehen, ein Forschungsgebiet, das Zehnder an der ETH aufgebaut hat. Die Daten sind nun bei der Sammlung wissenschaftlicher Instrumente und Lehrmittel und stehen für die Forschung zur Verfügung. Weitere Daten folgen: Im Frühling dieses Jahres werden auch noch die Ceres ausgelesen.

Anders als bei der Lilith in der Sammlung wissenschaftlicher Instrumente und Lehrmittel ist Dreesen auf einen wahren Schatz gestossen, als er eine Lilith im Museum für Kommunikation in Bern ausgelesen hat: Die Lilith des Sammlers Robert Weiss, die ursprünglich ebenfalls im Besitz der ETH war, beinhaltete jede Menge an Sourcecodes für die Lilith und ihre Nachfolgerin Ceres und Dreesen ist sich sicher, dass es sich um eine Lilith handelt, welche für die Entwicklung der Ceres verwendet wurde. Dreesen vermutet, dass vermutlich Niklaus Wirth selbst mit dieser Lilith gearbeitet hat.

Zurück zum Vintage Computer Festival. Jürg Gutknecht zeigte dort auch zwei Liliths, die in seinem Besitz waren. Sie gehören zur ersten Generation der Lilith. Weil sie doch ziemlich sperrig und schwer sind, fragte er die Sammlung wissenschaftlicher Instrumente und Lehrmittel an, ob wir sie übernehmen wollten. Und so kamen nach Ausstellungsschluss in der Roten Fabrik nicht nur die ausgeliehenen Objekte, sondern auch zwei neue Liliths mit Bildschirmen ins Sammlungsdepot nach Embrach.

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Abb. 10: Die zwei neuen Liliths der ersten Generation im Sammlungsdepot in Embrach. Foto: Sammlung wissenschaftlicher Instrumente und Lehrmittel.

Fussnoten:

[1] https://www.youtube.com/watch?v=OEmMx55SF8U, abgerufen am 31.01.2022.

[2] Dieses «Holz-Lilith» kann in der Ausstellung zur Informatikgeschichte im Departement Informatik im CAB-Gebäude (UG) besichtigt werden.

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