Andere Länder, andere Sitten, anderes Essen? Als der berühmte Schweizer Geologe Arnold Heim im Jahr 1928 die indonesische Insel Sumatra bereiste um Erdölquellen ausfindig zu machen, kam er in den Genuss einer völlig anderen Esskultur und zahlreicher Früchte, die er nicht kannte. In grösseren Zentren erfreute er sich noch der Verfügbarkeit von «Schweizer Nestle-Milch» und «Wanders Ovomaltine von Bern», doch als er in die Tiefen des indonesischen Regenwaldes vordrang, wurde er zusehends mit der lokalen Küche konfrontiert.
In der nordsumatrischen Stadt Siantar besuchte Heim im Februar 1928 den sogenannten «Chinesenmarkt». Die Bezeichnung ist auf die vielen chinesischen Gastarbeiter und Händler zurückzuführen, die sich zur Zeit der niederländischen Kolonialherrschaft in Indonesien niedergelassen hatten. Auf dem Chinesenmarkt stieg Heim der penetrante Geruch der in Südostasien sehr beliebten Durian-Frucht in die Nase. Zwar zeichnet sich das Fruchtfleisch durch einen unverkennbaren süsslichen Geschmack aus, der Geruch hat aber eine faulig-süsse Note und lässt sich nur mit intensivem Lüften aus Räumen vertreiben. Nicht ohne Grund ist das Mittragen der Frucht heutzutage in Hotels und Flugzeugen verboten.
Wichtigstes Nahrungsmittel ist und war schon zu dieser Zeit der Reis, insbesondere der sogenannte «Paddi-Reis». Dieser Trockenreis bezeichnet den Zustand direkt nach der Ernte, noch bevor die Spelzen entfernt werden. Vor allem im hügeligen Inland von Sumatra wurde Reis auf Terrassen, sogenannten Sawahs angebaut. Arnold Heim schreibt hierzu:
«Nördl. Padang Sidimpoean erscheint ein hoher Berg, wohl Vulkan, in Wolken gehüllt. Die Landsch. ist halboffen, die Berghänge z.T. mit Salanggras bedeckt und nur die Furchen bewaldet – wohl durch die Eingeborenen entwaldet, zum Anbau von Paddi (Trockenreis).» (Hs 494:245)
Der Reis aus diesen Reisfeldern wurde oft gekocht und mit gebratenem Gemüse oder Fleisch in einem Wok als Nasi Goreng (Nasi = Gekochter Reis, Goreng = gebraten) serviert. Dieses in Indonesien weit verbreitete Gericht lernte auch Arnold Heim zu schätzen, als er nach einem anstrengenden Morgen zurück ins Lager kam:
«2h zurück. Welche Wohltat: Citronenwasser (kalt, gekocht, von Tjeroek), ein Bad & frisches Pijama, dann ein herrliches Nasi Goreng mit Zwiebeln, und ein Schläfchen.» (Hs 494:245)
Die «Tjeroek» bezeichnet eine «Jeruk purut», indonesisch für Kaffernlimette, eine Zitrusfrucht, die in Indonesion vor allem als Gewürz verwendet wird. Für Heim war das ein typisches Mittagessen, möglich gemacht durch einen umfangreichen Tross an Tagelöhnern, sogenannten «Kulis». Die Kulis stammten oft aus Südostasien oder China und wurden als Kontraktarbeiter auf Plantagen und Minen, oder als Lastenträger oder Köche eingesetzt. Sklaverei war zwar bereits seit langer Zeit verboten, doch die Arbeitsbedingungen von Kulis waren ähnlich prekär. Besonders die gesundheitliche Versorgung wurde vernachlässigt, viele waren gezwungen, auch bei Krankheit zu arbeiten.
Durch das Dickicht des Urwalds führten meist keinerlei Wege, höchstens von Tieren benutzte Trampelpfade. Wenn aber das Ziel woanders lag, wurde es nötig, mit brachialer Gewalt eine Schneise, eine sogenannte «Rintis», durch den Wald zu schlagen. Im feucht-nassen Klima mit regelmässigen starken Regengüssen und schwülen Temperaturen was dies ein körperlich besonders anstrengendes Unterfangen. Das unebene Gelände führte dazu, dass sich Arnold Heim mehrere Male den Fuss vertrat und dieser sich entzündete. Einfacher war es, sich Flussläufen entlang mit einer Prau, oder Proa, einem schmalen Segelschiff, zu bewegen.
«Mit Prau dem S. Lipai entlang aufwärts, dann abwärts bis zum Dorf Lipai, mit Resultat fast Null. Im Wald finden wir herrliche wilde Früchte, soweit sie die Affen übrig gelassen: Rambei und Ramboetan oelan. Prächtiges Rotan- und Bambusdickicht an d. Ufern. […] 2h 3h wieder Regen. Abd. Gemütliches Zusammensitzen am Essen & bei elektr. Licht.» (Hs 494:245)
Rambei und Rambutan (Ramboetan) sind beides Baumfrüchte, die vorallem im tropischen Südostasien vorkommen. Die Früchte des Rambutan-Baums sind in Indonesien beliebt, nicht nur zum direkten Verzehr: die im Samen enthaltenen Öle und Fette werden zu Speisefetten verarbeitet und die Wurzeln in der Volksmedizin als Heilmittel verwendet.
Arnold Heim bereiste während mehreren Monaten grosse Teile Nord- und Zentralsumatras. Dabei verkehrte er nicht nur in den grossen Zentren, sondern schlug sein Lager für mehrere Tage in abgelegenen Dörfern in engen Bergtälern auf. Transport und Logistik waren an solchen Orten essenziell. Wenn nicht gerade ein «Pasanggrahan», ein indonesisches Gasthaus, am Zielort vorhanden war, mussten oft Zelte aufgeschlagen oder sogenannte «Pondoks» (einfach gebaute Hütten aus Holz) bezogen oder gar neu gebaut werden. An solch abgelegenen Orten war es umso schwieriger, an genügend Nahrungsmittel oder Brennholz zu gelangen. Umso schwerer wog es dann, wenn letzteres der Witterung ausgesetzt gelagert wurde:
«Heute morg. das Kuliessen wieder nicht auf 5.30 bereit – Holz will nicht brennen. Ich schaue nach: draussen im Regen gelassen. Die Kerle haben keinen Verstand – man muss ihnen alles sagen. Sofort soll eine Dapoer (Küche) mit Palmblattdach gemacht werden.» (Hs 494:245)
Das tropische Klima in Sumatra belastete Heims Expeditionstrupp massgeblich. In der feuchtheissen Atmosphäre, mit regelmässigen sintflutartigen Regenfällen während der achtmonatigen Regenzeit, trockneten Kleider kaum und der Schweiss stand einem Tag und Nacht auf der Stirn. Sogar die Ledertaschen von Heims Messgeräten setzten angesichts der anhaltenden Feuchtigkeit Schimmel an und verfärbten sich mit grün. In der Nacht war man weder von Moskitos noch noch vor ungewöhnlichen, buchstäblichen Niederschlägen geschützt:
«Furchtbarer Knall in d. Nacht wie von einem Blitzschlag… eine Cocosnuss direkt über mir auf’s Dach gefallen & glücklicherweise nicht durchgeschlagen.» (Hs 494:245)
Arnold Heims Reise nach Sumatra stand zwar im Zeichen der Erdölindustrie, in deren Auftrag er die Insel nach Erdölquellen absuchte, doch sein Interesse galt vielen weiteren Aspekten. Erdgeschichtliche Geologie fand genauso Eingang in sein Tagebuch wie Beobachtungen der Flora und Fauna, Vermessungen von Höhen und Distanzen, Äusserungen zu den politischen Verhältnissen in Kolonialsumatra sowie Beobachtungen über Kultur und Architektur der ethnisch vielfältigen Bevölkerung der Insel. Als Vertreter der Lebensreformbewegung kritisierte Arnold Heim kolonialistische Ausbeutung und rücksichtslose Naturzerstörung. Auch eine gesunde Ernährung lag ihm sehr am Herzen, weshalb es nicht verwundert, dass Kulinarik eine solch prominente Rolle in seinen verschriftlichten Erinnerungen spielt.
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