Gömböc

Die Sammlung wissenschaftlicher Instrumente und Lehrmittel hat ein weiteres Highlight erhalten: Den Gömböc G1854, der eigens für die Sammlung beziehungsweise die ETH angefertigt wurde. Damit wird ein Stück Wissenschaftsgeschichte der letzten 20 Jahre fassbar.

Stephan Bösch: Der Gömböc G1854 in Originalverpackung

Besondere Eigenschaften und Erfindung

Der Begriff Gömböc stammt aus dem ungarischen und bedeutet Kloss, umgangssprachlich auch Dickerchen. Er leitet sich vom Wort gömb, zu Deutsch Kugel, ab. Benannt wurde die Form von seinen Erfindern, den ungarischen Mathematikern Gábor Domokos und Péter Várkonyi.

Der Gömböc gilt als weltweit erste dreidimensionale, konvexe und homogene Form, die nur einen stabilen und einen instabilen Gleichgewichtsschwerpunkt hat. Diese besonderen Eigenschaften führen dazu, dass ein Gömböc stets in die stabile Gleichgewichtslage zurückrollt: sobald man ihn auf eine flache Unterlage legt, rollt er immer wieder auf dieselbe Seite zurück.

Stephan Bösch: Der Gömböc G1854 in stabiler Gleichgewichtslage

Diese Eigenschaft kennt man von Stehaufmännchen. Dennoch besteht ein entscheidender Unterschied: Im Inneren des Gömböcs befindet sich kein Gewicht, wie das beim Stehaufmännchen der Fall ist. Dieses sorgt dafür, dass es in die Ausgangsposition zurückrollt. Der Gömböc schafft dies quasi aus eigener Kraft.

Dass eine solche Form existiert, wurde bereits in den 1990er vom russischen Mathematiker Wladimir Igorewitsch Arnold vermutet. Doch erst 2006 wurde die Form von Gábor Domokos und Péter Várkonyi entdeckt, nachdem sich die ungarischen Wissenschaftler fast 10 Jahre intensiv mit der Problematik auseinandergesetzt hatten.

Vorkommen und Bedeutung

Eine ähnliche Form wie der Gömböc findet sich auch in der Natur. So gleicht ihm etwa der Panzer indischer Sternschildkröten. Fallen diese Tiere auf den Rücken, richten sie sich quasi von selbst wieder auf, indem sie mit den Beinen wackeln. Um diese Ähnlichkeit beweisen zu können, hat Gábor Domokos den Panzer von 20 Schildkröten gescannt, um dessen Form am Computer genau untersuchen zu können. Ebenso wurden von ihm Kieselsteine untersucht, um festzustellen, ob diese ebenfalls wie Gömböcs geformt sein können. Dies konnte Gábor Domokos aber nicht bestätigen, da die ständige Erosion, denen sie ausgesetzt sind die Anzahl der Gleichgewichtspunkte stets verändert.

Doch nicht nur in der Natur haben gömböc-ähnliche Formen eine Bedeutung, sondern sie finden auch direkte Anwendung in der Forschung als auch in der Kunst. 2019 publizierten Forscher des MIT und der Harvard University einen Artikel in der Fachzeitschrift Science über eine gömböcförmige Insulinkapsel. Aufgrund der einzigartigen Form richtet sich die Kapsel im Magen von selbst auf und kann das Insulin freigeben, ohne dass es von der Magensäure zerstört wird. In Tierversuchen konnten die Forschenden eine Senkung des Blutspiegels, die mit einer Injektion durch die Haut vergleichbar ist, feststellen.

In der Kunst finden sich Beispiele aus Film und Tanz, die sich vom Gömböc inspirieren liessen sowie auch Ausstellungen: 2018 zeigte der Künstler Ryan Gander sieben Gömböcs, um damit Fragen des Gleichgewichts als auch des Ungleichgewichts und dessen Beseitigung aufzuwerfen. Dass der Gömböc mehr als nur ein mathematisches Modell ist, wird anhand dieser Beispiele klar. Es gibt wohl wenig andere wissenschaftliche Modelle oder Theorien, die so viele Menschen verschiedener Disziplinen inspirieren.

Der Weg in die Sammlung

Der G1854 wurde aus einer Aluminiumlegierung gefertigt. Die Herstellung eines Gömböcs ist Präzisionsarbeit. Bereits kleinste Kratzer können einen Gömböc aus dem Gleichgewicht bringen; er würde damit seine besonderen Eigenschaften verlieren. Aus diesem Grund muss die Form auf 0.1mm genau sein und ein Gömböc stets mit grosser Sorgfalt behandelt werden. Der G1854 hat glücklicherweise weder einen Herstellungsfehler aufgewiesen, noch wurde er bei der Zollkontrolle zerkratzt – in beiden Fällen hätte ein neuer Gömböc hergestellt werden müssen.

Die Modellnummer G1854 ist nicht zufällig gewählt. Die Ziffer 1854 erinnert an die Gründung der ETH. Am 7. Februar 1854 wurde nämlich von den eidgenössischen Räten das Gesetz zur Errichtung einer eidgenössischen polytechnischen Schule erlassen. Dass die Modellnummer auf die Gründung der Institution verweist, ist für Gömböcs, die im Besitz von universitären Sammlungen sind, Standard. Die Zahl 1855, welche für das Jahr steht, in dem die ETH ihren Betrieb aufgenommen hat, stand nicht mehr zur Verfügung: Der G1855 wurde 2015 für die Pennsylvania State University angefertigt. Gemeinsam mit Gábor Domokos, Norbert Hungerbühler (Departement Mathematik) und Simon Marius (Departement Physik) haben wir uns für die Zahl 1854 entschieden.

Stephan Bösch: Der Gömböc im Depot inmitten anderer mathematischer Modelle

Der G1854 ist auf dem e-pics Katalog der Sammlung wissenschaftlicher Objekte und Lehrmittel (http://wil.e-pics.ethz.ch/latelogin.jspx?recordsWithCatalogName=ETHBIB.WIL:7783) einsehbar. Ebenso kann der G1854 sowie ein leichteres und weniger empfindliches Gummimodell auf Anfrage betrachtet werden.

Der G1854 ist eine Schenkung von Herrn Ottó Albrecht, dem unser Dank gilt. Ebenso danken wir Gábor Domokos für die Kontaktaufnahme und Vermittlung.

Weiterführende Informationen

http://www.gomboc.eu/en (Abgerufen am 30.06.2021)

https://www.youtube.com/watch?v=G2qAETEP29w (Abgerufen am 06.05.2021)

Domokos, G. The Gömböc Pill. Math Intelligencer 41, 9–11 (2019). https://doi.org/10.1007/s00283-019-09891-x

Schreibe einen Kommentar