Vor 110 Jahren, am 15. Mai 1911, wurde Max Frisch in Zürich geboren. Runde Geburtstage sind immer eine Herausforderung – für die Gefeierten wie für die Feiernden. Max Frisch hatte zu solchen Anlässen ein zwiespältiges Verhältnis.
Die Feier runder Geburtstage von Schriftstellerinnen und Schriftstellern gehört zum festen Ritual des Kulturbetriebs. Man schreibt Artikel, hält Reden, eröffnet Ausstellungen oder prägt Gedenkmünzen. Im Jahr 1935 besuchte Max Frisch als 24-jähriger Student eine Feier im Zürcher Corsotheater. Anlass war der bevorstehende 60. Geburtstag des Nobelpreisträgers Thomas Mann, der aus Deutschland in die Schweiz emigriert war. Frisch hielt seine Eindrücke für die Neue Zürcher Zeitung fest:
«Der deutsche Meister wird demnächst sechzig Jahre alt und ist seit zwei Jahren arbeitsam stiller Gast unseres Landes, also doppelter Anlaß zur gestrigen Matinee, die im Corsotheater stattfand und zu einer gegenseitigen Dankbezeugung, einer gegenseitigen Huldigung wurde.»[1]
Nach dem «schönen Concerto grosso von Vivaldi» würdigte Frisch die «sehr formschöne Aussprache» des Festredners Professor Robert Faesi und bekundete eigene Wertschätzung für Manns «Lebenswerk, das ja in immer neuer, unerschöpflicher Vielfalt diese Sehnsucht des Geistes nach dem Leben gestaltet». Weniger begeistert war er von den recht steifen Förmlichkeiten der Feier, etwa der «unvermeidliche[n] Kunstmappe», die ein Stadtrat dem Jubilar überreichte. Auch die «andächtige Begeisterung», mit der das Publikum dem Dichter lauschte, mochte er nicht teilen. Denn Max Frisch stellte die kritische Frage, ob die «deutsche[n] Werte», die Thomas Mann auch in der Emigration hochhielt, nicht «wunschgeborene Gedanken» seien.[2]
Ein gesetzter Herr?
Zwei Jahrzehnte später war Max Frisch selbst ein Schriftsteller von internationalem Rang. Er konnte Welterfolge wie die Romane Stiller (1954) und Homo faber (1957) oder das Theaterstück Biedermann und die Brandstifter (1958) vorweisen. Trotzdem blieb er ein ruheloser Geist und lebte mittlerweile in Rom. Anlässlich seines 50. Geburtstags im Mai 1961 schrieb der damalige NZZ-Feuilletonchef Werner Weber:
«Nun ist er also fünfzig, ist im Alter des gesetzten Herrn oder (wenn alles geklappt hat) des gemachten Mannes. Gesetzter Herr, gemachter Mann: das ist mit der Erscheinung, mit der Gegenwart Max Frischs nicht zusammenzubringen; er läßt sich durch nichts setzen und durch nichts machen. Er denkt das Leben nach dem Muster von Wandlung und Verwandlung; Ergebnisse, mit Geistesgegenwart wahrgenommen und gefaßt, werden im nächsten Augenblick vom wachsenden Leben eingeholt.»[3]
Den Glückwunschartikel in der Zeitung seiner Heimatstadt wird Max Frisch erst später gelesen haben, denn seinen Geburtstag feierte er gemeinsam mit Ingeborg Bachmann in Griechenland – fernab von allem Trubel, bei Ziegenkäse und Wein. Nur ein scheinbares Idyll. Schon bald wurde Max Frisch wieder vom «wachsenden Leben eingeholt» und es kam zur Trennung von der österreichischen Dichterin. Max Frisch begann ein neues Leben, er heiratete eine andere Frau, kaufte ein Haus im Tessin und schrieb das geradezu programmatische Theaterstück Biografie: Ein Spiel (1968).
Mit leeren Händen
Auch seinen 60. Geburtstag am 15. Mai 1971 verbrachte Max Frisch im Ausland. Damals hielt er sich für einige Monate in New York auf, hielt dort ein Seminar an der Columbia University und sammelte in seinem Notizbuch Eindrücke für sein Tagebuch 1966-1971. Eigens aus Anlass des Geburtstags war sein Verleger Siegfried Unseld angereist. Gemeinsam mit seiner Mitarbeiterin Helene Ritzerfeld, die bei Suhrkamp für das internationale Lizenzgeschäft zuständig war, hatte er das Flugzeug in Frankfurt am Main bestiegen. Man traf sich mit dem Ehepaar Frisch, machte eine Bootstour durch Manhattan, besprach die Ausstattung von Frischs neuem Buch Wilhelm Tell für die Schule, mit dem eine neue Taschenbuchreihe des Verlags eröffnet wurde, speiste zusammen und richtete am 20. Mai sogar einen Empfang zu Ehren des Jubilars aus. Und doch nahm Unseld eine düstere Stimmung war. In einem Restaurant kam es schliesslich zur Aussprache: «Er habe sich über mich geärgert. Ich sei mit ‚leeren Händen‘ nach New York gekommen, und im übrigen hätte ich mich am Tage seines Geburtstages einfach ‚schäbig‘ verhalten. Das würde er mir nie vergessen.»[4] Unseld fiel aus allen Wolken und realisierte erst später: «Er hatte etwas erwartet, was wir nicht eingelöst haben, sei es eine Ehrung, sei es ein Demonstrativum vom Verlag her, sei es auch nur ein würdiges Geschenk.»[5]
Im Juni 1971 folgte die grosse Geburtstagsfeier in Zürich. Wiederum machte sich der Verleger Unseld auf die Reise – ebenso der Schriftsteller Günter Grass, der Philosoph Jürgen Habermas und viele andere. Man fuhr zunächst in die ETH, wo Adolf Muschg eine Rede hielt. Anschliessend ging es zur Feier im Centre Corbusier, organisiert vom befreundeten Künstlerpaar Honegger-Lavater und von Heidi Weber, der Erbauerin des modernistischen Baus im Zürcher Seefeld. Dieses Mal kam Unseld nicht mit leeren Händen und hielt in seiner Chronik fest: «Max Frisch war sehr glücklich über das Geschenk. Er bedankte sich auch für die Grüße der Mitarbeiter.»[6]
Max Frisch im Gespräch mit François Bondy und Günter Grass, Centre Corbusier, Juni 1971 (Foto: vermutl. Michael Wolgensinger/Max Frisch-Archiv)
Skizzen für Max Frisch
Anlässlich des 65. Geburtstags von Max Frisch erschien im Suhrkamp Verlag die grosse Ausgabe Gesammelte Werke in zeitlicher Folge. Frisch hatte sich damit allerdings nur widerwillig angefreundet – er wollte nicht schon zu Lebzeiten als ‚Klassiker‘ betrachtet werden. Auch fünf Jahre später engagierte sich der Verlag für seinen Autor. Zum Siebzigsten veröffentlichte Suhrkamp eine stattliche Festschrift für unter dem Titel Begegnungen.
In Zürich wurde der 70. Geburtstag mit einer grossen Feier im Zunfthaus zur Meisen begangen. Max Frisch kam dafür aus New York, wo er sich soeben eine Loftwohnung gekauft hatte und sich noch einmal ein neues Leben einrichtete. Unter den prominenten Gästen in Zürich befanden sich der damalige Stadtpräsident Sigmund Widmer, Schriftstellerfreunde wie Adolf Muschg und Jürg Federspiel oder der damalige Professor der ETH Zürich, Heinrich Ursprung. Nicht anwesend war der Künstlerfreund Gottfried Honegger, den die Einladung unglücklicherweise an der falschen Adresse erreicht hatte. Er hielt sich im Mai 1981 nicht in Zürich, sondern in Paris auf. Sein besonderes Geschenk fand dennoch zu Max Frisch: Eine Mappe mit Porträtskizzen des Autors.
Ein grosses Fest im kleinen Zirkuszelt
Besondere öffentliche Aufmerksamkeit erfuhr der 75. Geburtstag von Max Frisch. Anlässlich der Solothurner Literaturtage, die vom 9. bis 11. Mai 1986 stattfanden, hörte der Autor mehrere Festreden und richtete als Antwort eine vielbeachtete Ansprache an die Kolleginnen und Kollegen: Am Ende der Aufklärung steht das Goldene Kalb, so der Titel seiner hochpolitischen Rede. Die Aufklärung, so Frisch, sei gescheitert. «Mein Eindruck: – man möchte nicht wissen, sondern glauben. […] Und vernünftig ist, was rentiert.»[7]
«Wohin richtet sich die Hoffnung?», fragt Max Frisch. Und sieht eine Zukunft im «Widerstand mit dem Ziel, dass der Geist der Aufklärung sich durchsetzt […] zu neuen und anderen Versuchen eines Zusammenlebens von mündigen Menschen.»[8] Er selbst, der alte Mann, sei müde geworden. Aber eines behalte Bedeutung für ihn: die Freundschaft.
Mit seinen Freundinnen und Freunden feierte Max Frisch dann weiter. Einige Tage nach dem Auftritt in Solothurn lud er zu einem Fest an ungewöhnlichem Ort. Ein Zirkusfest sollte es werden – vielleicht eine Anspielung auf das Tingeltangelleben, das die Existenz eines Schriftstellers mit sich bringt, oder ganz einfach eine kindliche Lust, die Frisch sich behalten hatte. Frisch war leidenschaftlicher Zirkusgänger. Die Besuche des Zirkus Knie, der jedes Jahr im Mai – also im Geburtstagsmonat von Frisch – auf dem Sechseläutenplatz gastierte, erklärte er zu seiner privaten Wiegenfesttradition. Anlässlich seines halbrunden 75. Geburtstags lud Frisch also, seiner Vorliebe folgend, in die Manege ein. Mit Unterstützung der Truppe vom Zirkus Federlos und mit Hilfe seiner Sekretärin Rosemarie Primault organisierte man dieses private Fest an einem zunächst geheimen Ort.
Einladungskarte zur Feier des 75. Geburtstags von Max Frisch (Max Frisch-Archiv)
Man traf sich am Busparkplatz hinterm Landesmuseum, fuhr aus der Stadt hinaus, durch die Landschaft des Knonauer Amts und hielt vor einem blauen Zelt mit roten Streifen.
Der Geburtstag im Zirkus war der grösstmögliche Kontrast zur weihevollen Jubiläumsfeier von Thomas Mann, die Max Frisch einst im Corsotheater besucht hatte. Statt steifer Dankesbekundungen amüsierten sich die Gäste bei Wein und Meeresfrüchten über die kurzen Auftritte im Zirkusrund. Man diskutierte angeregt bis spät in die Nacht.
Seinen 80. Geburtstag erlebte Frisch nicht mehr. Er starb fünf Wochen vorher, am 4. April 1991.
Quellen
[1] Max Frisch: Thomas Mann-Feier, in: Neue Zürcher Zeitung, 156. Jg., Nr. 921 vom 27. Mai 1935, Blatt 2.
[2] Ebd.
[3] Werner Weber: Gruß, in: Neue Zürcher Zeitung, 182. Jg., Nr. 1786 vom 13. Mai 1961, Blatt 1.
[4] Siegfried Unseld: Reiseberichte, hrsg. von Raimund Fellinger, Berlin: Suhrkamp 2020, S. 141.
[5] Ebd., S. 143.
[6] Siegfried Unseld: Chronik 1971, hrsg. von Ulrike Anders, Raimund Fellinger und Katharina Karduck, Berlin: Suhrkamp 2014, S. 216.
[7] Max Frisch: Am Ende der Aufklärung steht das Goldene Kalb, in: Die Weltwoche, 54. Jg., Nr. 20 vom 15. Mai 1986, S. 57/59, hier S. 57.
[8] Ebd., S. 59.