Am 20. Dezember 2019 wird mit einigem Pomp und viel Aufmerksamkeit das Kernkraftwerk Mühleberg abgeschaltet. Über seine knapp 50jährige Betriebsdauer hinaus geben Archive Einblick in die bewegte Geschichte dieses Atomkraftwerks, das Ringen um Sicherheit, Betriebsbewilligungen und Alternativen für die Zeit nach der Abschaltung.
Der Blick in Reaktor und Kommandoraum
Die Bestände der Archive der ETH-Bibliothek machen es möglich, sich dem Kernkraftwerk Mühleberg aus verschiedenen Perspektiven zu nähern. Im Bildarchiv finden sich zum einen verschiedene Luftaufnahmen des AKWs. Die ältesten davon – eine kleine Serie von Aufnahmen vom Juli 1969 – zeigen das Kernkraftwerk Mühleberg im Bau, mit dem im Frühjahr 1967 begonnen worden war. Sie geben den Blick frei in das runde, noch nicht fertiggestellte Reaktorgebäude mit dem Siedewasserreaktor im Zentrum. Das für den Betrieb benötigte Kühlwasser stammt aus der Aare. Die gesicherte Kühlwasserversorgung war neben der bereits vorhandenen Unterstation Mühleberg und weiteren Faktoren ein wichtiger Grund für die Wahl des Standorts für den Bau dieses AKWs vor den Toren Berns.
Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz / Fotograf: Friedli, Werner / LBS_H1-028361 / CC BY-SA 4.0, DOI: 10.3932/ethz-a-000369499
Zum anderen zeigt eine Fotoreportage aus dem Bestand der ehemalige Pressebildagentur Comet Photo AG das Kernkraftwerk Mühleberg im Jahr 1975. Was neben Aussenaufnahmen, dem Blick in den Reaktor und die Maschinenhalle mit den Generatoren als Sujet auf keinen fehlen darf, ist der so genannte Kommandoraum. Nirgends wird die angestrebte Beherrschung der Atomtechnik augenfälliger zum Ausdruck gebracht als in dieser futuristisch anmutenden Schalt- und Überwachungszentrale.
ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Comet Photo AG (Zürich) / Com_LC1461-001-003 / CC BY-SA 4.0, DOI: 10.3932/ethz-a-001026580
Expertise der ETH Zürich
In den Beständen des Hochschularchivs der ETH Zürich hat die Geschichte des Kernkraftwerks Mühleberg verschiedene Spuren hinterlassen. Im umfangreichen Archiv zur Geschichte der Kernenergie in der Schweiz ist etwa der Evaluationsbericht Mühleberg von 1965 (ARK-NA-En:1.2.) nachgewiesen. Es gibt aber auch Quellen, die direkt mit der ETH Zürich in Beziehung stehen. So führte etwa die Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW) im Auftrag der Betreibergesellschaft Bernische Kraftwerk AG (BKW) 1967 eine Untersuchung zu Kühlwasserfassung und Rücklauf des AKWs Mühleberg durch. Prof. Daniel Vischer, langjähriger Direktor der VAW, verwendete mit Zustimmung der BKW in der Folge das Beispiel der Kühlwasserversorgung von Mühleberg in seiner Lehrtätigkeit als Professor für Wasserbau (Dossier EZ-D-BAUG 1a:4.1.(1) 541).
Atomkraftbefürworter und -gegner im Clinch
Die kritische Auseinandersetzung mit Mühleberg spiegelt sich in der ebenfalls im Hochschularchiv der ETH Zürich aufbewahrten Dokumentation Nuklearforum Schweiz wieder. Ein Dossier dokumentiert etwa die Tätigkeit der im Zuge der Reaktorkatastrophe 1986 gegründeten und bis 2003 aktiven Gruppierung «Aktion Mühleberg stilllegen (AMüs)». Im Verbund mit anderen Gruppierungen und Parteien kritisierte AMüs wiederholt Sicherheitsmängel am Kernkraftwerk Mühleberg und war auch an den jeweils deutlich verworfenen kantonalen Berner Ausstiegsinitiativen «Bern ohne Atom» (2000) sowie «Strom ohne Atom» und «Moratorium plus» (2003) beteiligt.
Die Unterschiede in den Bildsprachen und Argumentationen der Befürworter und Gegner des Kernkraftwerks Mühlberg sind augenfällig.
Die damals noch klar mehrheitsfähigen Argumente hatte die Gegenseite. In Abstimmungskämpfen und in Debatten um die Aufhebung der Befristung der Betriebsbewilligung des AKWs Mühleberg führte die BKW immer wieder volkwirtschaftliche, energiepolitische und ökologische Argumente ins Feld. Mühleberg müsse als wichtiger Arbeitgeber der Region und mit Rücksicht auf die Sicherung einer CO2-armen Energieversorgung im eigenen Land so lange wie möglich weiterbetrieben werden.
Davon, dass mit der Abschaltung von Mühleberg in Bern die Lichter ausgehen, spricht heute ernsthaft niemand mehr. Der Rückbau der ganzen Anlage dauert bis 2034. Ob es bis dann im Zuge der aktuellen Diskussion um klimafreundliche Energiegewinnung in der Schweiz wirklich eine Renaissance der «sauberen» Atomkraft geben wird, wie es von AKW-Befürwortenden öfters prophezeit wird, wird sich weisen.