Kaum ein Kunstwerk im öffentlichen Raum dürfte in den 1980er-Jahren so viel Unmut erregt haben wie das rote Fass von Roman Signer im Grabenpärkli in St. Gallen. Dabei ist es doch offensichtlich mit dem kürzlich im Zusammenhang mit dem Jahr des Kulturerbes angesprochenen Touristenmagnet Manneken-Pis in Brüssel verwandt. Zumindest die Grundidee des Wasserstrahls ist dieselbe und deshalb kann Signers Fass auf Stelzen auch als eine zeitgenössische Übersetzung des Manneken-Prinzips gelesen werden. Das Kunstwerk hatte anfänglich einen schweren Stand. Im St. Galler Tagblatt vom 4. August 2015 schreibt Beda Hanimann:
Ein Brunnen, vom Gewerbeverband aus Anlass seines Geburtstages der Stadt geschenkt, erhitzte die Gemüter über das in der Gallusstadt übliche Mass hinaus. Das rote Fass von Roman Signer füllte während Monaten die Zeitungsspalten, die Stadt bestand aus zwei Lagern. Das eine bejubelte das freche und unkonventionelle Ding, das andere wünschte es als Affront gegen die Ästhetik zum Teufel.
Die Polemik in der Zeit nach der Errichtung gelangte dabei weit über die Stadtgrenzen bis nach Zürich. Dort schickte die Fotoagentur Comet Somorjai Zsolt los, um den Brunnen zu fotografieren.
Somorjai Zsolt: Roman Signer, Wasserturm, St. Gallen, 13.06.1987 (Com_M36-0095-0006)
Somorjai Zsolt: Roman Signer, Wasserturm, St. Gallen, 13.06.1987 (Com_M36-0095-0003)
Mittlerweile scheint der Sturm um das Fass endgültig verebbt zu sein. Die meisten St. Galler gehen heutzutage achtlos an der Skulptur vorbei. Roman Signer gilt als Künstler von Weltrang und das Kunstmuseum St. Gallen widmete ihm zum achtzigsten Geburtstag kürzlich eine grosse Ausstellung.
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