Zeugen einer Leidenschaft

Beim Umräumen neulich im Archiv der Entomologischen Sammlung fällt uns eine Mappe in die Hände mit 124 farbenprächtigen, handgemalten Tafeln tropischer Schmetterlinge. “Studien über die Familie der Agrias” besagt das Deckblatt, als Autor wird Otto Michael genannt. Otto Michael?

Deckblatt von Otto Michael, Datum unbekannt. Archiv der Entomologischen Sammlung der ETH Zürich, Biedermann 1.

Michael war Abenteurer und Verfasser von Werken wie “Der Schmetterlingsjäger vom Amazonenstrom”. Er sammelte selbst leidenschaftlich brasilianische Edelfalter und belieferte kaufkräftige Falterfanatiker aus aller Welt mit seinen exotischen Schmuckstücken. Heute ist er weitgehend in Vergessenheit geraten.

Unterart und Aberrationen von Agrias hewitsonius von Otto Michael, Datum unbekannt. Links ist jeweils die Flügeloberseite, rechts die Unterseite dargestellt. Archiv der Entomologischen Sammlung der ETH Zürich, Biedermann 1.

Im Nachruf von 1934 wird Michael “ein harter Kampf mit dem Dasein” bescheinigt. Nach einer Ausbildung als Glas- und Porzellanmaler in seiner schlesischen Heimat brach der 1859 geborene Michael im Alter von 26 Jahren zu einer ersten Expedition in den südamerikanischen Urwald auf. Weitere Reisen an den Amazonas sollten folgen, die letzte dauerte von 1894 – 1921.

Über seine Beutezüge ins lepidopterologische Eldorado berichtete Michael regelmässig in entomologischen Fachzeitschriften und beschrieb eine Vielzahl unbekannter Varietäten und Aberrationen seiner geliebten Agrias-Falter. Die Kundschaft war begeistert von der neu entdeckten Formenvielfalt und konnte nicht widerstehen, sich auch die unbedeutendsten Farbvarianten für hunderte von Reichsmark nach Europa schicken zu lassen. Jeder echte Sammler musste die vollständige Agrias-Serie haben. Und Michael arbeitete eifrig daran, diese Serie mit neuen Entdeckungen ständig zu erweitern.

Unterart und Aberrationen von Agrias pericles von Otto Michael, Datum unbekannt. Archiv der Entomologischen Sammlung der ETH Zürich, Biedermann 1.

In hunderten von minutiös kolorierten Zeichnungen portraitierte Michael zudem diese ästhetischen Insekten und veröffentlichte einige davon in Fachjournalen, was auf den Tafeln an den entsprechenden Randnoten ablesbar ist. Die Mehrzahl der Abbildungen jedoch scheint nie einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt worden zu sein. An die ETH kam das Konvolut 1955 im Zuge einer Schenkung durch den Winterthurer Industriellen Robert Biedermann (1869 – 1954), die weitere Provenienz verliert sich im Dunkel ungeöffneter Archivschachteln. Aufschlussreich wäre bestimmt die Lektüre seiner Briefe, die uns Michael in akkurater deutscher Kurrentschrift verfasst ebenfalls hinterlassen hat. Allein, es fehlt die Zeit.

Unterarten und Aberration von Agrias pericles von Otto Michael, Datum unbekannt. Archiv der Entomologischen Sammlung der ETH Zürich, Biedermann 1.

So erfreuen wir uns eben an den bunten Bildern, träumen für ein paar Minuten von grazilen Sommervögeln, die an abgelegenen Seitenarmen des Amazonas durchs Blätterdach dicht bewachsener Ufer gaukeln, bevor wir die Mappe zurücklegen und weiterfahren in unserer Arbeit.

 

16 Gedanken zu „Zeugen einer Leidenschaft“

  1. Die Aufarbeitung dieses leinen Schatzes wär doch eine ganz wunderschöne Aufgabe für einen Senior mit viel zeit, der sich für die Gesellschaft engagieren will!

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  2. neun Abbildungen sind zu 3 Tafeln zusammengefaßt in einem Sonderabdruck der
    Entomologischen Zeitschrift im Jahr 1929 veröffentlicht worden.
    Ein Scan aller Aquarelle und deren (online ?) Veröffentlichung wäre sehr wünschenswert.
    Interessenten könnten diese auch gegen eine entsprechende Vergütung zur Verfügung
    gestellt werden.
    ( hierzu und zur Person Otto Michael siehe: “Otto Michael a forgotten Amazon butterfly collector”
    http://collector-secret.proboards.com/thread/811/michael-forgotten-amazon-butterfly-collector )

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    • Besten Dank für den Kommentar und den Link. Eine Veröffentlichung wäre tatsächlich wünschenswert. Dies setzt aber idealerweise ein allgemeines Interesse voraus (was hier zunehmend offenkundig wird) sowie eine ausreichende Finanzierung der Digitalisierung. Die vorgeschlagene Variante einer Vergütung pro Scan ist eventuell möglich. Interessenten könnten sich gerne direkt bei der Entomologischen Sammlung der ETH Zürich melden um die Details zu besprechen.

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  3. Befinden sich unter den Tafeln auch Bilder (Aquarelle) der Ortschaften aus Brasilien und Peru oder sogar Fotos, die er, seinem Buch nach, in Tarapoto aufgenommen hat? Das würde mich äusserst interessieren.
    Andreas Stefaniak

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    • Im Archiv der ETH Entomologischen Sammlung befindet sich ein umfangreicher Briefwechsel zwischen Otto Michael und Robert Biedermann, der unter anderem zwei Fotos enthält: Otto Michael im Dschungel sowie Otto und Paul Michael im Dschungel. In der Mappe mit den Bildern hingegen gibt es keine Fotos.

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      • Vielen herzlichen Dank aus Peru für Ihre prompte Antwort.
        Wir sind auf der Suche von weiteren Aquarellen, besonders solchen die die Stadt Iquitos und andere Orte im Amazonasgebiet oder darstellen.
        Auch sind wir an den Briefen Otto Michaels interessiert. Sind diese digital erhältlich? Wenn ja, wie kämen wir zu diesem Material?

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        • Aquarelle von Orten konnte ich leider keine finden. Die Briefe Otto Michaels liegen bei uns als Papierdokumente vor und sind nicht digitalisiert. Darf ich fragen, wozu sie diese benötigen?

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      • Paul Michael? War Paul nicht der Schwager Otto Michaels? (“mein Schwager Paul”, Seite 161 im Buch “Der Schmetterlingsfänger vom amazonenstrom”).

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  4. Wir planen eine Kunstausstellung in Lima zur Photrographie und Zeichnungen im Amazonasgebiet während des Kautschuk-booms. Dabei spielt Otto Michael als Aquarellist und Photograph eine grosse Rolle und seine Aufzeichnungen und Briefe würden uns viele Hintergrundsinformationen geben (so hoffen wir jedenfalls).
    Wir haben leider zu keinen Photos und nur zu wenigen Aquarellen Zugang und würden uns freuen, anderswo weitere Aquarelle oder Photos zu finden. Gemäss den Angaben O.Ms. in seinem Buch “Der Schmetterlingsjäger vom Amazonenstrom”, hat er ja in Tarapoto dank seinen Photographien und z.T. auch als Maler zum grossen Teil sein Einkommen bestritten.
    Ich danke Ihnen sehr für Ihr Interesse und Informationen und grüsse Sie herzlichst.
    Andrzej Stefaniak

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  5. Sehr geehrter Herr Greeff,
    nach langem Schweigen erlaube ich mir, Sie wieder bez. Otto Michael anzusprechen.
    Vielleicht wissen Sie, dass der Pavillon von Peru an der diesjährigen Biennale von Venedig (Mai – November 2019) u.a. Otto Michaels fünf einzig übriggebliebene Aquarelle von Iquitos vorstellt und somit diesem wenig bekannten Entomologen, Maler und Fotografen seinen gebührenden Stellenwert in der Geschichte des Amazonasgebiets beimisst. Die Werke Michaels haben ausserdem auch verschieden Kunstschaffende aus dem peruanischen Regenwald zu eigenen Kreationen inspieriert. Und das Interesse an dem schlesischen Forscher ist auch in Lima erwacht, sodass dort im April nächsten Jahres eine grössere Kunstausstellung zu Otto Michael geplant ist.
    Ich arbeite mit dem Kuraton der beiden Ausstellungen, Herrn Gustavo Buntinx, zusammen und schreibe Ihnen auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin, Näheres über die Hinterlassenschaft Otto Michaels zu erfahren, die sich in Ihrer Abteilung befindet. Insbesondere würde es uns interessieren, in welchem Umfang schriftliche Zeugnisse (Briefe, Tagebücher, Reisenotizen) und Zeichnungen vorhanden sind, die wir hinsichtlich der Ausstellung in Lima auswerten könnten.
    Ich kann mir vorstellen, dass die Schriften Michaels in der altdeutschen Handschrift verfasst sind, und dass eine Lektüre dieser Texte nicht so einfach ist. Ich wäre Ihnen deshalb sehr dankbar, wenn es Ihnen möglich wäre, mir als Textprobe eine kleine Foto einer Briefseite von Otto Michael vielleicht per Whatsapp zu senden, damit wir uns ein Bild machen können, wie wir mit dem schriftlichen Material umgehen könnten.
    Ende September dieses Jahres werde ich, nach 14 jährigem Aufenthalt in Peru, zum ersten Mal wieder in die Schweiz reisen und auch meine Heimat- und Studienstadt Zürich besuchen. Es würde mich sehr freuen, wenn es möglich wäre, Sie zu treffen und einen Blick in die Hinterlassenschaft Michaels zu werfen. Um meinen Aufenthalt aber etwas vorbereiten zu können, wäre ich Ihnen für jegliche Information über Otto Michaels Nachlass jetzt schon sehr dankbar. Falls das bei Ihnen auffindbare Material es rechtfertigt, würden Herr Buntinx und ich vielleicht nochmals im November für mehrere Tage gern Einsicht in den Nachlass nehmen und auch eventuelle Autorenrechte für die Nutzung des Materials klären.

    Um unsere Korrepondenz zu vereinfachen, möchte ich Sie anfragen, unter welcher E-Mail-Adresse ich Sie am besten erreichen könnte. Untenstehend finden Sie meine E-Mail Adresse und Handynummer.
    Andreas Stefaniak
    El Cuadro I-A 7
    Chacalcayo – Lima 8
    Peru

    e-mail: andrzejstanstefaniak@yahoo.fr
    Handy: 0051 989 072 852

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