Max Bänningers Käfersammlung gehört, da sie überaus gut dokumentiert und sehr umfassend ist, im Bereich der Insektenkunde zu den wertvollsten und renommiertesten Beständen der ETH Zürich. Der grösste Teil seiner Sammlung wurde in Deutschland erworben. Viele Fundstücke stammen aus der Zeit des Nationalsozialismus (1933–1945). Der Sammler selbst, Max Bänninger, blieb bis heute weitgehend unbekannt (Erwin/Halpern 1978, 357). Zum Glück enthält das Hochschularchiv der ETH Zürich auch seine Privatkorrespondenz, die mehr als 1800 Briefe und mehrere Manuskripte umfasst. Wer sie näher untersucht, stösst auf Überraschungen und einige düstere Erkenntnisse.
Abbildung 1: Ein Käfer aus Bänningers Sammlung: Carabus arvensis Herbst, 1784. Gesammelt von Bänninger 1944 in Giessen. (Foto: Rupesh R. Kariyat)
Abbildung 2: Kundgebung vor dem Gebäude der Giessener Firma Bänninger zur Maifeier, 1. Mai 1933, in: Historische Bilddokumente <http://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/bd/id/29-033> (Stand: 20.4.2011)
Max Bänninger kam 1884 im deutschen Giessen zur Welt, wo er 1964 starb. Sein Vater, Karl Bänninger I., gründete 1907 in der Industriestadt Giessen eine Fabrik, die Bänninger GmbH. Nach seiner Rückkehr aus England trat Max Bänninger in die Firma ein. Die Bänninger GmbH profitierte von der regen Bautätigkeit, die mit der Machtübernahme Adolf Hitlers 1933 einsetzte. Hitler versuchte, die Wirtschaftskrise mit Massnahmen zu überwinden, die alle Sektoren der Wirtschaft ankurbeln sollten. Während des Zweiten Weltkrieges (1939–1945) führte das Unternehmen u. a. Heeresaufträge für das NS-Regime aus, bei denen, wie Dokumente zeigen, auch Zwangsarbeiter zum Einsatz kamen. Bei einem Bombenangriff der Alliierten wurde das Werk 1944 zu mehr als zwei Drittel zerstört (Hessisches Wirtschaftsarchiv, Abt. 138, Nr. 17). Der (gezielte) Angriff zeugte von der Bedeutung der Bänninger GmbH für das Dritte Reich. 1945 schrieb Bänninger an einen Wiener Freund:
Geschäftlich haben wir sehr, sehr schwere Schäden. An Arbeiten ist in absehbarer Zeit nicht zu denken. (Bänninger 1945, Hochschularchiv ETH Zürich, Hs 931: 1790).
Die Zeit des Nationalsozialismus wirkte sich nicht nur auf Bänningers Laufbahn als Fabrikbesitzer aus, sondern auch auf sein Hobby: Käfer zu sammeln und mit befreundeten Forschern zu korrespondieren. Nach Beginn des Krieges 1938/39 konnte er mit den Insektenforschern in England, Frankreich und anderen alliierten Ländern bis 1946/47 keinen Schriftverkehr mehr unterhalten oder Exemplare austauschen. So konnten beispielsweise die an Jackson Darlington in Cambridge gesandten Käfer erst nach dem Krieg zurückgegeben werden. 1946 schrieb Darlington nach sieben Jahren, in denen kein Kontakt bestanden hatte:
Jetzt, wo der Krieg vorüber ist und wir hoffentlich wieder Frieden finden, schreibe ich Ihnen, um vorzuschlagen, dass wir unseren Briefwechsel wiederaufnehmen. (Darlington 1946, Hochschularchiv ETH Zürich, Hs 931: 747).
Bänninger hielt jedoch weiter Kontakt zu Bekannten in «Grossdeutschland», wie im Nazi-Jargon die von der deutschen Wehrmacht eroberten Gebiete genannt wurden; auch Adolf Horion, ein Freund Bänningers, verwendete in seinen Briefen diesen Begriff (Horion 1939, Hs 931: 1109). Ebenso korrespondierte Bänninger mit Bekannten in neutralen Staaten (namentlich der Schweiz) oder in besetzten Ländern wie Österreich. So begann zwischen Bänninger und Karel Kult, der aus dem tschechischen Pardubitz schrieb, 1943 ein Briefwechsel, der die restlichen Kriegsjahre über fortgesetzt wurde. Der Briefwechsel mit dem in Wien lebenden Albert Winkler fing 1940 an und wurde ohne Unterbrechung bis 1953 weitergeführt. In den Briefen aus jener Zeit beklagte sich Bänninger beispielsweise darüber, dass er bestimmte wissenschaftliche Zeitschriften nicht bekommen könne (Bänninger 1941, Hs 931: 1679) und dass ihm durch den Krieg das Sammeln allgemein schwergemacht werde (Bänninger 1944, Hs 931: 1788). Erst 1949 konnte die Korrespondenz in vollem Umfang wiederaufgenommen werden (Jöger 1949, Hs 931: 1789).
Besonders auffällig ist in Bänningers Briefen, dass er den Krieg, die Judenverfolgung und den verbrecherischen Charakter des NS-Regimes nur selten überhaupt erwähnt. Seine Haltung gegenüber dem Regime lässt sich daher nur indirekt rekonstruieren. Am meisten scheint er sich um seine eigene Käfersammlung und die der befreundeten Wissenschaftler zu sorgen. Von der Tatsache abgesehen, dass er als schweizerischer Staatsbürger in Nazi-Deutschland blieb und von der Kriegswirtschaft der Nazis geschäftlich profitierte, muss auch erwähnt werden, dass er durchaus mit Mitgliedern der NSDAP zu tun hatte und in ihren Kreisen verkehrte. Besonders sein Schwager war als Funktionär in der Regionalverwaltung der NSDAP in Giessen tätig und arbeitete gleichzeitig für die Bänninger GmbH (Kater 1989, 62). Einige seiner Brieffreunde äusserten unverblümter ihre politischen Ansichten. So schrieb sein Freund Paul Meyer aus Wien 1945:
[…] gestern waren die hohlköpfigen U.S.A. Judenknechte wiederum zwei Stunden lang über fast allen Bezirken Wiens und sicherlich hat es abermals soviel, wenn nicht mehr Tote gegeben […]. (Meyer 1945, Hochschularchiv ETH Zürich, Hs 931: 1790).
Aus Beispielen wie diesen lässt sich ableiten, dass Bänninger bei seinen Freunden zumindest nicht als Skeptiker und schon gar nicht als Kritiker der NS-Ideologie und Politik bekannt war. Nur in einem Fall, der belegt ist, meldet sich Bänninger deutlicher zu Wort. Im Januar 1945 schrieb er einem Freund einen langen, emotionalen Brief, in dem er die Schäden in Giessen nach mehreren Luftangriffen im Dezember 1944 schilderte:
Wir haben in Giessen sehr schlimme Wochen und grauenvolle Tage hinter uns. Nach mehreren z.T. km langen Bombenteppichen an der Peripherie der Stadt […]erfolgten am 2./3. und vor allem am 6. und 11. Dez. schwerste Terrorangriffe. Am 6. 12. abends 8 Uhr wurde die ganze Innenstadt einschl. der Stadtränder eingeäschert und das Industriegebiet mit Sprengbomben belegt. […] Die ganze Innenstadt ist abgebrannt, ebenso praktisch das Klinikviertel. […] Es heisst 93% der Wohnungen seien unbewohnbar und 35000 der 46000 der Bewohner seien obdachlos. Zum Übernachten seien nur noch etwa 5000 Menschen in der Stadt. Nach Leuten, die Bescheid wissen müssen, gehöre Giessen mit an erster Stelle bei den prozentual am meisten zerstörten Städten. […] Wenn man nur die Gewissheit hätte, dass dies das Ende und nicht der Anfang wäre. Hoffen wir das Beste für Ihr schönes Wien und Sie selbst und auch für die traurigen Überbleibsel von Giessen. (Bänninger 1945, Hochschularchiv ETH Zürich, Hs 931: 1790).
Trotz der Gefahren blieb Bänninger in Giessen. Bis Dezember 1944 war er vom Krieg nicht direkt betroffen, sondern hatte geschäftlich von der Kriegswirtschaft und Angriffspolitik des NS-Regimes profitiert. In seinen Briefen aus den Jahren 1939 bis 1943 erwähnt Bänninger zwar den Krieg und sein Zerstörungswerk, doch scheint dies auf ihn ohne emotionale Wirkung zu bleiben. Solange die Firma floriert und er noch Möglichkeiten hat, Käfer zu sammeln, ist er zufrieden. Weder das verbrecherische Wesen des NS-Regimes noch das Schicksal der Juden oder der Zwangsarbeiter in seiner Fabrik scheinen ihn zu berühren. Die Anmerkung des Historikers Ad Maas, dass Wissenschaftler in der NS-Zeit vor allem von Eigeninteressen getrieben worden seien, lässt sich auch auf Max Bänninger anwenden (Maas 2009, 8). Solange er wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Nutzen daraus zog, schien ihn die politische Situation nicht weiter zu kümmern. Erst nach dem Angriff auf Giessen reagierte Bänninger mit Gefühlen.
Max Bänninger war einer von rund 25 000 Schweizern, die während der NS-Zeit in Deutschland lebten. Seine Geschichte spiegelt sich in der von vielen weiteren Schweizer Wissenschaftlern wider, die für das Dritte Reich forschten, um Rüstungsgüter zu entwickeln und zu produzieren (Weiss 2011, 230) oder die mit dem verbrecherischen Regime Geschäfte machten (Ruch u.a. 2001, 55). Vor diesem Hintergrund erscheint die Geschichte des Max Bänningers und seiner Käfersammlung keineswegs aussergewöhnlich, sondern eher typisch für die in Nazi-Deutschland lebenden Schweizer.
Literatur
Erwin, Terry L./ Halpern Anne L. (1978): Max Bänninger: His Collection and Publications (Coleoptera: Carabidae), in: The Coleopterists Bulletin, Vol. 32, No. 4, p. 357-366.
Hochschularchiv der ETH Zürich, Nachlass Max Bänninger, Materialien zum Werk: Hs 930, Briefe: Hs 931.
Hessisches Wirtschaftsarchiv, Abt. 138, Bänninger GmbH: Nr. 17, http://www.hessischeswirtschaftsarchiv.de/bestaende/einzeln/0138.php (zuletzt: 20.12.2016).
Kater, Michael H. (1989): Doctors Under Hitler, Chapel Hill: University of North Carolina Press.
Maas, Ad (2009): Ordinary Scientists in Extraordinary Circumstances, in: Scientific Research in World War II, London: Routledge.
Ruch, Christian u.a. (2001): Geschäfte und Zwangsarbeit. Schweizer Industrieunternehmen im „Dritten Reich“, Zürich: Chronos.
Weiss, Burghard (2011): Schweizer unter dem Hakenkreuz: Walter Dällenbach (1892-1990), Alfred Schmied (1899-1968) und die Rüstungsforschung des Dritten Reiches, in: Hoffmann, Dieter u.a., „Fremde“ Wissenschaftler im Dritten Reich. Die Debye-Affäre im Kontext, Göttingen: Wallensteinverlag.
Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Seminars Collections in Context: What Do Historians and Scientists Learn from Butterflies, Stones, and Bones?, HS 2016, Leitung Bernhard C. Schär und Michael Greeff.
Über das Internet erreichte mich die beiliegende Veröffentlichung “Sammeln in Nazi-Deutschland – Max Bänninger und seine Käfer”. Es ist dankenswert, dass das Leben alter Sammler dargestellt wird vielleicht als Ansporn Jüngerer.
Mein Onkel Max Bänninger verdient es, dass sein politisches Leben richtig interpretiert wird. Dies ist in den Veröffentlichungen missglückt. Zitat: “Zum Glück enthält das Hochschularchiv der ETH Zürich auch seine Privatkorrespondenz, die mehr als 1800 Briefe und mehrere Manuskripte umfasst. Wer sie näher untersucht stösst auf Überraschungen und einige düstere Erkenntnisse.” “Von der Tatsache abgesehen, dass er als schweizerischer Staatsbürger im Naziland blieb und von der Kriegswirtschaft der Nazis geschäftlich profitierte … “. Ganz im Gegenteil: Seine Distanz zum Regime wird deutlich, dass man ihn des Landes verwies, wenn er weiter in seine Heimat reisen wolle.
Zurückhaltend und bescheiden wie er war, kaufmännischer Leiter in dem 1909 in Giessen
eröffneten Familienunternehmen zur Herstellung von Rohrverbindungsstücken aus
Temperguss, wohnte er unverheiratet im Haushalt seiner verwitweten Mutter bis der Staat
seine Ausreise erzwang. Leiter eines Herstellers kriegswichtiger Güter sollten die beiden
Schweizer Brüder aus sicherheitstechnischen Gründen entweder auf alle Auslandreisen
verzichten oder ganz auswandern. Mein Vater Karl Bänninger blieb in Giessen bei Familie
und Geschäft, mein Onkel Max zog für immer in die Schweiz, wo er in Zürich 1964 verstarb.
Die politische Distanz zum Regime wirkte sich voll aus. Erst nach Kriegsende konnte er
wieder Giessen aufsuchen und seinen Brieffreunden über die tristen Umstände berichten.
Anders als in dem Bericht von Frau Stephanie Wille vermutet, erlebten auch die Schweizer in Deutschland den Krieg als grosse Leidenszeit. Die Verzweiflung im Freundeskreis ob des
Sterben der Söhne und jungen Väter, schlimmer noch die Unterwerfung von Recht und
Wahrheit den Kriegszielen machten das Leben äusserst bitter. Das Fehlen politischer Stellungnahme in den Briefen 1938-1945 darf nicht erstaunen. Fast alle Briefe wurden an der Grenze zensiert und Hausdurchsuchungen auf regimefeindliche Spuren waren häufig.
Ernst Bänninger
Aulweg 99
D-35392 Giessen