Kommendes Wochenende ist es wieder soweit, mit der Tag- und Nachtgleiche beginnt die Sommerzeit. Wir stellen die Uhren in der Nacht von Samstag auf Sonntag von 2 Uhr auf 3 Uhr vor. Der Wecker klingelt also früher. Doch wie war das eigentlich vor der Zeit der Digital- und Atomuhren? Lange Zeit orientierten sich die Menschen am Stand der Sonne, um die Zeit zu bestimmen. Die Stundenzählung war noch nicht standardisiert, so gab es beispielsweise “Gleiche Stunden” wie die “Italienischen Stunden” – die Zählung beginnt hier bei Sonnenuntergang und geht bis 24, die “Babylonischen Stunden” – deren Zählung beginnt bei Sonnenaufgang und geht ebenfalls bis 24, oder auch unsere heutigen “Modernen Stunden” – die Zählung bis 24 steht für die “Grosse Uhr”, diejenige zweimal bis 12 für die “Kleine Uhr”. In früheren Zeiten wurde die Zeit aber auch in “Ungleichen Stunden” gemessen, also jahreszeitgemässen Stunden – je 12 Stunden von Sonnenaufgang bis Untergang und von Sonnenuntergang bis Aufgang.
In der frühen Neuzeit war Nürnberg berühmt als Zentrum für die Herstellung von Sonnenuhren und Kompassen. Die Entwicklung und Produktion von tragbaren Sonnenuhren einem besonderen Exportschlager der Stadt, sogenannte Klappsonnenuhren, begann dort um 1465. In der Sammlung Sternwarte der ETH Zürich, die von der ETH-Bibliothek betreut wird, befinden sich heute mehrere gut erhaltene Exemplare dieser Uhren.
Es gab diese Klappsonnenuhren in verschiedenen Ausführungen, sowohl in Holz als auch in Elfenbein. Insbesondere die mit Schnitzereien verzierten Modelle aus Elfenbein waren Luxusartikel, Prestigeobjekte und Multifunktionsgadgets. Teures Elfenbein war als hartes Material besonders geeignet für die Herstellung der Sonnenuhren. Zum einen war es belastbarer als Holz, zum anderen bildete die weisse Farbe des Materials den perfekten Hintergrund für den Schattenwurf auf den angebrachten Skalen.
Klappsonnenuhr von Hans Tucher, Nürnberg, um 1600. Hier geht es zur 360°-Ansicht
So funktioniert’s
An der Reisesonnenuhr von Hans Tucher aus der Sammlung Sternwarte, entstanden um 1600, lassen sich gleich mehrere Funktionen erklären.
Woher der Wind weht
Die Klappsonnenuhr besteht aus zwei Platten, die durch ein Scharnier miteinander verbunden sind. Besonderes Merkmal für die Nürnberger Klappsonnenuhren waren die auf ihnen festgehaltenen Gebrauchsanweisungen. Auf der Deckeloberseite der Tucher-Uhr steht der Warnhinweis “COMPASSUS PROPE FERRUM NON RECTE ASSIGNARE POTEST” (Neben Eisen richtet sich der Kompass nicht korrekt aus.) und ein weiterer Hinweis “HIC MARINUS COMPASSUS SEMITAM TERRA MARIQUE OSTENDIT” (Dieser maritime Kompass weist den Weg an Land wie auf See.) erläutert die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten des Gerätes.
Deckeloberseite mit Windrose (KGS_412-99)
Auf der Deckeloberseite befindet sich des weiteren eine Windrose, mit einer Kreisskala von 1-32 beginnend von Osten. Durch ein Loch im Deckel kann das Gerät mit Hilfe des darunterliegenden Kompasses im Innern in Nord-Südrichtung ausgerichtet werden. Der kleine Messingarm wird dann in Windrichtung justiert und erleichterte das Ablesen von der Kreisskala.
Wie viele Stunden hat der Tag
Auf der Deckelunterseite befindet sich am oberen Rand die Inschrift “QUANTITAS DIEI” zur Kennzeichnung der darunter angebrachten Anzeigeskala von gleichen Stunden des lichten Tages bzw. der Tageslänge. Diese Skala geht von 8 Stunden bis ungefähr 16 Stunden. Wenn der Gnomon, der kleine Metallstift in der Mitte über der Skala, richtig ausgerichtet ist, zeigt die Spitze seines Schattens die aktuelle Anzahl an hellen Tagstunden an. Diese verändern sich im Laufe des Jahres. Zur jahreszeitlichen Orientierung sind Tierkreiszeichen zur Kennzeichnung der Monate am äusseren Rand der Skala angebracht.
Deckelunterseite mit Anzeige für die Anzahl der Stunden des lichten Tages (KGS_412-40)
Diese Klappsonnenuhr war für die Nutzung auf Reisen gedacht, worauf auch die Inschrift „POLUS CAMPASSUS IN ALLE LANDT“ hinweisen will. Der Polusfaden lässt sich deshalb– entsprechend der geographischen Breite des eigenen Aufenthaltsortes – in der passenden Höhe justieren, hierfür wurden in den Deckel drei Löcher für die Breitengrade 42°, 48° und 54° gebohrt. Unten rechts hat sich der Kompassmacher mit seinem Sigel bestehend aus einem H, einer Schlange und einem D selbst verewigt. Es steht für Hans Tucher bzw. Ducher.
So spät ist es
Beim Aufklappen der Uhr im 90°-Winkel spannt sich der am Deckel und der Bodenplatte befestigte Faden, der als Polstab dient. Wenn man die Uhr mittels des integrierten Kompasses in Nord-Süd-Richtung ausrichtet, wobei sich der Süden im Rücken des Ablesers befinden sollte, wirft der aufgespannte Faden einen Sonnenlichtschatten auf die runde Skala um den Kompass und zeigt die Uhrzeit an. Wenn die Sonne scheint, lässt sich mit diesen Uhren die Zeit bis auf eine Viertelstunde genau messen.
Bodenoberseite mit Kompass, Horizontaluhr für “Kleine Uhr” und “Grosse Uhr” (KGS_412-39)
Die Skalen der Horizontaluhr zeigen die Stundenzählung der Kleinen Uhr für die vierte bis zwölfte Stunde vor Mittag, und die erste bis achte Stunde nach Mittag an. Die Stundenlinien sind passend für die verschiedenen Breitengrade abgeschrägt auf drei Kreislinien eingezeichnet.
Unterhalb des Kompasses befindet sich eine weitere Skala für die Anzeige der Stundenzählung der Grossen Uhr. Die Spitze des Schattens des metallenen Gnomons in der Mitte zeigt auf einer Skala von der neunten bis dreiundzwanzigsten Stunde die jeweilige Stunde an. Der Grund für die Anbringung von zwei Uhren könnte darin bestanden haben, dass damit die richtige Ausrichtung kontrolliert werden konnte. Erst wenn beide Uhren die gleiche Uhrzeit anzeigten, stimmte die Ausrichtung.
Gute Nacht
Es war aber natürlich nicht nur wichtig die Uhrzeit am Tag bestimmen zu können, sondern auch bei Nacht. Die Bahn der Sonne und des Mondes um die Erde unterscheiden sich jedoch und dementsprechend auch ihr Schattenwurf. Deshalb muss bei Nacht die angezeigte Stunde der Horizontaluhr auf der Bodenoberseite noch umgerechnet werden. Hierfür bietet dieses Gerät eine auf der Bodenunterseite angebrachte Umrechnungsfunktion, den COMPASSUS NOCTURNUS.
Bodenunterseite zur Berechnung der Nachtstunde (KGS_412-38)
Mittels eines Zeigers an einer auf der Bodenunterseite angebrachten Messingplatte wird auf der äusseren Skala des Berechnungsrings die Zahl der Tage (1-29) eingestellt, die seit dem letzten Vollmond vergangen sind. Bei der Orientierung hilft auch ein kleines Loch in der Messingplatte, das den Blick auf kleine Zeichnungen der Mondphasen auf der Bodenplatte freigibt – ein kleines Gesicht für Vollmond bis zu einem dunklen Hintergrund für Neumond.
Die Stunden auf der Messingplatte (2x 1-12 Stunden), die der Zählung der Sonnenuhr entsprechen, verweisen dann auf die richtigen Stunden für die Nachtzeit, die auf dem mittleren Ring auf der Elfenbeinplatte abzulesen sind. Diese Berechnung ist aber eher ungenau.
Literatur:
Bobinger, Maximilian. (1966). Alt-Augsburger Kompassmacher : Sonnen-, Mond- und Sternuhren, astronomische und mathematische Geräte, Räderuhren (Vol. Band 16, Abhandlungen zur Geschichte der Stadt Augsburg; Schriftenreihe des Stadtarchivs Augsburg). Augsburg: Rösler.
Gouk, Penelope, Whipple Museum of the History of Science, & Museum of the History of Science. (1988). The ivory sundials of Nuremberg 1500-1700. Cambridge: Whipple Museum of the History of Science.
Lloyd, Steven A, Gouk, Penelope, & Harvard University. Collection of Historical Scientific Instruments. (1992). Ivory diptych sundials, 1570-1750 (Vol. Harvard University, The Collection of Historical Scientific Instrument). Cambridge, Mass: Distr. by Harvard University Press.
Ritter, Franz. (1609). Speculum solis, das ist: Sonnenspiegel : Beschreibung und Unterricht derer in das Kupffer gestochenen Sonnenuhren, in welcher der gantze Lauff der Sonnen unnd dess Mondten durch deroselben Schatten zu sehen ist. Nürnberg: Gedruckt durch Christoff Lochner; in Verlegung Balthaser Camoxen.
Schöner, Andreas. (1561). Ein kurtzer und gründlicher Bericht leichtlich und künstlich aller Art Sonnenuhren zu machen … Nürnberg: [VomBerg und Neuber].