Würde Max Frisch heute die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro verfolgen? Manche behaupten, er habe sich kaum für Sport interessiert. Andere sagen, dass er den Sport geradezu liebte. In seinem Leben und Werk finden sich jedenfalls die unterschiedlichsten Formen körperlicher Ertüchtigung.
Max Frisch im Jahr 1982 beim Ping-Pong-Spiel mit seiner Sekretärin Rosemarie Primault in Berzona (Fotograf: Tindaro Granata / © Max Frisch-Archiv an der ETH-Bibliothek)
Schon der junge Frisch spielte lieber mit seinen Schulkameraden Fussball, anstatt sich in Bücher zu versenken. Nationaltorwart wollte er werden. Und gemeinsam mit seinem Bruder wagte er sich an anspruchsvolle Bergtouren, was sich auch literarisch niederschlug: In seiner frühen Erzählung Antwort aus der Stille wird die lebensgefährliche Besteigung eines Alpengipfels zur lebensentscheidenden Tat stilisiert.[1]
Im Winter schulterte Frisch die Schlittschuhe und stapfte zur künstlichen Eisbahn auf den Dolder hinauf. Oder er fuhr Ski, voller „Schneefreude!“, wie ein Artikel aus dem Winter 1933 überschrieben ist. Frisch schreibt enthusiasmiert:
Manchmal, statt hinauszujauchzen in den Wintermorgen, was sich ein Erwachsener selbstverständlich nicht gestattet, schlägt man seinen Skistock gegen eine Tanne, damit ein solches Schneekissen zerplumpse und zerstiebe in jenes Lichtrieseln, das dann eisig und glitzernd heruntersinkt. Man schlottert vor Lust.[2]
Nicht nur in die Berge, auch aufs Wasser zog es Frisch hinaus. Der Zürichsee, mit seinem besonderen Blau, den er in zahlreichen Texten beschrieb, erscheint bei ihm geradezu als Sehnsuchtsgewässer: „Ringsum ist ein Glitzern und Glänzen, als hätten sie flüssiges Silber vergossen.“ Als Vierundzwanzigjähriger lernte er schwimmen – drei Jahre zuvor ruderte er seine „Seemännin“ zur Quaibrücke: „Und als ich bezahlt hatte, sagte sie: Es war nett.“[3] Bezahlt hat Max Frisch diesen Ausflug vermutlich mit dem Einkommen, das er als Reporter für die Neue Zürcher Zeitung mit kleinen literarischen Miniaturen seiner sportlichen Betätigung verdiente. Seine journalistischen Arbeiten stiessen dabei auf so grosses Interesse, dass die Zeitung ihn im Februar 1933 als Berichterstatter zur Eishockey-Weltmeisterschaft nach Prag schickte.
Sport und Lebensunterhalt verbindet auch das 1949 eröffnete Freibad, das Frisch als Architekt (und ETH-Absolvent) entworfen hat. Das Schwimmbad Letzigraben verfügt über ein Olympiabecken mit filigranem Zehn-Meter-Sprungturm – dem ersten seiner Art in der Schweiz. Gemeinsam mit Bertolt Brecht stand Frisch dort oben und präsentierte dem Meister sein Werk.
Nicht nur vom Wandern, vom Eis- oder Skilaufen, vom Rudern oder Schwimmen liesse sich sprechen; auch vom Radfahren, vom Spiel auf der privaten Boccia-Bahn im Tessin – oder vom Billard. Letzteres hält Felix Schaad, den Helden aus Frischs Erzählung Blaubart, sogar vom Selbstmord ab: „Was hilft, ist Billard.“[4]
Der Sport als Lebensretter – aber auch als Metapher für die alltägliche Schreib-Arbeit: Eine Fotografie zeigt Frisch gemeinsam mit seiner Privatsekretärin Rosemarie Primault an einer Tischtennisplatte in Berzona. In hohem Bogen schlug Frisch seine Text-Bälle über die Grenzen der Schweiz hinaus, etwa nach Frankfurt, wo der Suhrkamp Verlag seinen Sitz hatte. Seine Lektorin Elisabeth Borchers liess sich dort von Frischs Ideen anregen – und regte umgekehrt Frischs literarische Arbeit an. Dass das geistige Ping-Pong-Spiel auch mal zum Erliegen kommen konnte, zeigt ein Brief aus dem Jahr 1980. Borchers bat ihren Autor darin um seine Meinung zu einem fremden Manuskript, doch dieser zeigte sich wenig interessiert und lehnte die Bitte kurzerhand mit dem Verweis auf eine laufende Sportübertragung ab:
und jetzt grad lockt mich das Fernsehen: Tisch-Tennis, ich liebe die Grazie dieser angeschnittenen Bälle sehr und grüsse Sie
Ihr
(Max Frisch)[5]
Literatur
[1] Max Frisch: Antwort aus der Stille. Eine Erzählung aus den Bergen, Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1937. Neuausgabe: Suhrkamp Verlag 2009.
[2] Max Frisch: „Schneefreude!“. In: Neue Zürcher Zeitung, 15.12.1933. Zit. nach: Ders.: Journalistische Arbeiten 1931-1939, hrsg. v. Carsten Niemann, Hannover: Theatermuseum 2001, S. 115.
[3] Max Frisch: „Rudern“. In: Neue Zürcher Zeitung, 24.07.1932. Zit. nach: Ders.: Journalistische Arbeiten 1931-1939, hrsg. v. Carsten Niemann, Hannover: Theatermuseum 2001, S. 45.
[4] Max Frisch: Blaubart. Eine Erzählung, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1982, S. 58.
[5] Aus einem unveröffentlichten Brief von Max Frisch an Elisabeth Borchers (© Max Frisch-Archiv).