Das Bildarchiv der ETH-Bibliothek zeigt vom 6. November bis am 12. Dezember im Zürcher Ausstellungsort Counter Space eine dreiteilige, assoziative Bild- und Tonarbeit mit Rückgriff auf das historische Genre der “Tonbildschau” – ein Diaporama. Die Ausstellung geht auf überraschenden Wegen der Frage nach, wie historisches Material in die Gegenwart gelangt und welche Verwandlungen es dabei durchläuft.
Tashi Brauen: Projektion im Counter Space, 8.8.2015
Der Begriff des Archivs und archivarische Praktiken haben schon seit einiger Zeit Eingang in die Bildende Kunst gefunden. Impulse für neue Perspektiven auf Begriff und Funktion des Archivs kommen dabei weniger aus den klassischen Archiven, als vielmehr aus den Künsten und der Philosophie. Warum sich also nicht als Archiv aktiv in einen Kunstraum begeben und die Bruchstellen zwischen Archiv- und Kunstwelt erkunden?
Das dreiteilige Diaporama im Counter Space umfasst eine Auswahl von Fotografien aus dem Bestand der ehemaligen Zürcher Fotoagentur Comet Photo AG, den die ETH-Bibliothek im Jahr 2000 erwarb. Damit weitete sie die Sammlungstätigkeit auf einen Bereich aus, der weit über die Archivierung von wissenschaftshistorischen Fotografien hinausgeht. In Zeiten des iconic turn und der zunehmenden Bedeutung von Bildquellen für die historische Forschung stellt die ETH den Nutzerinnen und Nutzern damit auch eine breitere Palette von Bildmaterial zur Verfügung. Mit rund 900‘000 Pressebildern aus den frühen 1950er- bis in die späten 1990er- Jahre und deren teilweisen Digitalisierung erfährt das Archiv eine gewaltige Bereicherung. Bisher sind rund 27‘000 Bilder aus diesem Bestand online. Etwa 500 davon sind in der Ausstellung präsent.
Frank Blaser: Aushebung von Comet-Beständen im Magazin des Bildarchivs, 17.7.2015
Der Mitarbeiter des Bildarchivs Roland Lüthi, die Zürcher Künstlerin Ursula Sulser und der St. Galler Komponist Charles Uzor erarbeiteten mit den Kuratoren des Counter Space die Ausstellung. Diese umfasst drei Bildprojektionen mit akustischer Begleitung. Das Gitarrenstück Zimzum for Guitars (1998) von Charles Uzor führt die Besucher in die Frage nach dem Wesen und Verhältnis von Melodie und Gedächtnis ein, indem es den Bildfluss der drei Bildprojektionen rhythmisiert. Ein Ausschnitt aus Uzors Komposition Le Temps Déborde (1996) unterbricht das kreisende Spiel der Gitarren und bringt eine Zäsur in den Reigen der Bilder. Solche kleinen Brüche sind nicht nur in der eigentlichen Tonbildschau erkennbar, sondern weiten sich in die räumliche Setzung aus. Diese nimmt Bezug auf bekannte Elemente des Kinoraums wie Sitzgelegenheit, Projektionsleinwand und technisches Gerät und setzt sie modellhaft in den Ausstellungsraum.
Roland Lüthi: Modellfoto des Ausstellungsraums, 1.7.2015
Die erste Projektion zeigt Bilder über die Agentur selbst: Die Akteure und Akteurinnen der Comet Photo AG beim Fotografieren, Entwickeln, Vergrössern, Ablegen, Ordnen, Sichten und Organisieren. Zu sehen sind auch Arbeitsinstrumente vom Fotoapparat über das Diktiergerät bis zur Karteikarte mit den Metadaten sowie Ansichten vom jetzigen Standort des Archivs in der ETH Zürich. Die zwei weiteren Projektionen beinhalten die eigentlichen Zeitdokumente, die während knapp 50 Jahren durch die Comet Photo AG entstanden sind: Pressebilder und Reportagen aus der Schweiz sowie Fotografien von Auslands- und Ferienreisen. Sie geben Einblick in eine Welt, wie sie die “Cometen” – so nannten sich die Comet-Mitarbeitenden selbst – gesehen und festgehalten haben.
Comet Photo AG: Comet Gründerfoto mit v.l.n.r. Hans Gerber, Jack Metzger, Björn Erik Lindroos, 1952 (ETH-Bibliothek, Bildarchiv, Com_M00-0002)
Bei der Bildauswahl lag der Fokus weniger auf den besonders gelungenen Aufnahmen, den “Ikonen”, die ihren Weg in zeitgenössische Medien fanden, sondern vielmehr auf “Randbildern”, die im Übrigen oft Gefahr laufen, im Archiv unterzugehen, weil sie nicht den gängigen Standards eines gelungenen Bildes entsprechen. Weiter wurden Motive gewählt, die etwas “Passives” und “Abwartendes” haben, etwa die vielen Aufnahmen von Anglern, die im Bestand zu finden sind. So verspürte etwa der Gründer und die treibende Kraft von Comet, Björn Erik Lindroos, eine besondere Affinität zur kontemplativen Tätigkeit des Fischens. In der Tat hat der Fotograf ja einiges mit dem Fischer gemeinsam. Beide warten oft lange Zeit auf den entscheidenden Moment und brauchen eine gehörige Portion Glück. Indem diese Aspekte des Lauerns und Wartens in den Blick gerückt werden, scheint manchmal auch jener glückliche und blitzhafte Moment auf, der in jedem Ereignis wohnt, wenn es bewusst wahrgenommen wird.
Kurt Salvisberg: Fischerei Saison-Beginn in Luzern, 1.2.1964 (ETH-Bibliothek, Bildarchiv, Com_M13-0041-0001-0006)
Counter Space, Röschibachstrasse 24, 8037 Zürich, 6. November 2015–9. Januar 2016, Do–Sa 15–18 Uhr
Counter Space ist ein unabhängiger Ausstellungs- und Projektraum in Zürich, in dem zeitgenössische und prozesshafte Methoden in der künstlerischen Arbeit präsentiert werden. Das Programm wird kuratiert von Angelo Romano, Linda Jensen und Tashi Brauen.
https://www.facebook.com/CounterSpace
Literatur
Zum Bestand der Fotoagentur Comet Photo AG ist im September 2015 eine Publikation erschienen:
Georg Kreis: Fotomosaik Schweiz. Das Archiv der Pressebildagentur Comet Photo AG. Bilderwelten. Fotografien aus dem Bildarchiv der ETH-Bibliothek, hrsg. von Michael Gasser und Nicole Graf, Band 5, Zürich: Scheidegger & Spiess, 2015.
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