Die Schweiz ist keine Insel, weder heute noch vor 100 Jahren. Als im Sommer 1914 in Europa der Krieg ausbrach, der als Erster Weltkrieg in die Geschichte eingehen würde, war davon auch die ETH Zürich betroffen. Über 180 ausländische Studenten unterbrachen ihr Studium, um in den Streitkräften ihrer Heimatländer Kriegsdienst zu leisten. In den folgenden Kriegsjahren erhöhte sich diese Zahl nochmals auf rund 250 ETH-Studenten. Von den Studierenden mit Schweizer Bürgerrecht mussten zwischen 1914 und 1918 fast 600 ihr Studium zurückstellen, um Dienst bei der Grenzbesetzung zu leisten.
Bald waren auch unter den kämpfenden ETH-Studenten Opfer zu beklagen.
Brief von Hugo Honda, k.u.k. Konsularsekretär an den Rektor der ETH Zürich, Basel, 14.11.1914.
Honda war ein Onkel des ETH-Doktoranden Herbert von Wayer
(Hochschularchiv der ETH Zürich, Doktorandenmatrikel Nr. 119, Wayer)
Am 1. Oktober 1914 wurde Herbert von Wayer, Offizier in der k.u.k. Armee, im Kampf zwischen Österreich-Ungarn und Serbien schwer verwundet. Er wurde nach Tuzla (Bosnien-Herzegowina) in ein Militärspital gebracht, wo er am 20. Oktober im Alter von 24 Jahren verstarb.
Sein Onkel schrieb an den Rektor der ETH Zürich:
Im Namen meiner Cousine, Frau v. Wayer, sowie im eigenen, danke ich Ihnen hochgeehrter Herr, für die trostreichen Worte, welche Sie aus Anlass des Todes Herberts an uns zu richten die Güte hatten.
Er starb sanft und gottergeben und gedachte in einem Briefe, den er kurz vor seinem Tode an seine Mutter schrieb, auch seiner ehemaligen Lehrer und der Stätte an der er so viel Wissen gesammelt. Auch des Landes, dessen Gastfreundschaft er und wir alle genossen, gedachte er noch. Und vor dem Abmarsch aufs Schlachtfeld rief er seiner Mutter noch zu: ,… und grüsse mir die schöne Schweiz‘!
Der ETH-Doktorand Herbert von Wayer stammte aus Pola (Pula, heute Kroatien) und hatte in Triest (heute Italien) die Matura gemacht. 1908 kam er nach Zürich ans Polytechnikum, wo er im Sommer 1912 sein Diplom als Fachlehrer in mathematisch-physikalischer Richtung erhielt. Sein Studium hatte er mehrmals unterbrochen, um in Österreich-Ungarn seine Militärdienstpflicht zu leisten. Wayer blieb als Doktorand an der ETH und wurde Assistent für Geometrie bei Prof. Marcel Grossmann. Sein Doktorvater war allerdings mit Wayer unzufrieden und verlangte eine Überarbeitung der Dissertation, was Wayer mit seiner Kündigung quittierte. Die Doktorarbeit wurde nie fertig gestellt.
Sammel-Todesanzeige der ETH für gefallene Studenten, Tagblatt der Stadt Zürich und Amtsblatt, 20. Oktober 1915, S. 7
ETH-Studenten kämpften an jeder Front auf dem europäischen Kontinent, in den Reihen der Mittelmächte wie auch der Entente. Sie kämpften also auch gegeneinander. Insgesamt fielen 15 Studenten und Doktoranden der ETH Zürich auf den Schlachtfeldern Europas, darunter auch ein Student aus England und einer aus Australien. Alle diese jungen Männer starben im Alter zwischen 21 und 24 Jahren.
In Zürich merkte man davon nicht viel. Die Namen der gefallenen Studenten wurden zwar am Schwarzen Brett im ETH-Hauptgebäude und in den jährlichen Studentenverzeichnissen veröffentlicht. Eine Todesanzeige schaltete die ETH nur gerade einmal, im Oktober 1915, und noch dazu als Sammel-Todesanzeige im Amtsblatt – wohl einiges billiger als eine Todesanzeige in der NZZ.
Das Rektorat der ETH Zürich kennzeichnete die Matrikel von verstorbenen Studenten jeweils
mit einem handgemalten schwarzen Kreuz. Ausschnitt aus der Studentenmatrikel von Karl Kis.
(Hochschularchiv der ETH Zürich, Studentenmatrikel, EZ-REK 1/1/14‘161)
Die traurige Bilanz der im Ersten Weltkrieg gefallenen ETH-Studenten:
Herbert von Wayer | 1890-1914 | Mathematik-Physik | Österreich-Ungarn, auf dem Balkan gefallen |
Jules Exner | 1893-1915 | Maschineningenieurwissenschaften | Frankreich, an der Westfront gefallen |
Paul Schlumberger | 1892-1915 | Chemie | Deutschland (Elsass), an der Westfront gefallen |
Eugen Lassovszky | 1894-1915 | Maschineningenieurwissenschaften | Österreich-Ungarn, in Galizien gefallen |
Gerhard Thalmann | 1894-1915 | Chemie | Österreich-Ungarn |
Thomas Dibbs | 1892-1915 | Maschineningenieurwissenschaften | Australien, in Flandern gefallen |
Paul Gégauff | 1893-1915 | Maschineningenieurwissenschaften | Deutschland (Elsass), in der Champagne gefallen |
Henri Mongin | 1891-1915 | Maschineningenieurwissenschaften | Frankreich, an der Westfront gefallen |
Milosch Komadinitisch | 1891-1915 | Ingenieurwissenschaften | Serbien, auf dem Balkan gefallen |
Eberto Sarra | 1894-1916 | Maschineningenieurwissenschaften | Italien, am Isonzo gefallen |
Karl Kis | 1896-1916 | Maschineningenieurwissenschaften | Österreich-Ungarn |
Alexander Jennings | 1894-1917 | Maschineningenieurwissenschaften | England |
Hugo Dietsche | 1894-1917 | Chemie | Deutschland |
Hans Müller | 1894-1918 | Architektur | Deutschland |
Raoul Simonini | 1894-1918 | Ingenieurwissenschaften | Italien |
Den Teil II dieser Serie zu den ETH-Studenten und Professoren im Ersten Weltkrieg finden Sie hier.
Quellen im Hochschularchiv der ETH Zürich
Auf die Einträge zu Herbert von Weyer in den Protokollen des Schweizerischen Schulrats kann online zugegriffen werden. Die Namen der gefallenen Studenten wurden jeweils einmal im Jahr im Vorlesungsverzeichnis abgedruckt. Dieses ist ebenfalls online zugänglich (Suchbegriff „Polyprogramme“). Die Studenten- und Doktorandenmatrikel aus dieser Zeit können im Hochschularchiv der ETH Zürich eingesehen werden.
1 Gedanke zu „Von der ETH auf die Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs. Teil I: Die Studenten“