Auf den Landeskarten der Schweiz finden sich Flurnamen, deren Herkunft und Bedeutung mir manchmal Rätsel aufgeben. So der Name „Lincoln“ auf der Landeskarte 1:25 000, Blatt 1132, in der Nähe des Friedhofes von Einsiedeln (Koordinaten 700 200/220 900) (Bild 1). Oder der Name „Malakoff“ dessen Herkunft und Bedeutung mein Freund Karl eingehend recherchiert und darüber einen Artikel (Neue Zürcher Zeitung; 03.10.2002; Ausgabe-Nr. 229; Seite 66) geschrieben hat. In einem zweiten Artikel werden Leserbriefe, die nach Erscheinen des Artikels zahlreich geschickt wurden, zusammengefasst (Neue Zürcher Zeitung ; 24.10.2002; Ausgabe-Nr. 247; Seite 73).
Bild 1 (Quelle: Bundesamt für Landestopografie
Bild 2 (Quelle: Bundesamt für Landestopografie)
Bild 3 (Quelle: Bundesamt für Landestopografie)
Bild 4 (Quelle: Bundesamt für Landestopografie)
Bild 5 (Quelle: Bundesamt für Landestopografie)
Karl hat sich mit dem Berg „Malakoff“ beschäftigt (Bild 2). Hätte Karl vor 10 Jahren bereits die digitale Landeskarte übers Internet abfragen können ( http://map.geo.admin.ch/ ), hätte er sich noch für zwei weitere „Malakoffs“ interessieren müssen: für einen gleichnamigen Flurnamen bei La Chaux-de-Fonds (Bild 3) und einen auf dem Rollfeld des Flughafens Genf (Bild 4), (dieser ist zwar noch in der Namendatenbank der Swisstopo enthalten, auf der Papierkarte wird er jedoch nur auf dem Landeskartenblatt von 1956 (Bild 5) eingetragen, später ist er dem Ausbau des Flughafens zum Opfer gefallen).
Karls „Malakoff“ ist ein Berg und liegt knapp 2 Kilometer nordwestlich vom Parpaner Schwarzhorn auf dem Gebiet der Gemeinde Parpan (Landeskarte 1:25 000, Blatt 1196, Koordinaten 763 700/183 670). Karl ist nach Rücksprache mit Gewährsleuten aus dem Kanton Graubünden und bei der Konsultation von schriftlichen Quellen zu keinen eindeutigen Erkenntnissen über Herkunft und Bedeutung des Namens gekommen:
Das Geographische Lexikon der Schweiz von 1905 weiss, dass der Berg früher „Breititschuggen“ geheissen hat. Über die Gründe der Namensänderung schweigt sich das Lexikon aus. Der Name „Malakoff“ erscheint bereits auf der Ausgabe 1959 der Landeskarte 1:25 000. Auf den älteren Landeskarten (Siegfriedkarte 1:50 000, Dufourkarte 1:100 000) fehlt jede Bezeichnung für den Berg. Zitat aus Karls NZZ Artikel vom 3.10.2002:
„Im Buch „Land und Leute von Churwalden“ (1985) schreiben Nicola Markoff und Fritz Brüesch: «Die Herkunft seines Namens bleibt unklar.» Dann aber: Im hiesigen Volksmund heisse der Malakoff schlicht «Malakopf» (schlechter oder böser Grind?), und schliesslich – ergänzen die Autoren – seien auch schon «Zusammenhänge mit dem Krimkrieg (1853-1856)» vermutet worden. Hoppla! Krimkrieg: Wäre es möglich, dass im September 1855 in der Ukraine Bündner Söldner unter Napoleons Generalfeldmarschall Pélissier an der Erstürmung der Festung Malakoff bei Sewastopol teilgenommen und nach der Heimkehr zu ihrer Glorifizierung kurzerhand einen Berg entsprechend umgetauft hätten?“
Sie suchen Hintergründe zum Flurnamen «Lincoln» beim Friedhof Einsiedeln. Bei meiner Suche nach dem Thema “Auswanderung” fand ich einen Beitrag dazu aus der Zeitung ‘Höfner Volksblatt’ vom Jahre 2008. Lesen Sie den nachfolgenden Text und Sie werden das Geheimnis von LINCOLN erfahren. Viel Spass dabei.
Mit freundlichen Grüssen
Paul Bachmann
Schwyzer Auswanderung nach Amerika
Von Erwin Horat
In den wirtschaftlichen Krisenperioden des 19. Jahrhunderts wanderten Tausende von Schweizern, unter ihnen auch viele Schwyzer, auf der Suche nach Arbeit und Verdienst in die Vereinigten Staaten von Amerika aus. Sie waren Teil der riesigen Einwanderungsbewegung aus europäischen Staaten, in der Millionen von Menschen den «alten Kontinent» in Richtung «neue Welt» verliessen.
Schwyz. – So vielfältig wie die Auswanderer waren, so unterschiedlich verlief ihr Leben in der «neuen Welt». Die meisten Auswanderer haben sich in Amerika mehr oder weniger gut eine neue Existenz aufgebaut, viele von ihnen als Farmer. Andere waren von den neuen Um-ständen überfordert, und einige wenige starteten eine märchenhafte Karriere, die sie zu grossem Reichtum führte.Vor die-sem Hintergrund entstand die Vorstellung des reichen Onkels aus Amerika, den nur wenige als Realität erlebt haben. Nicht zu vergessen sind schliesslich jene, denen der Boden in der Schweiz zu
«heiss» wurde – wie jener Schwyzer Polizist, der 1885 «ohne weigern Abschied nach Amerika» auswanderte.
Drei Auswanderungswellen
Die Auswanderungsbewegung aus der Schweiz im 19. Jahrhundert spielte sich in drei grossen Wellen ab. Die erste war zwischen 1817 und 1819, die zweite zwischen 1847 und 1854 und die dritte zwischen 1878 und 1884. In allen drei Perioden führten grosse wirtschaftliche Probleme zur Massenauswande-rung. Für die erste Welle waren die Not- und Hungerjahre 1816/17 verantwortlich, die auch im Kanton Schwyz weiterverbreitetes Elend zur Folge hatten. Zahlenmässige Angaben über die Ausgewanderten fehlen.
Für die zweite Auswanderungswelle war die Landwirtschaftskrise in den 1840er-Jahren, gekoppelt mit Ernährungsproblemen wegen der Kartoffelkrankheit, verantwortlich. Zudem hatten Industrie und Gewerbe mit Strukturschwierigkeiten zu kämpfen. Viele Gemeinden haben die Auswanderung ge-fördert, indem sie Armen, Straffälligen und sozial Auffälligen die Reisekosten bezahlten. Im Kanton Schwyz haben Korporationen die Auswanderungswilligen teilweise ebenfalls unterstützt. Genaue Zahlen liegen auch für diesen Zeitabschnitt nicht vor; aber es ist sicher, dass Tausende die Schweiz verlassen haben, aus dem Kanton Schwyz waren es Hunderte. In beträchtlicher Zahl sind Einsiedler und Küssnachter ausgewan-dert.
Hintergrund der dritten grossen Aus-wanderungswelle war die schwere Agrarkrise der späten 1870er- und frühen 1880er-Jahre. Sie bewog insbesondere Landwirte in Amerika und Molkerei-fachleute in europäischen Ländern, neue Erwerbsmöglichkeiten zu suchen. Gesamtschweizerisch wanderten mehrere zehntausend Personen aus, aus dem Kanton Schwyz waren es gut 1000.
Und nochmals im 20. Jahrhundert
Zwischen 1868 und 1959 sind rund 380 000 Personen aus der Schweiz ausgewandert, aus dem Kanton Schwyz waren es gut 8500. Auf den ersten Blick scheint der Anteil der Schwyzer recht gering zu sein. Wenn man die Zahlen der ausgewanderten Schweizer und Schwyzer je in Relation zur Gesamtbevölke-rung setzt, zeigt sich ein anderes Bild: Die Anteile bewegen sich je um etwa zehn Prozent. Im kantonalen Vergleich rangiert der Kanton auf Platz 3, prozentual mehr Auswanderer weisen nur die Kantone Tessin und Obwalden auf. Aus dieser Perspektive lässt sich feststellen, dass die Auswanderungsfrage für unse-ren Kanton eine grosse Rolle spielt und dass viele Schwyzer vor allem in Ameri-ka eine neue Heimat gefunden haben. Die Betroffenheit ist noch grösser, wenn man berücksichtigt, dass die Auswanderer Familienangehörige, Verwandte und Freunde zurückgelassen haben, die die-sen Entscheid mitzutragen hatten.
Im Spiegel der Zeitungen
Die Schwyzer Zeitungen haben immer wieder über die Auswanderung und Auswanderungswillige berichtet. Diese wag- ten zu einer Zeit einen Schritt in eine neue, unbekannte Welt, als die Kommu-nikationsmittel schlecht waren und mancher Abschied wirklich ein Abschied für immer war. Manchmal wurden die Gründe für diesen Schritt aufgezählt, manchmal wurde den Auswanderern viel Glück gewünscht.
Das erste Beispiel stammt aus dem Jahr 1853: «Einsiedeln (Korr.) Wir hatten schon letztes Jahr das Vergnügen, in diesem Blatt von einer reichhaltigen Kartoffelernte zu berichten. Wie glücklich würden wir uns schätzen, dieses Jahr das Nämliche zu thun. Eine allgemeine Missernte hat die Bewohner in diesem valle lacrymarum niedergeschlagen. Daher die massenhafte Auswanderung nach Amerika. Noch diesen Herbst werden viele verreisen und auf den nächsten Frühling bereiten sich Hunderte vor.»
Das zweite Beispiel erschien 1879: «Schwyz (Auswanderung). Es scheint, dass die jetzt allenthalben im Schweizerlande sehr erwachte Auswanderungslust auch unsern Kanton erfasst. So sind in letzter Zeit wieder zum Theil schon nach Amerika ausgewandert oder stehen im Begriffe es zu thun, von Schwyz der Albert Spengler; von Sattel: Peter Kamer, Josepha Aloisia Ulrich, geb. Inglin,Witwe des Melchior Josef sel. mit Familie; von Wollerau: Karl Kümin, Metzger. Dass sich kürzlich auch ein Trupp Einsiedler ‹über den Bach› gemacht hat, haben wir schon berichtet.»
Tagebucheintrag
Der Schwyzer Färbermeister und Schüt-zenhauptmann Joachim Schindler (1805–1863) hat die Auswanderung in den 1850er-Jahren in seinem Tagebuch mehrfach erwähnt. Unter dem 26. Oktober 1853 notierte er: «Verdienst nimmt ab etc., daher kommt es, dass es so viele gelüstet, nach Amerika zu wandern und wirklich auswandern.» Und am 30./31. Dezember 1853 schrieb er: «Verreisten mehrere Familien mit Weib und Kinder nach Amerika. Dies ist die Folge der Teuerung und Verdienstlosigkeit. Werde ihnen das Los jenseits des Meers in einem andern Weltteil besser (48 bis 50 Personen).»
Restaurant Lincoln in Einsiedeln
Mindestens Nicht-Einsiedlern erscheinen die Namen Restaurant Lincoln und Lincolnweg seltsam und erklärungsbedürftig. Der Name geht auf das von Nikolaus Steinauer (1815–1878) erbaute Haus zurück. Es überraschte durch «seinen fremdländischen Stil mit zahlreichen Holzverzierungen», im Innern hing ein Porträt des amerikanischen Präsidenten Abraham Lincoln (1809–1865) – damit liegt die Namens-gebung für das Haus, das später abgebrannt ist, auf der Hand. Das heutige Restaurant Lincoln erinnert seinerseits an den von Nikolaus Steinauer erbauten Pavillon.
Die Lebensgeschichte von Nikolaus Steinauer illustriert das Thema der Migration in hervorragender Weise. Ursprünglich war er Landwirt in Bennau, dann erlernte er das Töpferhandwerk. Um die Kenntnisse zu vertiefen, hielt er sich während mehreren Jahren in Deutschland auf; hier eignete er sich im Selbststudium Architektur-Grundwissen an. Für kurze Zeit kehrte er nach Einsiedeln zurück. Nach 1850 wanderte er nach Amerika weiter, wo er rund 15 Jahre lang lebte.Während des amerikanischen Bürger-kriegs kämpfte er auf der Seite der Regierungstruppen und wurde mit mehreren Verdienstmedaillen ausgezeichnet. Diese Erlebnisse sind der Schlüssel seiner Verehrung für Präsident Lincoln. Steinauer kehrte nach Einsiedeln zurück und arbeitete als Töpfer, Modelleur und Baumeister. Er starb während den Bauarbeiten an der Kirche Rothenthurm.
Steinauer, Nebraska
Wie bedeutend die Auswanderung nach Amerika war, lässt sich gut an der Siedlung «Steinauer» in Nebraska zeigen. An diesem Beispiel wird deutlich, dass die Menschen oft im Familien- und Verwandt-schaftsverband gereist sind – damit liess sich die schwierige Anfangszeit in der Fremde leichter ertragen.
Josef Alois Steinauer wanderte 1852 nach Amerika aus, 1856 liess er sich mit seinen zwei Brüdern Anton und Nikolaus in Nebraska nieder. In der Nähe siedelten sich weitere Einwanderer an, die Siedlung erhielt im Gedenken an die Gründer den Namen Steinauer. Die Ansiedlung ging nicht in einem menschenleeren Territorium vor sich, es war Indianergebiet. Aber die Indianer hätten sie, wie Josef Alois Steinauer 1896 in einem Brief festhielt, leben lassen. Diese Briefe vermitteln einen ungeschminkten Ein-blick in das Leben der Pioniergemeinde, sie lassen die Schwierigkeiten unmittelbar miterleben.
Karl Saurer hat mit «Steinauer – Nebraska» dieser Geschichte von der Gründung einer Siedlung bis zu ihrem allmählichen Abstieg und den Begleitumständen, der Vertreibung der Indianer, ein berüh-rendes filmisches Porträt gewidmet.
Erwin Horat ist Archivleiter des Staatsarchivs Schwyz.