Anlässlich des Durchstichs des neuen Gotthard-Basistunnels lohnt sich ein vergleichender Blick auf den Durchstich des Eisenbahntunnels zwischen Göschenen und Airolo vom 29. Februar 1880. Der heutige Gotthard-Basistunnel hat eine lange und bewegte Planungs- und Realisierungsphase hinter sich. Auf politischer Ebene mussten Volksabstimmungen und Budgetdebatten gewonnen werden. Beim Bau galt es, komplexe technische und geologische Probleme erfolgreich zu überwinden. Zu Recht wird deshalb der Durchstich des mit 57 km Länge nunmehr längsten Tunnels der Welt gebührend als herausragende technische Errungenschaft und zentrales Element des nationalen Grossprojekts NEAT gefeiert, das bald die Strecke Luzern – Bellinzona auf Pendlerdistanz verkürzen wird.
Schlicht “Grosser Gotthardtunnel” hiess der 1880 durchstochene Scheiteltunnel zwischen Göschenen und Airolo. Im Unterschied zum neuen Gotthard-Basistunnel lag damit die Betonung auf der Länge des Bauwerks und nicht auf der Streckenführung. (ETH-Bibliothek, Archive und Nachlässe, 3999:12/31 Hs, Ausschnitt)
Der alte Eisenbahntunnel Göschen-Airolo ist dagegen mit 14,9 km vergleichsweise kurz. Bezüglich Pathos und Elend, die seine Baugeschichte begleiteten und prägten, überragt er aber den neuen Basistunnel deutlich. Einerseits war der Scheiteltunnel als Teil der neuen Nord-Süd-Verbindung mit Anschluss an das deutsche bzw. italienische Eisenbahnnetz eine technische Pioniertat. Nur dank dem Einsatz und der Weiterentwicklung damals modernster Tunnelbaumethoden wie pneumatischen Bohrmaschinen und Sprengungen mittels Dynamit konnte der Tunnel überhaupt in der kurzen Bauzeit von acht Jahren fertig gestellt werden. Andererseits zeigten zahlreiche tödliche Unfälle, ein blutig niedergeschlagener Streik, Untersuchungen über die bedenklichen hygienischen und sozialen Arbeitsbedingungen der überwiegend aus Italien stammenden Mineure, der plötzliche Tod des verantwortlichen Ingenieurs Louis Favre, eine erst in letzter Minute zustande gekommene Zusatzfinanzierung und anhaltender Zwist zwischen Betreiber- und Baugesellschaft immer wieder neue Schattenseiten dieses Grossprojekts auf.
Anlässlich des Durchstichs überwog aber klar die Euphorie. Von einem gewonnen “Krieg und Kampf mit dem Berg” war nun die Rede und von einem eigentlichen Triumph der Ingenieurbaukunst. “Der Glaube vermag keine Berge mehr zu versetzen, aber die Wissenschaft durchbohrt sie”, schrieb etwa die Zürcher Post anlässlich der Feierlichkeiten zum Durchstich. Negativschlagzeilen wurden vermieden und Alfred Escher, der zwar als mächtiger Politiker und reicher Unternehmer den Bau der Gotthardlinie erst ermöglicht hatte, dann aber als Präsident der Gotthardbahngesellschaft in Ungnade fiel, wurde zu den Feierlichkeiten gar nicht erst eingeladen. Da ergeht es nun Bundesrat Moritz Leuenberger besser. Er nutzt die Möglichkeit, den Festakt zum Durchstich des Gotthard-Basistunnels bewusst als Schlusspunkt seiner Regierungszeit zu bestimmen.
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Verzeichnis der Gotthardbahnakten in den Archiven und Nachlässen der ETH-Bibliothek