Wissenschaftskongress mit Frauenbeteiligung oder nur mit Damenprogramm? Ein Blick zurück ins Jahr 1897

Im Juli 1897 erreichte den Mathematiker Wilhelm Fiedler, Professor am Polytechnikum in Zürich, ein Brief der Mathematikerin Charlotte Angas Scott, Professorin am Bryn Mawr College in Pennsylvania. Sie erkundigte sich bei ihm nach der Zulassung von Frauen zum angekündigten Mathematikerkongress. „Can you kindly tell me whether ladies will be welcome – as mathematicians, of course?”


Brief von Charlotte Angas Scott an Wilhelm Fiedler, 4.7.1897 (ETH Bibliothek, Hochschularchiv,
Hs 87:1182, doi: 10.7891/e-manuscripta-85202 )

Charlotte Angas Scott, 1858 in England geboren, hatte 1885 in London in Mathematik promoviert und war noch im selben Jahr auf Empfehlung des Mathematikers Arthur Cayley Vorsteherin der mathematischen Abteilung am neugegründeten amerikanischen Frauencollege Bryn Mawr geworden. Sie gehörte dem Komitee an, das 1895 die New York Mathematical Society in die American Mathematical Society umstrukturierte, 1905 wurde sie Vizepräsidentin der Gesellschaft. Als Frau hatte sie auf ihrem pionierhaften Weg zu wissenschaftlicher Bildung die Ausgrenzung aufgrund ihres Geschlechts schon in jungen Jahren erleben müssen, als sie am Hitchin College der Cambridge University nicht offiziell zu den Abschlussprüfungen zugelassen war. Als Mathematikerin und mitten im Berufsleben stehend erkundigte sie sich von ihrem momentanen Aufenthalt bei ihrer Familie in England aus trotz persönlicher Erfolge wohlweislich nach den geltenden Zulassungsbedingungen.

Wilhelm Fiedler reagierte umgehend auf ihr Schreiben und sandte Scott die Unterlagen zum Kongress. In seiner Antwort, die als Briefkonzept überliefert ist, heisst es: „Die Berechtigung der Damen steht ausser Zweifel”.

Auch in Zürich war ursprünglich die Frage der Zulassung von Frauen zum Studium alles andere als unumstritten. Die befürwortende Einstellung gewann aber schliesslich die Oberhand. In Zürich waren Frauen seit den 1860er Jahren zum Studium und zum Abschluss zugelassen. Die positive Einstellung der Zürcher Professorenschaft in der Frage der Zulassung von Studentinnen hatte 1897 offenbar soweit Spuren hinterlassen, dass ein Professor, der nicht zum Organisationskomitee des Kongresses gehörte, die Frage Scotts von sich aus beantworten konnte. Diese Haltung war aber vor dem Hintergrund der Debatten und der Verbote in anderen Ländern nicht selbstverständlich, was sich in der Anfrage der Mathematikerin spiegelte.

Laut gedruckter Teilnehmerliste (ETH Bibliothek, Hochschularchiv Hs 637.1.21) war „Miss Prof. Dr. C.A. Scott” unter den Kongressteilnehmenden, die vom 9. bis 11. August 1897 ein reichhaltiges Programm besuchten. Dieses bot mit Vorträgen und Sektionssitzungen einen Überblick über den Stand in verschiedenen Gebieten der mathematischen Wissenschaften und war umrahmt von Tonhallebankett, Dampfschifffahrt und Ausflug auf den Uetliberg.

Links:

Die Verhandlungen der Tagung erschienen 1898:
https://doi.org/10.3931/e-rara-8804

Einzelne Schriften von Charlotte Angas Scott:
https://eth.swisscovery.slsp.ch/permalink/41SLSP_ETH/lshl64/alma990024176850205503

Angaben zum Leben von Charlotte Angas Scott u.a.:
http://womenshistory.about.com/od/sciencemath1/a/charlotte_scott.htm
bzw.
https://mathshistory.st-andrews.ac.uk/Biographies/Scott/

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